04.05.2024 11:30:03 - dpa-AFX: ROUNDUP/Marine-Inspekteur: Zwei weitere Fregatten 'absolut erforderlich'

BERLIN (dpa-AFX) - Marine-Inspekteur Jan Christian Kaack fordert eine
Bestellung von zwei weiteren Fregatten für die Seestreitkräfte und warnt vor
sonst drohenden Kostensteigerungen. "Ich halte es für absolut erforderlich, dass
Deutschland diese Option zieht und diese beiden Fregatten bestellt. Und ich bin
mir da mit dem Minister einig, denn wir müssen jetzt in die Flotte der Zukunft
investieren, damit wir auch dauerhaft unsere Aufgaben zum Schutz unserer
Menschen gewährleisten können", sagte der Vizeadmiral in Berlin der Deutschen
Presse-Agentur. Kaack verwies auch auf eine veränderte Sicherheitslage und die
Bedeutung der deutschen Marine für den Schutz kritischer Infrastruktur.

Kaack äußerte sich vor der am morgigen Sonntag in Wilhelmshaven erwarteten
Rückkehr der Fregatte "Hessen" aus dem EU-Einsatz "Aspides" im Roten Meer. Am
Dienstag sollen zudem der Einsatzgruppenversorger "Frankfurt am Main" und die
Fregatte "Baden-Württemberg" in den Indo-Pazifik ablegen. Dabei gelangen sie
durch den Panamakanal in den Pazifik und durchqueren später auch das
Südchinesische Meer. Eine vergleichbare Mission hatte es bereits von August 2021
bis Februar 2022 gegeben. Die Fregatte "Bayern" nahm damals zwar an Manövern mit
Bündnispartnern teil, machte um Taiwan aber einen Bogen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schließt nun nicht aus, dass die
Fregatte "Baden-Württemberg" bei ihrer bevorstehenden Pazifik-Mission die Straße
von Taiwan durchquert. Bei ihrem Besuch in Neuseeland sagte die
Grünen-Politikerin am Samstag zwar, dass die Route des Kriegsschiffes und eines
Versorgungsschiffes nicht vorab bekannt gegeben werde. Sie betonte aber
gleichzeitig, dass das "Recht der friedlichen Durchfahrt" auch für die Straße
von Taiwan gelte. Die Durchquerung der Straße von Taiwan könnte von China als
Provokation gesehen werden. Die kommunistische Volksrepublik beansprucht die
demokratische Republik Taiwan als ihr eigenes Territorium und hat mehrfach mit
einer Invasion gedroht.

Im Dezember war mit dem Bau der ersten Fregatte der Klasse F126 begonnen
worden. Die Bundeswehr plant den Bau von Schiffen, die "weltweit und umfassend
zur dreidimensionalen Seekriegführung befähigt" sein sollen. Dies bedeute, es
könnten Ziele unter Wasser, auf dem Wasser und in der Luft bekämpft werden.
Seeraumüberwachung, das Durchsetzen von Embargos, das Unterstützen von
Spezialkräften sowie Evakuierungsoperationen werden als wichtigste Aufgaben
genannt.

Operative und finanzielle Gründe für Bestellung weiterer Fregatten

Vier Fregatten sind finanziert, und es gibt eine Option auf zwei weitere
Schiffe zu einem ähnlichen Preis. "Jede Verzögerung oder Nichtnutzung dieser
Option würde bei einem späteren Bestellen zu einer Kostenerhöhung führen",
warnte Kaack. Operativ seien die zwei weiteren Schiffe nötig mit Blick auf
erwartete Bedrohungen der nächsten Jahre. Er forderte: "Wir brauchen
hochwirksame Kampfeinheiten, die sich im Gefecht durchsetzen können, und zwar in
einer Zahl, dass wir auch sicherstellen, dass wir sie dauerhaft einsetzen
können."

Er verweist dazu auf die "Mathematik der Marine", in der Einsatzbereitschaft und Abläufe der Instandsetzung in einer Vielzahl von dreien gedacht würden: Ein
Schiff gefechtsbereit, eines auf dem Weg zur Gefechtsbereitschaft und eines in
der Instandsetzung. "Insofern ist eine Zahl von sechs Fregatten der Klasse 126
etwas, wo wir durchhaltefähig und durchsetzungsfähig die Aufträge Deutschlands
im Nordatlantik, in der weitreichenden Uboot-Jagd von Atom-Ubooten, aber auch im
Schutz kritischer maritimer Infrastruktur - auch weltweit - sicherstellen
können."

Die Marine sieht zunehmende Bemühungen der russischen Seestreitkräfte,
kritische maritime Infrastruktur - also Pipelines, Kommunikationsleitungen und
die Stränge der Energieversorgung - auszukundschaften. Kaack sagte dazu: "Die
sehen sich ganz genau an, wo was liegt und schauen sich auch an, wo vielleicht
Schwachstellen sind. Aber sie stellen dann eben auch fest, dass wir es merken
und dass wir sofort draufgehen", sagte Kaack. Zugleich bescheinigte er der
russischen Marine bei Begegnung auf See absolutes Normverhalten, bei dem
eingespielte Verfahren beachtet werden.

Genau hinschauen: Abschreckung durch "Attribuierbarkeit"

Im September 2022 hatte die Sprengung der North-Stream-Pipelines in der
Ostsee Politik und Sicherheitsexperten aufgeschreckt, ohne dass die
Urheberschaft ermittelt wurde. Verstärkte Bemühungen für den Schutz solcher
Anlagen sind angelaufen, jedoch nicht einfach, teils kommen auch Zuständigkeiten
und Verfahren auf den Prüfstand.

"Das Motto ist für mich Abschreckung durch Attribuierbarkeit. Wenn der
Gegner weiß, dass wir wissen, dass er da agiert, ist es weniger wahrscheinlich,
dass er etwas machen wird", sagte Kaack. Voraussetzung dafür sei ein bewertetes
Über- und Unterwasserlagebild, das Zusammenführen der Sensorinformationen und
Daten. Dazu gebe es Projekte. Er nennt "From Seabed to Space", das Informationen
von zivilen und militärischen Satelliten zusammenführe, um Auffälligkeiten von
Schiffsbewegungen auszuwerten - auch und gerade, wenn automatisierte
Informationssysteme zum Standort ausgeschaltet werden. Dabei wird auch
künstliche Intelligenz eingesetzt.

Die Nato hat für solche Aufgaben ein eigenes Büro gegründet und sechs
europäische Staaten, darunter Deutschland, Dänemark und Großbritannien, wollen
die Infrastruktur in der Nordsee gemeinsam besser schützen. Zudem hat
Deutschland der Nato angeboten, ein regionales maritimes Hauptquartier für die
Ostsee zu führen, wird also bald die sogenannte Raumverantwortung für das
wichtige Seegebiet übernehmen.

Baustellen bleiben auch in Deutschland

Kaack ist überzeugt, dass solche Angriffe wie auf die Infrastruktur auch
künftig in einer Grauzone stattfinden würden, um einen Verteidigungs- oder
Bündnisfall eben gerade nicht auszulösen. Deswegen sollen Zuständigkeiten und
Verfahrensweisen auf den Prüfstand.

"Ich würde das immer von hinten denken: Was will ich für einen Effekt
erzielen", sagt Kaack. "Wenn Sie jetzt in den verschiedensten Ressorts
nachfragen, wird man Ihnen sagen, dass die Zuständigkeiten geregelt sind.
Innerhalb der Hoheitsgewässer die Wasserschutzpolizei, darüber hinaus in der
Ausschließlichen Wirtschaftszone die Bundespolizei und wenn es sozusagen
"knallt", die Marine. Inwieweit die jetzigen Zuständigen jedoch Möglichkeiten zu
wirken haben, das ist zu hinterfragen."

Die Marine habe deswegen in einer Arbeitsgruppe der Ressorts dafür geworben, konkrete Szenarien und die dann greifenden Prozesse in den Fokus zu rücken. "Und
wer am Ende eigentlich entscheidet, dass wir innerhalb unserer Hoheitsgewässer
eine erkannte Gefahr durch einen Gegner auch aktiv bekämpfen können. Also
ähnlich wie im Luftsicherheitsgesetz", sagte der Inspekteur. Und: "Die
Diskussion wird geführt. Sie muss auch geführt werden."/cn/DP/zb

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