05.05.2024 18:50:38 - dpa-AFX: POLITIK/GESAMT-ROUNDUP: Empörung über Angriff auf Politiker - Mann stellt sich

DRESDEN/BERLIN (dpa-AFX) - Nach dem brutalen Angriff auf den Dresdner
SPD-Europapolitiker Matthias Ecke hat sich ein 17-Jähriger der Polizei gestellt.
Er habe in der Nacht zu Sonntag die Polizei aufgesucht und angegeben, der Täter
zu sein, teilte das Landeskriminalamt (LKA) mit. Die Hintergründe der von vier
jungen Männern am Freitagabend verübten Attacken auf Ecke und zuvor bereits auf
einen Wahlkampfhelfer der Grünen waren am Wochenende noch unklar
- die Ermittlungen dauerten an. Politiker aller Parteien zeigten sich
entsetzt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an alle, die
politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen. Zwei
Bündnisse riefen für Sonntagnachmittag zu Demonstrationen in Berlin und Dresden
auf - das Motto: "Gewalt hat keinen Platz in unserer Demokratie!"

Bund und Länder wollen am Dienstag über mögliche Konsequenzen aus der Gewalt beraten. Das kündigte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs
Ressortchef Michael Stübgen (CDU), an: "Ich werde meinen Länderkollegen den
kommenden Dienstag als Termin für ein informelles Treffen auf Ebene der
Innenministerkonferenz vorschlagen."

SPD-Politiker liegt im Krankenhaus

Ecke ist sächsischer SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der 41-Jährige
war am Freitagabend attackiert worden. Er habe einen Bruch des Jochbeins und der
Augenhöhle sowie Hämatome im Gesicht erlitten, sagte Sachsens SPD-Chef Henning
Homann am Sonntagnachmittag. Ecke sei am Sonntag operiert worden, es gehe ihm
den Umständen entsprechend gut. Die SPD Sachsen geht davon aus, dass er seinen
Wahlkampf fortsetzen wird. Das stehe aktuell aber nicht im Vordergrund stehe,
hieß es.

Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe
in der Nähe einen Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls verletzt. Laut
Polizeiangaben vom Samstag werden die vier Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt
- sie sollen dunkel gekleidet gewesen sein. Ein Zeuge habe sie dem rechten
Spektrum zugeordnet.

Der 17-Jährige, der sich stellte, sei bisher nicht polizeilich in
Erscheinung getreten, berichtete das LKA. Er sei nicht in Gewahrsam, da nicht
davon auszugehen sei, dass er untertauche. Die drei anderen Tatverdächtigen sind
weiter unbekannt.

Gewalt auch gegen Politiker anderer Parteien

Auch andere Parteien sind Ziel von Angriffen: Im niedersächsischen Nordhorn
wurde am Samstagmorgen ein AfD-Landtagsabgeordneter nach Polizeiangaben an einem
Infostand geschlagen. In Dresden attackierten zwei 23-jährige Frauen und ein
28-jähriger Mann am Samstag unvermittelt einen Informationsstand der Partei und
beschädigten Aufsteller, Plakate und einen Tisch, wie die Polizei mitteilte. Der
Betreiber des Stands wurde nicht verletzt. Die Polizei stellte die
Tatverdächtigen nach Hinweisen von Zeugen.

Zudem beschädigte laut Polizei eine Gruppe von 20 Jugendlichen in der Nacht
zu Sonntag in Dresden augenscheinlich wahllos 21 Wahlplakate der AfD, der FDP,
der CDU und der Linken. Eine Zeugin rief die Polizei, die einen 17-Jährigen
ertappte, als er in der Schandauer Straße - wo Ecke und der Grünen-Helfer
angriffen wurden - ein Plakat der Linken zerstörte.

Die Vorfälle reihen sich ein in eine bundesweite Folge von Angriffen auf
Parteimitglieder vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni: Am Donnerstag
waren in Essen der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) und sein
Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben attackiert und Fliß geschlagen
worden. Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt (Grüne) war vor einigen
Tagen in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und länger
an der Abfahrt gehindert worden.

Grüne zunehmend im Visier von Angreifern

Die Zielgruppe der Angreifer hat sich zuletzt etwas verlagert: Waren noch
2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so sind es nun die
Grünen. Für die AfD wurden im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen
bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1219. Für die SPD waren es 420,
für andere Parteien weniger - insgesamt wurden 2790 solche Straftaten gemeldet,
wie die Regierung auf eine AfD-Anfrage mitteilte.

Die Grünen fordern daher mehr Schutz im Wahlkampf. "Die Innenministerinnen
und -minister müssen jetzt Konzepte zum bestmöglichen Schutz von Politikerinnen
und Politkern und vor allem von ehrenamtlich engagierten Wahlkämpfenden
vorlegen", sagte die Bundesgeschäftsführerin Emily Büning der Deutschen
Presse-Agentur. Essenziell sei die Zusammenarbeit mit der Polizei und den
Landeskriminalämtern. "Wie werden in unseren Kreisverbänden jetzt noch einmal
die Empfehlung verstärken, dass jede Veranstaltung und jede Wahlkampfaktion den
Sicherheitsbehörden vorab gemeldet werden sollte."

Solidaritätsbekundungen für angegriffenen Politiker Ecke

Parteiübergreifend verurteilten Politiker Gewalt in der politischen
Auseinandersetzung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte: "Die Demokratie wird
von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine
Option." Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte zu den Attacken: "Sie sind
der widerliche und unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte
und der Enthemmung in den sogenannten sozialen Medien." Bundesjustizminister
Marco Buschmann (FDP) schrieb auf der Plattform X: "Gewalt ist kein legitimes
Mittel der politischen Auseinandersetzung. Von niemandem. Gegen niemanden.
Punkt." Finanzminister Christian Lindner (FDP) mahnte auf X: "Die Enthemmung der
politischen Auseinandersetzung betrifft uns alle. Jeder kann der nächste sein."

CDU-Chef Friedrich Merz appellierte, "Wahlkämpfe mit dem gebotenen Respekt
und vor allem ohne jede Aggression, vor allem ohne tätliche Gewalt auszuüben".
Dies gelte unabhängig davon, welcher Partei die Wahlkämpfer angehörten, "meiner
eigenen, der SPD, der Grünen, der FDP, wem auch immer".

Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla, dessen Partei von einigen für eine
Gewalt fördernde Atmosphäre verantwortlich gemacht wird, schrieb auf der
Plattform X: "Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir
zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt
geführt werden."

Forderung nach schärferen Strafen für die Angreifer

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, forderte schärfere
Strafen. "Wir müssen politisch Engagierte besser schützen. Dabei könnte auch
eine Strafrechtsverschärfung helfen, die Nachstellungen, Aufmärsche vor
Wohnhäusern und Drohungen gegen die Familie von Politikerinnen und Politikern
verfolgt", sagte er der "Rheinischen Post" (Montag)./jbl/DP/mis

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