28.04.2024 15:01:26 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Privatrakete eines deutschen Start-ups soll diese Woche abheben

KOONIBBA (dpa-AFX) - In der privaten Raumfahrt sind vor allem Menschen wie
Elon Musk und Jeff Bezos bekannt. Doch auch private Raketenbauer aus Deutschland
wollen derzeit auf den Markt. Der erste Start einer Trägerrakete eines dieser
deutschen Start-ups ist für Dienstag im australischen Koonibba geplant. Die
zwölf Meter lange Rakete soll mit Kerzenwachs und Sauerstoff fliegen, aber die
Grenze zum Weltraum nicht überschreiten. Es ist nicht der erste Start einer
privaten Trägerrakete aus Deutschland.

Was genau soll da in die Luft fliegen?

60 Kilometer in die Höhe will das Unternehmen HyImpulse, das in der Nähe von Heilbronn seinen Sitz hat, die Trägerrakete SR75 schicken. Die Rakete könne eine
Nutzlast von 250 Kilogramm transportieren und sei auch in der Lage ins All zu
fliegen, sagt Co-CEO und Mitgründer Christian Schmierer. Im Rahmen der
vorliegenden Genehmigung sei das diesmal nicht geplant.

Die Ingenieure wollen das Triebwerk der Rakete testen. Das Antriebskonzept
sei etwas Besonderes. Die Rakete fliege mit Paraffin, also Kerzenwachs, und
flüssigem Sauerstoff. An dem Triebwerk werde mittlerweile seit mehr als zehn
Jahren gearbeitet. Die Technik sei schon bekannt, habe sich aber bei
Startraketen bisher nicht durchgesetzt, sagt Martin Tajmar, Experte für
Raumfahrttechnik an der TU Dresden. "Es gibt keine kommerzielle Rakete, die so
eine Technologie in groß verwendet."

Welchen Zweck hat das Ganze?

Die Idee sei, mit der Trägerrakete ein besseres Angebot für Kleinsatelliten
zu machen, sagt Schmierer. "Bisher gibt es vor allem Raketen auf dem Markt, die
man sich wie Busse oder Züge vorstellen kann. Sie laden die Satelliten nur an
bestimmten Orten im Orbit ab - wie an einer Haltestelle. Unsere Rakete ist eher
wie ein Taxi."

Die Raketen seien durch das hybride Triebwerk aus festem und flüssigem
Treibstoff günstiger, da weniger Bauteile nötig seien als bei herkömmlichen
Antrieben. Die nächsten Starts seien bereits geplant, sagt der 36-Jährige.

Die Rakete sei das erste Produkt von HyImpulse. Man arbeite auch an einer
zweiten, größeren Rakete, die auch größere Kapazitäten habe. Die Raketen sollen
in etwa eineinhalb Jahren Satelliten ins Weltall transportieren.

Wie ist der Start in einem internationalen Kontext zu bewerten?

Die Welt schaue zwar nicht auf den Start, aber für Deutschland sei er ein
wichtiges Event, sagt Raumfahrtexperte Tajmar. Im Ganzen betrachtet sei es ein
Nischenmarkt. Doch für Europa relevant, weil es im Moment niemanden gebe. In
Europa spielen bislang die Raketen des Unternehmens Arianespace eine
entscheidende Rolle beim Transport von Satelliten. Ein Ariane-Launcher, der
etwas ins All bringen könne, sei aber gerade nicht im Betrieb.

In anderen Ländern ist die private Raumfahrt viel stärker, oder?

Die Raketen von Tech-Milliardär Elon Musk seien in diesem Jahr für rund 90
Prozent aller weltweiten Raketenstarts zuständig, erklärt Tajmar. Danach folge
China. Das Übrige falle auf den Rest der Welt. "Das ist sowas von unwichtig." In
China gebe es jede Menge privater Start-ups, die auch schon ins All geflogen
seien.

Der SpaceX-Gründer habe den Maßstab hochgelegt. "Da schauen alle nur
ehrfürchtig zu und die Chinesen versuchen es zu kopieren." Sonst tue sich
aktuell nicht viel. Musk habe auch mit einer kleinen Rakete angefangen. Doch er
sei relativ schnell zu größeren Modellen übergegangen, die dann auch
wiederverwendbar wurden, ein enormer Vorteil für Preis und Verfügbarkeit. Aber:
"Man muss irgendwo anfangen", sagt Tajmar mit Blick auf die deutschen Start-ups.

Was erwartet der Anbieter langfristig?

Dass es in den USA und China schon entsprechende Anbieter von kleinen
Raketen gibt, ist Schmierer bewusst. Aber die seien viel zu teuer, sagt er.
HyImpulse wolle preislich deutlich attraktiver sein.

Ein Start der größeren kommerziellen Rakete koste etwa sechs Millionen Euro. Pro Kilogramm Nutzlast wolle man etwa 6500 Euro berechnen. Man habe bereits
viele Kundenanfragen, die Auftragsbücher seien ordentlich gefüllt. Auch die
Politik hofft auf Kostensenkungen durch die Nutzung privater Anbieter.

Wer braucht solche Satelliten-Taxis?

Zu den Kunden gehört laut Schmierer etwa die Automobilindustrie, die
Satelliten für die Navigation und das autonome Fahren bräuchten. Man wolle den
Markt nicht China und den USA überlassen. "Wir brauchen auch als Europäer
Unabhängigkeit von den Amerikanern, auch wenn sie unsere Partner sind."

Auch der ehemalige Astronaut Ulrich Walter sieht viele Chancen für private
Hersteller von kleineren Raketen. Die Satelliten werden nach seinen Aussagen
immer kleiner werden. Die neuen Kleinraketen-Anbieter seien flexibler als die
großen, bei denen man schon zwei Jahre im Voraus einen Platz buchen müsse. In
Zukunft werde der Markt ordentlich wachsen, sagte der Professor für
Raumfahrttechnik an der TU München. Deshalb halte er die Ideen der Start-ups für
richtig.

Bereits in den späten 1970er-Jahren hat eine deutsche Firma laut Walter
schon eine Privatrakete entwickelt, die eine günstigere Alternative sein sollte.
Es habe einige Raketentests des Unternehmens Otrag in Afrika gegeben. "Nach
heutigem Sprachgebrauch würde man Otrag als Start-up bezeichnen." Die Firma
Otrag (Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft) sei jedoch in den
80er-Jahren eingegangen.

Welche deutschen Firmen stehen noch in den Startlöchern?

HyImpulse ist nicht das einzige Start-up in Deutschland, das an der
Entwicklung von sogenannten Microlauncher arbeitet. Im Nachbarbundesland Bayern
gibt es zwei Mitbewerber: Rocket Factory in Augsburg und Isar Aerospace nahe
München. Alle drei wurden in den vergangenen Jahren gegründet. Sie arbeiten alle
an Trägerraketen, mit denen Satelliten ins All befördert werden können und
planen demnächst erste Testflüge.

So viele deutsche Anbieter werde es trotz der Größe des Marktes aber nicht
brauchen, ist sich Walter sicher. Es werde sich noch zeigen, welches Start-up
sich durchsetzen könne./bak/DP/he

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