28.04.2024 14:38:11 - dpa-AFX: Kein Bruch: FDP will Ampel-Kurs aber ganz auf Wirtschaftswende trimmen

BERLIN (dpa-AFX) - Wachstumsförderung, Steuersenkungen und keine neuen
Sozialleistungen: FDP-Chef Christian Lindner hat mit dem Ruf nach einer
"Wirtschaftswende" für Deutschland die volle Unterstützung des Bundesparteitages
der Liberalen bekommen. Der Bundesfinanzminister forderte SPD und Grüne am
Wochenende auf, einen wirtschaftlichen Aufschwung zur Priorität der gemeinsamen
Koalition zu machen. Lindner warnte vor einem Abstieg des Landes mit negativen
Folgen für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Zu den wirtschaftspolitischen Forderungen beschlossen die mehr als 600
Delegierten am Samstag einen Leitantrag des Bundesvorstands. Das ihm zugrunde
liegende Zwölf-Punkte-Papier zur Wirtschaftsbelebung durch Steuerentlastungen
und Verschärfungen bei Sozialleistungen hatte vor allem bei der SPD für
Verärgerung gesorgt. "Wenn ein Land in zehn Jahren von Platz 6 der
Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 22 zurückfällt, was ist dann dringlicher als eine
Wende?", sagte Lindner. "Denn in den nächsten Jahren muss unser Ehrgeiz sein,
von 22 wieder in die Weltspitze zurückzukehren." Die Delegierten feierten
Lindner für seine Rede dreieinhalb Minuten lang mit Beifall.

Am Sonntag legte sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nach. Er mahnte,
Deutschland dürfe im Wettbewerb nicht immer weiter zurückfallen. "Die nächsten
Jahre dürfen keine Jahre der Krise werden. Es müssen vielmehr einmal mehr Jahre
des Aufschwunges und des Wohlstandes werden."

Kein Bruch mit den Koalitionspartnern: Lindner schont die Ampel

Lindners Rede war nach dem Ärger in der Koalition über das
Zwölf-Punkte-Papier mit Spannung erwartet worden. Allerdings machte der FDP-Chef
in seiner mehr als einstündigen Rede an mehreren Stellen deutlich, dass er einen
Erfolg des Ampel-Bündnisses will, kein vorzeitiges Ende. Scharf griff er
wiederholt die Union an. Seine Partei hatte bei der letzten Bundestagswahl 11,5
Prozent der Stimmen geholt und dümpelt nun in Umfragen nur noch bei 5 Prozent.
Damit wäre aktuell nicht mal ein Wiedereinzug in den Bundestag sicher.

FDP will Aufschwung zur zentralen Aufgabe machen

Lindner beschrieb Deutschland als wirtschaftlichen Absteiger. Die
mittelfristige Wachstumsperspektive vor wenigen Jahren habe noch bei 1,5 Prozent
gelegen und sei nun auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesunken. In den
USA betrage sie jährlich 2 Prozent. Am Rande des Parteitags gab er das Ziel aus,
diesen Wert in Deutschland wieder auf 1 Prozent zu heben. Der Erfolg aller drei
Parteien und ihrer Vorhaben hänge an der Wirtschaft.

"Wir haben tatsächlich die Köpfe. Wir haben das Know-how. Wir haben das
Kapital. Aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg", kritisierte Lindner
in der Parteitagsrede. "Wir müssen uns selbst den Weg freigeben, denn wir haben
keine Zeit zu verlieren."

Wirtschaftlicher Niedergang ist aus Lindners Sicht auch ein Risiko für die
Demokratie. Menschen mit dem Gefühl, sie seien von Abstieg bedroht oder andere
kämen leichter voran als sie selbst, würden kritisch die demokratischen
Rahmenbedingungen hinterfragen. "Die Wirtschaftswende ist das beste
Demokratiefördergesetz, das man haben kann."

Kritik an den Ampel-Partnern bleibt insgesamt verhalten

FDP-Vize Wolfgang Kubicki rief die Partner SPD und Grüne zu Gesprächen über
das FDP-Konzept auf. "Ich kann nur dringend von hier aus appellieren: Nehmen Sie
die Gespräche mit uns auf. Denn wenn nicht gesprochen wird, wird es auch keine
Zukunft dieser Koalition geben." Ein Aufkündigen der bei vielen an der FDP-Basis
unbeliebten Koalition war beim Parteitag aber kein Thema. "Raus aus der Ampel"
war nur von einem Delegierten zu hören - Beifall erhielt er dafür nicht. Die
FDP-Kritik an einzelnen Projekten der Ampel wie am Konzept der
Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ging nicht über
das übliche Maß hinaus.

Strack-Zimmermann knöpft sich von der Leyen vor

Während die FDP das Koalitionsklima erkennbar nicht weiter strapazieren
wollte, schoss sie umso auffälliger gegen die Union. Ein Grund ist sicher der
laufende Europawahlkampf, ein anderer, dass die FDP-Spitze annimmt,
Wählerpotenzial vor allem an CDU/CSU verloren zu haben, das es zurückzuholen
gilt.

Der FDP-Vorsitzende machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
(CDU) für den überbordenden Verwaltungsaufwand in Unternehmen verantwortlich.
"Bürokratiestress in unserem Land hat einen Vornamen: Und der ist Ursula."
Bundesjustizminister Marco Buschmann ergänzte: "Ich kann gar nicht so schnell im
Bundesrecht Bürokratie abbauen, wie sie Ursula von der Leyen hinterher
produziert."

Auch Europa-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nahm sich von
der Leyen vor. "Im IHK-Unternehmensbarometer zur Europawahl haben nur fünf
Prozent der deutschen Industrieunternehmen gesagt, die EU sei in den vergangenen
fünf Jahren als Standort attraktiver geworden", sagte sie. "Wie kann man sich
nach einem solchen Misstrauensvotum unserer Wirtschaft einfach zur Wiederwahl
als Kommissionspräsidentin stellen wollen?"/cn/DP/he

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