26.04.2024 06:30:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Israel erwägt vor Rafah-Angriff neuen Geisel-Deal - Nacht im Überblick

TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Kurz vor Israels erwarteter Bodenoffensive in
Rafah im Süden des Gazastreifens gibt es Medienberichten zufolge neue Anzeichen
für Bewegung bei den festgefahrenen Verhandlungen über eine Feuerpause. Israels
Regierung ist demnach bereit, von ihrer ursprünglichen Forderung nach
Freilassung von 40 lebenden Geiseln durch die islamistische Hamas als
Gegenleistung für eine vorübergehende Waffenruhe abzurücken. Israelische Medien
berichteten am Donnerstagabend, Israel sei willens, in einer ersten Phase eines
Abkommens die Freilassung von lediglich 20 Geiseln - laut einem ranghohen
Beamten 33 Geiseln - zu akzeptieren. Dabei gehe es um israelische Frauen, Männer
über 50 Jahre und schwer Erkrankte, hieß es. An diesem Freitag seien dazu
Gespräche zwischen einem israelischen Verhandlungsteam und einer ägyptischen
Delegation in Israel geplant. Ägypten wolle eine Einigung erreichen, um Israels
Militäreinsatz in Rafah noch abzuwenden.

Temporärer Hafen vor Gaza soll Anfang Mai einsatzfähig sein

Unterdessen sind vor der Küste des umkämpften Gazastreifens US-amerikanische Schiffe im Einsatz, um dort eine provisorische Hafenanlage für die Versorgung
der Not leidenden Bevölkerung mit Hilfsgütern zu bauen. Das US-Militär habe mit
den Arbeiten begonnen und sei mit Schiffen im Einsatz, teilte Pentagon-Sprecher
Pat Ryder am Donnerstag (Ortszeit) mit. Die US-Regierung rechnet damit, dass die
vor der nördlichen Küste des Kriegsgebiets entstehende Anlage Anfang Mai
einsatzfähig sein wird. Erneut warnte die US-Regierung eindringlich vor einer
drohenden Hungersnot in Gaza. Währenddessen protestierten in Israel Angehörige
der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln vor Israels Militärhauptquartier in
Tel Aviv und forderten lautstark ihre Rückholung, während drinnen das
Kriegskabinett tagte.

Die USA, Deutschland und 16 weiterer Länder hatten zuvor die Hamas zur
sofortigen Freilassung aller Geiseln aufgerufen, die seit mehr als 200 Tagen im
Gazastreifen festgehalten werden. "Das Schicksal der Geiseln und der
Zivilbevölkerung in Gaza, die unter dem Schutz des Völkerrechts steht, ist von
internationaler Bedeutung", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Die
islamistische Terrororganisation hatte unlängst einen Kompromissvorschlag der
Vermittlerstaaten, der die Freilassung von 40 Geiseln gegen 900 palästinensische
Häftlinge während einer sechswöchigen Waffenruhe vorsah, abgelehnt.

Ringen um Freilassung der Geiseln

Demnach hätte die Hamas Frauen, Soldatinnen, Männer über 50 Jahren sowie
Männern unter 50 Jahren mit schweren Erkrankungen freilassen sollen. Die Hamas
hatte jedoch laut Berichten erklärt, sie habe keine 40 lebenden Geiseln aus
diesen Kategorien, woraufhin Israel vorgeschlagen habe, die Lücke mit Soldaten
oder Männern unter 50 Jahren zu schließen. Eine Einigung gelang aber nicht.
Israel war bis vor einigen Wochen davon ausgegangen, dass knapp 100 der rund 130
in Gaza verbliebenen Geiseln noch am Leben sind. Inzwischen wird befürchtet,
dass deutlich mehr von ihnen bereits tot sein könnten.

Nun ist Israel den Berichten vom Donnerstagabend zufolge bereit, sich
flexibel zu zeigen. Aus den Berichten ging jedoch nicht hervor, wie lange eine
Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung von 20 oder 33 Geiseln dauern würde.
Unklar ist auch, ob und in welchem Umfang palästinensische Häftlinge aus
israelischen Gefängnissen entlassen würden. Auf ein Ende des Krieges, wie es die
Hamas fordert, werde sich Israel aber nicht einlassen, hieß es.

Israel und die Hamas verhandeln seit Monaten indirekt über eine Feuerpause
und die Freilassung weiterer Geiseln, die Terroristen der Hamas und anderer
extremistischer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres nach Gaza entführt
hatten. Ägypten, die USA und Katar treten dabei als Vermittler auf. Ägypten ist
besorgt, dass Palästinenser bei einem Angriff Israels auf Rafah in großen Zahlen
aus Gaza über die Grenze kommen könnten.

Bericht: Zehntausende verlassen vor Israels Offensive Rafah

Israel hält eine Offensive in Rafah jedoch für unumgänglich, um die dort
verbliebenen Bataillone der Hamas zu zerschlagen. Es werden außerdem auch
Geiseln dort vermutet. Mehr als eine Million Menschen hatte in Rafah nach
Angaben von Hilfsorganisationen Zuflucht vor den Kämpfen im übrigen Gazastreifen
gesucht. Inzwischen hätten jedoch angesichts der drohenden Offensive 150 000 bis
200 000 palästinensische Zivilisten Rafah teils Richtung der zuvor umkämpften
Stadt Chan Junis verlassen, meldete die "Jerusalem Post" am Donnerstag unter
Berufung auf die Armee. Israels Militär hofft demnach darauf, dass weitere
Zivilisten dem Beispiel folgen und in neu errichtete Zeltstädte im Süden sowie
im Zentrum Gazas ziehen. Das Militär wollte sich auf Anfrage nicht zu dem
Bericht äußern.

"Die humanitäre Lage in Gaza ist unglaublich schlimm", sagte eine
Vertreterin der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID). Fast 30
Prozent der Kinder im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens zeigten Anzeichen
schwerer Unterernährung. Im Süden sei fast ein Viertel der Bevölkerung mit
"katastrophaler Ernährungsunsicherheit" konfrontiert. Die US-Regierung hatte
bereits Anfang März den Bau des temporären Hafens angekündigt, um Lebensmittel,
Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen. Israels Armee will bei
der Logistik und Sicherheit helfen. An dem Projekt sind laut
US-Regierungsvertretern rund tausend US-Soldaten beteiligt, die jedoch das
Kriegsgebiet nicht betreten würden.

Bemühungen um Aufstockung der Hilfe für Gaza

Die Hilfslieferungen würden zunächst über Zypern erfolgen, hieß es.
Handelsschiffe sollen sie von dort zu der mehrere Kilometer vor der Küste Gazas
liegenden schwimmenden Anlage bringen. Auf der Plattform würden die Lieferungen
dann in kleinere Schiffe umgeladen. Von dort aus sollen die Hilfsgüter mit
kleineren Schiffen, die mit Lastern beladen sind, zu einem provisorischen
schwimmenden Landungssteg am Gazastreifen gebracht werden. Im Gazastreifen
selbst würden die Güter an einem sicheren Ort abgeladen, von US-Partnern
schließlich abgeholt und an die Not leidenden Zivilisten im Kriegsgebiet
verteilt, hieß es.

Auslöser des Krieges war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten,
das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres
in Israel verübt hatten. Mehr als 250 Menschen wurden nach Gaza verschleppt.
Israel reagierte dort mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach
Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit
Kriegsbeginn mehr als 34 200 Menschen im Gazastreifen getötet und mehr als 77
200 weitere verletzt worden. Die Zahlen, die nicht zwischen Kämpfern und
Zivilisten unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Angesichts
der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen humanitären Lage im
Gazastreifen, der flächenmäßig etwa so groß ist wie München, geriet Israel
international stark in die Kritik./ln/DP/zb

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