19.04.2024 19:35:31 - dpa-AFX: WDH/ROUNDUP 5: Mutmaßlich israelischer Angriff im Iran - Keine Eskalation?

(Im 8. Absatz, zweiter Satz muss es heißen: "(...) die Verteidigungssysteme
des Irans zu testen".)

TEHERAN/TEL AVIV (dpa-AFX) - Israel hat nach übereinstimmenden
Medienberichten als Reaktion auf den Großangriff vom vergangenen Wochenende eine
Vergeltungsaktion gegen den Iran ausgeführt. Die "New York Times" berichtete von
einer israelischen Militäraktion am frühen Freitagmorgen im Iran und berief sich
dabei auf zwei israelische und drei iranische, namentlich nicht genannte
Regierungsmitarbeiter. Laut der israelischen Zeitung "Jerusalem Post" galt der
Angriff einer Luftwaffenbasis im zentraliranischen Isfahan, unweit iranischer
Atomanlagen. Diese wurden nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde
aber nicht getroffen.

Auch andere Schäden wurden nicht gemeldet. Iranische Staatsmedien wiesen
US-Medienberichte über einen Raketenangriff zurück. Am Himmel über der
iranischen Provinz Isfahan seien in der Nacht zu Freitag mehrere kleine
Flugobjekte beschossen worden, hieß es lediglich. Der US-Sender ABC News
berichtete hingegen unter Berufung auf einen nicht namentlich genannten
US-Vertreter, israelische Kampfjets, die sich außerhalb des iranischen Luftraums
befanden, hätten drei Raketen auf eine Radaranlage abgeschossen, die Teil des
Verteidigungssystems der Atomanlage von Natans nordwestlich von Isfahan gewesen
sei. Sie sei vermutlich zerstört worden.

Israel und das US-Verteidigungsministerium äußerten sich nicht zu der
Aktion. US-Außenminister Antony Blinken sagte auf einem Treffen der
G7-Außenminister auf Capri, er werde darauf nicht "nicht näher eingehen - außer
zu sagen, dass die Vereinigten Staaten an keinen Offensivoperationen beteiligt
waren".

Verhaltene Reaktionen auf beiden Seiten

Medien in Israel und dem Iran reagierten verhalten auf den mutmaßlich
israelischen Angriff. Irans Präsident Ebrahim Raisi hielt bei einer Reise in der
Provinz Semnan vor Anhängern eine Rede, erwähnte den Angriff nahe der
Millionenstadt Isfahan jedoch mit keinem Wort. Beobachter sehen die verhaltenen
Reaktionen als Zeichen dafür, dass die beiden Länder die Aktion herunterspielen
wollen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Aus Sorge vor einem neuen großen Krieg in Nahost riefen die USA,
Großbritannien, Deutschland und andere Staaten den Iran und Israel wiederholt
zur Deeskalation auf.

Der Iran hatte am Wochenende erstmals mit mehr als 300 Raketen und Drohnen
Israel direkt angegriffen. Hintergrund der iranischen Raketen- und
Drohnenangriffe war ein mutmaßlich von Israel geführter Angriff auf das
iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus, bei dem Anfang
April zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden. Irans
Staatsführung kündigte daraufhin Vergeltung an. In den vergangenen Tagen drohte
Irans Militärführung mit einer entschiedenen Antwort, sollte Israel den Iran
angreifen. Noch nie standen die verfeindeten Länder so nah an einem Krieg.

Ob die Zeichen nun auf Deeskalation stehen, hängt Analysten zufolge auch
davon ab, ob Israel es bei dem mutmaßlichen Vergeltungsschlag belässt und wie
und ob der Iran doch noch reagiert.

Beobachter: Warnung an Iran oder Testlauf

In einem optimistischen Szenario habe Israels Ziel darin bestanden, eine
ernsthafte Warnung an den Iran zu senden, schrieb Hamidreza Azizi,
Gastwissenschaftler an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, auf
der Plattform X, vormals Twitter. In einem pessimistischen Szenario habe das
Ziel Israels darin bestanden, die Verteidigungssysteme des Irans zu testen oder
die Verteidigung außer Gefecht zu setzen, die für die Verteidigung strategischer
Zentren in Isfahan verantwortlich seien. "In diesem Fall sollten wir mit mehr -
und möglicherweise umfassenderen - Angriffen auf iranischem Territorium
rechnen", so Azizi.

Nach Einschätzung des US-Militärexperten Cedric Leighton hat Israel mit dem
Vorgehen, das "ganz klar eine direkte Reaktion auf die iranischen Angriffe vom
Wochenende gewesen sei", bewiesen, dass das iranische Luftabwehrsystem nicht
annähernd die Fähigkeiten des israelischen Luftabwehrsystems habe.

Der CNN-Militärexperte Mark MacCarley sagte: "Die Israelis mussten
Vergeltung üben, aber diese Vergeltung enthielt auch eine Botschaft, nämlich:
Ja, wir können es schaffen. Macht das nicht noch einmal. Wenn ihr es noch einmal
tut, dann wird Chaos ausbrechen."

Aufrufe zur Deeskalation

US-Außenminister Blinken rief erneut zur Deeskalation auf. Mit Blick auf den iranischen Angriff auf Israel vom Wochenende sagte er bei den G7-Außenministern
auf Capri: "Wir fühlen uns der Sicherheit Israels verpflichtet." Man sei zudem
bestrebt, die Situation zu deeskalieren. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz warnte
am Freitag erneut vor einer Ausweitung des Konfliktes. "Alle müssen jetzt und in
der nächsten Zeit dafür sorgen, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation des
Krieges kommt", sagte er am Freitag. Diese Position vertrete Deutschland
gemeinsam mit seinen Verbündeten. Ähnlich äußerten sich Vertreter arabischer
Staaten.

Isfahan bekannt als Kulturstadt und Zentrum der Rüstungsindustrie

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien bestätigte am Freitag,
dass keine iranischen Atomanlagen beschädigt wurden. IAEA-Chef Rafael Grossi
rufe weiterhin "alle zu äußerster Zurückhaltung auf", hieß es in einer
Stellungnahme auf X, vormals Twitter. Nukleare Anlagen sollten nie Ziele in
militärischen Konflikten sein, betonte er.

In Isfahan befinden sich wichtige Einrichtungen der iranischen
Rüstungsindustrie, unter anderem Fabriken zur Raketenherstellung. Auch das
größte nukleare Forschungszentrum des Landes ist in der Kulturstadt mit ihren
rund zwei Millionen Einwohnern angesiedelt. Laut Rundfunk bestand für die
dortigen Atomeinrichtungen keine Gefahr. Ende Januar 2023 war im Iran eine
Munitionsfabrik des Verteidigungsministeriums nahe der Metropole Isfahan mit
mehreren kleinen Fluggeräten angegriffen worden. Die Regierung in Teheran hatte
damals den Erzfeind Israel als Drahtzieher für die Attacke verantwortlich
gemacht.

Schattenkrieg zwischen Israel und Iran nun offener Konflikt

In den Monaten nach Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 hat sich der
Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran
dramatisch zugespitzt. Der jüdische Staat sieht sich nach Angriffen von Milizen
im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen, die mit dem Iran verbündet sind, an
mehreren Fronten unter Beschuss. Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und
Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Netanjahu bezeichnete den Iran in
der Vergangenheit ebenfalls als "wichtigsten Feind".

Israel sieht in dem umstrittenen Atomprogramm sowie dem massiven Raketen-
und Drohnenarsenal des Irans die größte Bedrohung seiner Existenz. Die USA haben
Teheran immer wieder unterstellt, nach Nuklearwaffen zu streben. Der Iran
bestreitet die Vorwürfe und beteuert, sein Atomprogramm rein zivil zu nutzen.
Ein religiöses Rechtsgutachten durch Chamenei hatte Massenvernichtungswaffen als
unvereinbar mit dem Islam verboten./arb/DP/stw

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