18.04.2024 20:07:53 - dpa-AFX: ROUNDUP: EU will heimische Wirtschaft stärken - und sucht Geld

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Konkurrenz im Westen und Osten, Kriege und Krisen: Die
Staats- und Regierungschefs der EU wollen die Wirtschaftspolitik der
Staatengemeinschaft schnell an aktuelle Herausforderungen anpassen. Angesichts
geopolitischer Spannungen und der Subventionspolitik einiger Länder brauche
Europa einen wirtschaftspolitischen Wandel, schrieben die Spitzen der 27
EU-Mitgliedstaaten am Donnerstag in einer Abschlusserklärung ihres
Gipfeltreffens in Brüssel.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: "Das ist der größte Binnenmarkt der Welt,
aber er hat seine Potenziale und Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft."
Ein auf dem Gipfel diskutierter Sonderbericht gab etwa neue Impulse zu in Europa
bislang streng reglementierten Staatshilfen für die Wirtschaft.

Die EU sieht sich zunehmender Konkurrenz vor allem aus den USA und China
ausgesetzt. Beide Länder verschaffen ihren Unternehmen aus EU-Sicht mit hohen
Subventionen Vorteile, so dass Europa das Nachsehen hat.

Damit die EU nicht abgehängt wird, braucht es vor allem Geld. "Wir müssen
mehr Mittel mobilisieren", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. In der
Gipfelerklärung nennen die Spitzenpolitiker öffentliche und private
Finanzierungen als erforderlich für Investitionen in strategische
Schlüsselbereiche und Infrastrukturen.

In seinem Sonderbericht nennt Verfasser Enrico Letta die Mobilisierung von
Geld von Privatleuten und Firmen als Priorität. Der ehemalige Regierungschef
Italiens war im vergangenen Jahr mit der Analyse beauftragt worden. 33 Billionen
Euro an privaten Ersparnissen sind dem Bericht zufolge in der EU vorhanden -
überwiegend in Bargeld und Einlagen. Jährlich rund 300 Milliarden Euro an
Ersparnissen europäischer Bürger würden ins Ausland umgeleitet - vor allem in
die USA, schreibt er in seinem Bericht.

Auch vor diesem Hintergrund drängten die Staats- und Regierungschefs nach
Jahren ohne große Fortschritte auf ein "unverzügliches" Vorantreiben der
Kapitalmarktunion, wie es in der Gipfelerklärung heißt. Sie sei der Schlüssel,
um Privatkapital zu erschließen. Konkret soll die Entwicklung
grenzüberschreitender Anlage- und Sparprodukte beschleunigt werden. Auch in zwei
zuvor umstrittenen Punkten konnten die Mitgliedsländer Fortschritte machen: So
verständigten sie sich darauf, Arbeiten voranzutreiben, um wichtige Aspekte der
nationalen Regeln für Unternehmensinsolvenzen anzugleichen.

Zum anderen soll die Aufsicht über die Kapitalmärkte in der EU effizienter
werden. Die Staats- und Regierungschefs beauftragten die EU-Kommission zu
erarbeiten, wie die europäischen Aufsichtsbehörden besser zusammenarbeiten
können - um so die wichtigsten grenzüberschreitend tätigen Finanzunternehmen
besser überwachen zu können. Der Abschlusserklärung zufolge soll auch das
Finanz-Allgemeinwissen von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt werden. Wer über
mehr Wissen und Know-how verfügt, investiert eher, so die Hoffnung.

Scholz hält nach dem Treffen weitere Fortschritte beim Zusammenwachsen der
europäischen Kapitalmärkte für möglich. "Wahrscheinlich ist der nicht
ausreichend entwickelte Kapitalmarkt in Europa die wesentliche Ursache, warum
die Wachstumsdynamik in Europa nicht so groß ist, wie sie in manchen anderen
Plätzen der Welt ist", sagte der SPD-Politiker. "Ich glaube, dass wir also in
diesem Feld jetzt endlich Fortschritte sehen werden."

Mit Blick auf öffentliche Gelder sollen nach dem Willen der Staats- und
Regierungschefs vor allem die Europäische Investitionsbank und der langfristige
Haushalt der Staatengemeinschaft eine Rolle spielen.

Zudem wird in der Staatengemeinschaft darüber nachgedacht, mehr Staatshilfen in Europa zuzulassen, um die Auswirkungen staatlicher Beihilfen für Unternehmen
in China und den USA abzufedern. In seinem Bericht plädiert Letta dafür, dass es
strengere Regeln für staatliche Beihilfen auf nationaler Ebene, aber mehr
öffentliche Gelder für Projekte auf EU-Ebene geben sollte. Mitgliedstaaten
sollen verpflichtet werden, einen Teil ihrer Mittel für europaweite Projekte
bereitzustellen. Die Staats- und Regierungschefs fordern die Kommission auf, den
bürokratischen Aufwand für Unternehmen und nationale Behörden erheblich zu
verringern./rdz/DP/he

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