18.04.2024 16:25:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Gericht bestätigt Baustopp für Gasförderprojekt nahe Wattenmeerinseln

DEN HAAG/BORKUM (dpa-AFX) - Ein niederländisches Gericht hat Bauarbeiten für
die geplante Erdgasförderung in der Nordsee vor den Inseln Borkum und
Schiermonnikoog untersagt. Die von der Regierung in Den Haag erteilte
Genehmigung sei unzureichend, entschied das Verwaltungsgericht in Den Haag am
Donnerstag. Die Genehmigung zur Gasförderung ist von dem Urteil nicht betroffen,
das Verbot bezieht sich nur auf die Errichtung einer Bohrplattform. Gegen die
Baupläne hatten unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH), weitere
Umweltorganisationen und die Stadt Borkum geklagt. Damit bestätigte das Gericht
eine einstweilige Verfügung aus dem vergangenen Jahr.

Das beklagte niederländische Energieunternehmen One-Dyas teilte nach dem
Urteil mit, das Vorhaben weiter voranzutreiben. Ein Konsortium um das
Unternehmen plant, aus einem Feld vor den beiden Nordseeinseln Erdgas zu
fördern. Dazu soll eine Förderplattform auf niederländischem Hoheitsgebiet rund
23 Kilometer nordwestlich der Insel Borkum errichtet werden. Gefördert werden
soll den Plänen zufolge sowohl in niederländischen als auch in deutschen
Hoheitsgebieten, nahe dem niedersächsischen Nationalpark Wattenmeer.

Für die Bohrungen sind deshalb Genehmigungen beider Länder erforderlich. Das Wirtschaftsministerium in den Niederlanden hatte dafür bereits eine Lizenz
erteilt. Auf deutscher Seite läuft noch ein Genehmigungsverfahren. Gegen die
Genehmigung auf niederländischer Seite hatte das Bündnis um die Umwelthilfe im
Juli 2022 Klage erhoben. Im April 2023 hatte das Gericht in Den Haag die
Bauarbeiten auf niederländischer Seite zur Vorbereitung neuer Gasbohrungen
vorläufig untersagt.

Die Lizenz zur Gasgewinnung ist dem Urteil zufolge rechtmäßig. Das
zuständige Wirtschaftsministerium habe ausreichend begründet, dass die
Gasförderung aus kleinen Feldern auf See angesichts der Energiewende und
Energieversorgung notwendig sei. Das Gericht bemängelte aber, dass die möglichen
schädlichen Folgen der Bauarbeiten für Natur und Tiere nicht ausreichend
untersucht worden seien. Die geplanten Bauarbeiten könnten zu erhöhtem
Stickstoff-Ausstoß führen - mit möglichen schädlichen Folgen für ein
Naturschutzgebiet auf Schiermonnikoog. Auch seien die Folgen für Seehunde nicht
ausreichend untersucht worden. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

Umweltschutzverbände und die Insel Borkum sprachen in einer gemeinsamen
Mitteilung von einem "historischen Urteil". Die Entscheidung des Gerichts
markiere einen "Wendepunkt im Kampf für Klimaschutz und den Erhalt unserer
Natur", sagte der Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. "Sie ist ein
klares Signal dafür, dass der Schutz des Unesco-Weltnaturerbes Wattenmeer und
anderer sensibler Ökosysteme Vorrang hat vor kurzfristigen wirtschaftlichen
Interessen."

Das Urteil sei demnach auch ein Zeichen, endgültig aus allen fossilen
Energieträgern auszusteigen. "Damit das Realität wird, machen wir weiter Druck
und leiten nun auch rechtliche Schritte gegen die Öl-Förderung auf der
Förderplattform Mittelplate im Nationalpark Wattenmeer ein", teilte
Müller-Kraenner weiter mit. Von der Bohrinsel Mittelplate in Schleswig-Holstein
aus wird seit 1987 Öl in der Nordsee gefördert.

Auch Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann zeigte sich in der Mitteilung
zufrieden. "Wir freuen uns, dass mit diesem starken Signal aus Den Haag eine
wichtige Entscheidung für den Klima- und Umweltschutz, aber auch für den
Küstenschutz der deutschen und niederländischen Inseln getroffen wurde." Für die
ostfriesischen Inseln, die ausschließlich vom Tourismus und der
Gesundheitsvorsorge lebten, wären mögliche Erdbeben infolge einer
Erdgasförderung, wie zuletzt an Land im Landkreis Diepholz in Niedersachsen,
verheerend.

One-Dyas teilte dagegen mit, das Gericht habe dem Unternehmen "in fast allen Punkten Recht" gegeben. Es gebe aber auch noch "Hausaufgaben", insbesondere in
der Stickstofffrage. "Wir müssen das Urteil natürlich weiter prüfen", sagte
One-Dyas-Chef Chris de Ruyter van Steveninck. "Wir freuen uns, dass das
Gerichtsurteil in den allermeisten Umwelt- und Klimaaspekten positiv ausfällt."

Das Unternehmen verwies darauf, dass die Produktionsplattform fast fertig
für den Transport sei. Man sei bereit, die Arbeit in der Nordsee aufzunehmen,
teilte de Ruyter van Steveninck weiter mit. "Ziel ist es nach wie vor, bis Ende
2024 das erste Erdgas zur Verfügung zu haben." Nach einer mehrwöchigen
Installationszeit werde es eine Plattform geben, die mit Offshore-Windenergie
aus dem Windpark Riffgat betrieben werde.

Umweltschützer und Insulaner hatten wiederholt gegen das umstrittene
Erdgasförderprojekt demonstriert. Vor allem Greenpeace-Aktivisten hatten für
Aufsehen gesorgt, als sie vergangenes Jahr das Dach des Landtags in Hannover
besetzten, um gegen das Vorhaben zu protestieren. Die Kritiker befürchten, dass
mit der Gasförderung der Lebensraum zahlreicher gefährdeter Arten wie
Weichkorallen oder Hummern zerstört werden könnte. Insulaner sorgen zudem
mögliche Erdbeben infolge der Gasförderung.

Niedersachsens Landespolitik hatte in der Frage einen Kurswechsel vollzogen: Nachdem die damalige Regierung aus SPD und CDU die Gasförderung vor Borkum 2021
strikt abgelehnt hatte, stimmte sie ein Jahr später vor dem Hintergrund des
Ukraine-Kriegs dafür. Der aktuelle Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hatte
zuletzt erklärt, das Vorhaben sei für sein Ministerium momentan nicht
genehmigungsfähig./ab/DP/stw

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