18.04.2024 14:49:38 - dpa-AFX: GESAMT-ROUNDUP: Deutsch-Russen sollen spioniert haben - Botschafter einbestellt

BAYREUTH/KARLSRUHE (dpa-AFX) - Ein neuer Fall mutmaßlicher russischer
Spionage sorgt für Aufregung - auch in der Politik. In Bayern hat die Polizei
zwei Männer festgenommen, die für Moskau mögliche Anschlagsziele in Deutschland
ausgekundschaftet haben sollen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ließ
am Donnerstag den russischen Botschafter einbestellen; ein Sprecher des
Auswärtigen Amtes bestätigte einen entsprechenden "Bild"-Bericht.

Den beiden Russlanddeutschen, die von Beamten des Bundeskriminalamtes an
zwei unterschiedlichen Orten im Raum Bayreuth abgeholt wurden, ging es nach
Angaben des Generalbundesanwalts um Sabotageaktionen. Diese sollten insbesondere
dazu dienen, "die aus Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg
geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren". Über den Fall hatte
zuerst "Der Spiegel" berichtet.

Die Beschuldigten seien dringend verdächtig, in einem besonders schweren
Fall für einen ausländischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein, teilte der
Generalbundesanwalt mit. Dem Älteren der beiden am Mittwoch Festgenommenen wird
auch die Verabredung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und zur
Brandstiftung sowie Agententätigkeit zu Sabotagezwecken und
sicherheitsgefährdendes Abbilden militärischer Anlagen vorgeworfen.

Die in Russland geborenen Männer haben den Angaben zufolge beide die
deutsche und die russische Staatsbürgerschaft. Ermittler durchsuchten ihre Wohn-
und Arbeitsorte.

Bereitschaft zu Sabotage signalisiert

Konkret soll sich der Ältere mit jemandem, der mit einem russischen
Geheimdienst in Verbindung steht, seit mindestens vergangenem Oktober über
mögliche Sabotageaktionen ausgetauscht haben. Er soll sich bereiterklärt haben,
Sprengstoff- und Brandanschläge vor allem auf militärisch genutzte Infrastruktur
und Industriestandorte in Deutschland zu begehen. Er sammelte dem
Generalbundesanwalt zufolge Informationen über potenzielle Anschlagsziele,
darunter auch Einrichtungen der US-Streitkräfte. Der zweite Beschuldigte half
ihm demnach spätestens seit diesem März.

Zu den ausgekundschafteten Orten, über die auch der "Spiegel" berichtet
hatte, gehören nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur der US-Stützpunkt
Grafenwöhr sowie andere militärische Einrichtungen in Bayern. Einige der ins
Visier genommenen Objekte soll der Ältere der beiden vor Ort ausgespäht und
fotografiert haben, etwa Militärtransporte. Ein Angriff auf eines der Objekte
soll aber dem Vernehmen nach nicht unmittelbar bevorgestanden haben.

Deutschland im Fokus des russischen Geheimdienstes

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ließ nach der Festnahme den
russischen Botschafter einbestellen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes
bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Bild"-Zeitung. Unbekannt war
zunächst, wann genau der Termin stattfindet.

"Wir wissen, dass der russische Machtapparat auch unser Land in den Fokus
nimmt", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Auf diese Bedrohung
müsse Deutschland wehrhaft und entschlossen reagieren.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem besonders schweren Fall der mutmaßlichen Agententätigkeit für Russland. "Wir werden die Ukraine
weiter massiv unterstützen und uns nicht einschüchtern lassen", versicherte sie.

Beschuldigter soll im Donbass für Separatisten gekämpft haben

Einer der Beschuldigten steht laut Generalbundesanwalt zudem im dringenden
Verdacht, sich als Kämpfer einer bewaffneten Einheit der als ausländische
terroristische Vereinigung eingestuften "Volksrepublik Donezk" angeschlossen zu
haben. Er soll zwischen Dezember 2014 und September 2016 in der Ostukraine für
diese prorussische Vereinigung aktiv gewesen sein und über eine Schusswaffe
verfügt haben. 2014 hatten sich moskautreue Separatisten nach dem Sturz des
russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch von Kiew losgesagt. Die
neue prowestliche Führung in Kiew hatte danach mit einem Militäreinsatz
vergeblich versucht, die Kontrolle über Donezk und andere Ortschaften im Donbass
zurückzuerlangen.

Geld, Geltungsdrang oder politische Überzeugung als Motiv

Es ist nicht der erste mutmaßliche Spionagefall, der die Bundesanwaltschaft
beschäftigt:

- In Berlin steht aktuell ein ehemaliger Mitarbeiter des
Bundesnachrichtendiensts (BND) vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm und
einem Geschäftsmann Landesverrat in besonders schwerem Fall vor. Sie sollen im
September und Oktober 2022 geheime Dokumente und Informationen aus dem deutschen
Auslandsnachrichtendienst an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB gegeben
haben. Dafür sollen sie laut Anklage einen "Agentenlohn" von 450 000 Euro
beziehungsweise 400 000 Euro bekommen haben. Die beiden Deutschen sitzen in
Untersuchungshaft.

- Im vergangenen August war in Koblenz ein Berufssoldat festgenommen worden, der beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der
Bundeswehr arbeitete. Die Einrichtung ist zuständig für die Ausstattung der
Bundeswehr mit Material und Waffen sowie die Entwicklung, Erprobung und
Beschaffung von Wehrtechnik. Ab Mai 2023 soll der Mann mehrfach dem russischen
Generalkonsulat in Bonn und der russischen Botschaft in Berlin eine
Zusammenarbeit angeboten haben.

- Die Bundeswehr stellt seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die
Ukraine an ihren Standorten vermehrt Drohnenüberflüge fest. Aktenkundig wurden
unter anderem Verdachtsfälle im bayerischen Wildflecken, in Grafenwöhr und im
rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein sowie am Truppenübungsplatz Altengrabow in
Sachsen-Anhalt.

Neuer Spionagefall wirft auch politische Fragen auf

"Es bleibt dringend notwendig, Hinweise auf verschiedene Operationen
zusammenzuführen, die ganzheitliche Strategie dahinter zu erkennen und sich
daraus ergebende Muster zu analysieren, um sich dagegen wehrhaft aufzustellen
und zu behaupten", sagte der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz (Grüne).
Er ist Vorsitzender des geheim tagenden Bundestagsgremiums zur Kontrolle der
Geheimdienste und forderte: "Deutschland muss sich zukünftig deutlich robuster,
resilienter und wehrhafter aufstellen."

Auch der Grünen-Vorsitzende, Omid Nouripour, fragt sich, ob hier genug getan wird. "Die im Raum stehenden Vorwürfe sind ein erneutes Zeichen dafür, wie tief
russische Agentennetzwerke in Deutschland verwurzelt sind und wie langfristig
Planungen erfolgen", sagt der Co-Vorsitzende. Es sei daher dringend geboten, die
Spionageabwehr stärker in den Blick zu nehmen und Polizei und Nachrichtendienste
für diese Aufgabe zu rüsten./abc/DP/mis

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