28.03.2024 16:34:22 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Grenzwert für Cannabis am Steuer in Sicht

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BERLIN (dpa-AFX) - Kiffen wird für Erwachsene am Ostermontag mit vielen
Vorgaben legal. Und was heißt das für Cannabis am Steuer? Vorerst gilt die
strikte Linie weiter, dass schon beim bloßen Nachweis des berauschenden Stoffes
Geldbußen oder Punkte in Flensburg drohen. Jetzt kommt aber - wie bei der
0,5-Promille-Marke für Alkohol - ein Grenzwert in Sicht, wie viel des
Cannabis-Wirkstoffes THC noch tolerierbar sein soll. Eine Expertenkommission
legte am Freitag einen Bericht vor und empfiehlt einen gesetzlichen Grenzwert
von 3,5 Nanogramm je Milliliter Blutserum. Für eine Umsetzung ist jetzt der
Bundestag am Zug. Aber es gibt auch schon Kritik.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hob zum Start der Cannabis-Freigabe
extra noch einmal hervor: "Auch ab dem 1. April gilt weiterhin: Wer kifft, fährt
nicht." Begleitend zum Gesetz für die teilweise Legalisierung der Droge beriet
aber eine Expertenkommission des Bundesverkehrsministeriums, wie ein
verantwortbarer Grenzwert für den Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) gefasst
werden könnte. Heraus kam eine Empfehlung, die auch ein verschärftes Augenmerk
auf riskanten "Mischkonsum" von Cannabis und Alkohol legt.

Die Ausgangslage: Ordnungswidrig handelt aktuell, wer "unter Wirkung"
berauschender Mittel Auto fährt, zu denen Cannabis gehört. Und die Wirkung liegt
schon vor, wenn die Substanz überhaupt nachgewiesen wird. In der Rechtsprechung
hat sich dafür ein Wert von 1 Nanogramm etabliert. Dann drohen laut
Verkehrssicherheitsrat mindestens 500 Euro Bußgeld, zwei Punkte und ein Monat
Fahrverbot. Beim Verkehrsgerichtstag sprachen sich Experten 2022 für eine
"angemessene" Heraufsetzung eines Grenzwertes aus. Denn die 1 Nanogramm seien so
niedrig, dass auch viele sanktioniert werden, bei denen sich eine mögliche
Minderung der Fahrsicherheit nicht tragfähig begründen lasse.

Der Grenzwert: Die Arbeitsgruppe mit Experten aus Medizin, Recht und Verkehr empfiehlt nun eine Marke von 3,5 Nanogramm, wie das Ministerium mitteilte. Bei
diesem Wert sei "eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines
Kraftfahrzeuges nicht fernliegend". Dies sei mit einer Blutalkoholkonzentration
von 0,2 Promille vergleichbar und liege deutlich unter der Schwelle von 7
Nanogramm, ab der ein Unfallrisiko steige. In die 3,5 Nanogramm eingerechnet ist
demnach auch schon ein "Sicherheitszuschlag" von 1 Nanogramm wegen möglicher
Messfehler.

Mischkonsum: Eine strengere Regelung empfehlen die Experten dafür, wenn
Kiffen und Alkohol am Steuer zusammenkommen. Wegen dieser besonderen Gefährdung
sollte bei Cannabiskonsum ein absolutes Alkoholverbot am Steuer gelten - und
zwar entsprechend des bestehenden Alkoholverbots für Fahrerinnen und Fahrer in
der Probezeit nach dem Führerschein-Erwerb und für unter 21-Jährige.
Ordnungswidrig handelt dann, wer als Cannabiskonsument am Steuer sitzt und
Alkohol trinkt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter Wirkung alkoholischer
Getränke steht.

Studien zur Wirkung: Dass Rauschmittel Folgen für die Fahrtüchtigkeit haben
können, ist unbestritten. Bei Cannabis ist die Wirkung aber nicht dieselbe wie
bei Alkohol. Die Experten führen in dem Bericht auch verschiedene Studien dazu
an. So hätten sich im Fahrsimulator signifikante Cannabis-Beeinträchtigungen
beim Spurhalten gezeigt. Sicherheitsrelevante Wirkungen treten demnach am
stärksten 20 bis 30 Minuten nach dem Rauchen auf und klingen nach drei bis vier
Stunden wieder ab. Dabei falle bei Konsumenten, die höchstens einmal in der
Woche kiffen, die THC-Konzentration im Blut in einigen Stunden ab. Bei häufigem
Konsum könne sich THC im Körper anreichern und noch Tage bis Wochen im Blut
nachweisbar sein.

Tests: Die Kommission schlägt zudem vor, bei Kontrollen Speicheltests
einzusetzen. So bekäme die Polizei ein Messinstrument an die Hand, mit dem sie
akuten Konsum und damit ein mögliches Sicherheitsrisiko identifizieren könne.
Dies diene auch der Verhältnismäßigkeit und senke Kosten und Aufwand. "Wenn ein
Fahrer Anzeichen von Ausfallerscheinungen zeigt, ist in jedem Fall, also auch
bei negativem Speicheltest, eine Blutprobe erforderlich."

Die Empfehlung stieß umgehend auf Kritik. In der Arbeitsgruppe selbst gab
ein Vertreter der Innenministerkonferenz für die Polizeien von Bund und Ländern
zu Protokoll, dass er einen höheren Grenzwert als 1 Nanogramm ablehnt. Der
CDU-Verkehrspolitiker Florian Müller monierte, die empfohlene Verdreifachung des
Grenzwertes sei der Beleg, "dass der Bundesregierung die Cannabis-Legalisierung
wichtiger ist als die Verkehrssicherheit".

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte, dass zumindest in diesem Punkt
in Sachen Cannabis mehr Rechtssicherheit einziehen solle. Nötig wäre aber ein
zweiter, niedrigerer Wert, der insbesondere für Fahranfänger oder für Fahrer von
Personentransporten gelten sollte. Die Polizei brauche für wirksame Kontrollen
auch moderne Nachweis- und Analyseinstrumente. "Daran mangelt es. Ebenso an der
nötigen Fortbildung", sagte GdP-Vize Alexander Poitz. Zudem müsste der
Kontrolldruck erhöht werden. Aufgrund der Personallücken bei der
Verkehrsüberwachung sei das jedoch eine Herausforderung.

Wie schnell aus den Empfehlungen ein Gesetz wird, muss sich nun zeigen.
FDP-Fraktionsvize Carina Konrad sagte, die unabhängige Kommission habe einen
fundierten Vorschlag frei von politischer Einflussnahme gemacht. "Diesen sollten
wir so umsetzen, um weiterhin Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten."
Die FDP-Fachpolitikerin Kristine Lütke sagte, der Bundestag sollte auf der
Grundlage dieses "ausgewogenen Vorschlags" nun zügig ein Gesetzgebungsverfahren
für den neuen Grenzwert einleiten./sam/DP/ngu

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