27.05.2023 18:55:49 - dpa-AFX: Faeser: Bund beobachtet Grenze sorgfältig - Mehr Einreisen aus Polen

BERLIN/SWIECKO (dpa-AFX) - Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält
trotz wachsender Kritik derzeit an der Ablehnung stationärer Grenzkontrollen zu
Polen fest - schließt sie aber für die Zukunft nicht völlig aus. "Der Bund
beobachtet die Entwicklung an den Grenzen weiterhin sorgfältig", sagte ein
Ministeriumssprecher der Deutschen Presse-Agentur. "Die vorübergehende
Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an anderen deutschen Grenzen sieht
die Bundesregierung dabei weiterhin als Ultima ratio an, die zur Erreichung des
damit verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss."

Bund und Länder hatten auf dem Flüchtlingsgipfel am 10. Mai vereinbart,
stationäre Kontrollen wie an der Grenze zu Österreich abhängig von der Lage auch
an anderen Binnengrenzen Deutschlands einzuführen. Die CDU-Innenminister von
Brandenburg und Sachsen, Michael Stübgen und Armin Schuster, verlangen von
Faeser die Umsetzung für die Grenzen zu Polen und Tschechien. Auch Brandenburgs
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) pocht darauf. Faeser verwies in einem
Brief auf bisherige Schwankungen bei Einreisen über Polen.

Die Zahlen der Bundespolizei zeigen indes, dass unerlaubte Einreisen über
Polen zuletzt deutlich zugenommen haben: Von Januar bis März dieses Jahres lag
die Zahl nach Angaben des Bundesinnenministeriums mit 4013 Fällen an der Spitze
vor Österreich mit 3674 Fällen - anders als im letzten Vierteljahr 2022, wo
Einreisen aus Österreich (8819) vor denen aus der Schweiz (6885) und Polen
(6395) lagen. Der Trend des ersten Quartals setzte sich im April fort - da waren
es 2427 illegale Einreisen aus Polen und 1298 aus Österreich.

Die Kritik aus der Union wird lauter. Solange die Zahl illegaler Einreisen
nach Deutschland so hoch sei wie jetzt, seien konsequente Maßnahmen nötig, um
die Entwicklung zu stoppen, sagte die CDU/CSU-Fraktionsvizechefin Andrea
Lindholz (CSU).

In den sogenannten Schengen-Staaten gibt es keine Grenzkontrollen - sie sind aber begrenzt möglich. Deutschland kontrolliert seit Herbst 2015 in Bayern an
der Grenze zu Österreich, nachdem sich Zehntausende über die Balkan-Route auf
den Weg nach Westeuropa gemacht hatten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
(CSU) sieht dafür weiter großen Bedarf: "Unmittelbare Grenzkontrollen an der
Grenze Bayerns zu Österreich (...) sind derzeit absolut notwendig", sagte er der
dpa. Faeser hatte sie zum 12. Mai um sechs Monate verlängert.

Die Bundesinnenministerin kündigte am Donnerstag mit Blick auf die Einreisen mehr Schleierfahndung an den Grenzen zu Polen und Tschechien an. Brandenburgs
CDU-Fraktionschef Jan Redmann hält das für ein Placebo. "Die Bundespolizei
bleibt ein uniformiertes Begrüßungskomitee, das irregulär Einreisende in die
Erstaufnahmeeinrichtung fährt", sagte er. "Es braucht Grenzkontrollen mit der
Befugnis zurückzuweisen."

Nach dem Aufenthaltsgesetz kann jemand, der illegal eingereist ist,
zurückgeschoben werden. Ist er vor der Grenze, ist Zurückweisung möglich. Die
Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Bundespolizei hält stationäre Kontrollen
nicht für effektiv, weil sie umgangen werden können. Faeser verweist darauf,
dass bei der Schleierfahndung Menschen im Einzelfall ab- und zurückgeschoben
werden können. Laut GdP ist zurückschieben aber aufwendiger als zurückweisen.

Die Wiedereinführung von Kontrollen an der Grenze zu Tschechien ist erstmal
vom Tisch, wie ein Treffen von Faeser mit ihrem tschechischen Kollegen Vit
Rakusan am Freitag ergab. Dort warnte Faeser vor einem großen Hindernis für
Pendler und Wirtschaft im Fall stationärer Kontrollen. Am Dienstag besucht sie
das Gemeinsame Zentrum der deutschen und polnischen Polizei in Swiecko (Polen)
nahe Frankfurt (Oder) in Brandenburg. Faeser hofft dort auf eine ähnliche
Vereinbarung wie im Fall von Tschechien.

Der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), René Wilke (Linke) warnt,
ausgeweitete Kontrollen dürften den Alltag in der Doppelstadt Frankfurt
(Oder)/Slubice (Polen) nicht behindern. "Familien, Einkaufen, Kultur und Sport,
Hochschulen und Kitas - das ist alles verzahnt miteinander", sagte er der dpa.
"Da kann man nicht einfach die Rückwärtstaste drücken."

Die Grünen wenden sich gegen stationäre Kontrollen. "Ich sehe massive
Nachteile, was den freien Grenzverkehr angeht", sagte Brandenburgs
Integrationsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). "Es ist auch Polen gegenüber
ein schwieriges Zeichen." Und sie verweist auf die langen Staus, als es
Grenzkontrollen in der Corona-Pandemie gab./vr/mow/DP/zb

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