10.05.2024 17:51:50 - dpa-AFX: ROUNDUP 3: Russischer Großangriff auf Grenzregion bei Charkiw

(neu: Erklärung Selenskyj)

KIEW (dpa-AFX) - Ein neuer russischer Großangriff bei der Millionenstadt
Charkiw setzt die geschwächte ukrainische Armee noch stärker unter Druck. Nach
der Vereidigung von Kremlchef Wladimir Putin für eine neue Amtszeit und dem
pompös gefeierten Tag des Sieges in Moskau begannen am Freitag russische Truppen
einen Angriff auf die ukrainische Stadt Wowtschansk. Sie liegt etwa 40 Kilometer
nordöstlich von Charkiw an der Grenze zu Russland.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte den russischen
Angriff, betonte gleichzeitig, dass die ukrainische Militärführung mit diesem
Vorgehen des russischen Militärs gerechnet habe. "Die Ukraine ist ihnen dort mit
unseren Truppen, Brigaden und Artillerie begegnet", sagte er nach Angaben der
Agentur Ukrinform. "Aber unsere militärische Führung war sich dessen bewusst und
hat ihre Kräfte so berechnet, dass sie den Feind mit Artilleriefeuer empfangen
konnten." Die russischen Angriffe seien somit gestoppt worden.

Am Morgen ab 5.00 Uhr Ortszeit (4.00 Uhr MESZ) seien feindliche Bodentruppen im Schutz von Panzerfahrzeugen vorgerückt, um die Verteidigungslinien zu
durchbrechen, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium in Kiew mit.
Bislang seien die Angriffe abgewehrt worden, die Kämpfe dauerten jedoch in
unterschiedlicher Intensität an. Unabhängig waren diese Angaben nicht zu
überprüfen.

Nicht genannte Quellen im ukrainischen Militär sagten dem Portal Ukraijinska Prawda, vier Grenzdörfer Striletsche, Krasne, Pylne und Boryssiwka seien von
russischen Truppen erobert worden. Sie liegen noch dichter an Charkiw, das seit
Monaten heftigen russischen Luftangriffen ausgesetzt ist.

Das Verteidigungsministerium informiert

Über eine mögliche russische Offensive bei Charkiw wird seit Wochen
spekuliert. Es gibt Berichte, dass die russischen Truppen dort mehrere
Zehntausend Mann zusammengezogen haben. Für den Ernst der Lage spricht, dass das
Verteidigungsministerium in Kiew sich dazu äußerte, nicht wie sonst der
Generalstab. "Zur Verstärkung der Verteidigung an diesem Frontabschnitt werden
Reserven herangeführt", teilte das Ministerium mit.

Schon am Tag zuvor sei der Frontabschnitt bei Wowtschansk von russischen
Kampfflugzeugen aus der Luft mit Gleitbomben bombardiert worden. Über Nacht habe
die russische Artillerie die ukrainischen Linien beschossen, zur Vorbereitung
des Angriffs.

"Die Streitkräfte der Ukraine halten ihre Stellungen: Es ist kein Meter
Boden verloren gegangen", schrieb der Gouverneur des Gebietes Charkiw, Ihor
Synjehubow, auf Telegram. Eine Gefahr für die Großstadt Charkiw sehe er
einstweilen nicht. Der russische Militärblogger Rybar schrieb zu den Gefechten
in der Region: Es gehe zunächst darum, die Kampfzone auszuweiten und im Gefecht
die feindlichen Stellungen aufzuklären.

Russland nutzt Zeitfenster

Für die ukrainische Armee bedeutet die Offensive ein weiteres Problem an der etwa 1000 Kilometer langen Front im Osten und Süden, nachdem sie zuletzt schon
bei Bachmut und Awdijiwka zurückgedrängt wurde. Den Verteidigern fehlen immer
noch Waffen und Munition, nachdem innenpolitischer Streit in den USA über Monate
einen regelmäßigen Nachschub verhindert hatte.

Mittlerweile ist ein milliardenschweres Rüstungspaket beschlossen. Doch
Russland versuche die Zeit bis zum Eintreffen dieser Waffen an der Front
auszunutzen, sagte der Kommandeur des ukrainischen Heeres, Olexander Pawljuk,
der britischen Zeitschrift "Economist". "Russland weiß, dass sich die Lage gegen
sie wenden könnte, wenn wir in ein bis zwei Monaten genügend Waffen bekommen."

Die russische Seite des Grenzgebietes ist die einzige Region, die bislang
vom Krieg erfasst worden ist. Die ukrainische Armee beschießt die Großstadt
Belgorod und ihr Umland mit Drohnen und Artillerie. Sie will damit den
russischen Nachschub stören und den Beschuss auf Charkiw unterbinden. Die Kämpfe
auf russischem Boden waren für Moskau gerade während der Präsidentenwahl Mitte
März ein Problem. Putin drohte damals an, ukrainisches Gebiet als
Sicherheitszone zu erobern, um Belgorod und andere Städte in Grenznähe zu
schützen. Die Ukraine wehrt seit mehr als zwei Jahren eine großangelegte
russische Invasion ab./fko/DP/nas

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