10.05.2024 13:19:25 - dpa-AFX: WDH/SPORT/Triple greifbar: Alonso nach Bayers Last-Minute-Wahnsinn emotional

(Tippfehler korrigiert)

LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Das war selbst für Allesgewinner Xabi Alonso fast ein bisschen zu viel des Guten. Als der Trainer von Bayer Leverkusen nach dem
nächsten Last-Minute-Wahnsinn und dem Final-Einzug in der Europa League erst
nach Mitternacht zur Pressekonferenz aufs Podium kam, rang der eloquente
Weltmann zwischenzeitlich nach Worten. "Unglaublich. Ich bin irgendwie ein
bisschen sprachlos", sagte der Spanier nach dem 2:2 gegen die AS Rom und da
schon anderthalb Stunden Feierlichkeiten und TV-Interviews. Und irgendwie müsse
er ja doch "immer das Gleiche" erzählen.

Doch die Leverkusener lieben in dieser so einzigartigen Saison das Drama.
Und es ist tatsächlich längst ein Déjà-vu, wenn sie in der Nachspielzeit eines
verlorenen geglaubten Spiels treffen und ihre unglaubliche Serie doch nochmal
verlängern. Der Ausgleich von Josip Stanisic in der 90.+7. Minute am Donnerstag
war das 15. Pflichtspiel-Tor nach der 90. Minute. "Das ist schwer zu erklären.
Unglaublich, dass es immer und immer wieder passiert", sagte Alonso:
"Normalerweise gibt es auf so einem langen Weg irgendwann eine Niederlage". Aber
bei seinem Team ist in dieser Saison fast nichts normal.

Als Spieler hat Alonso alles gewonnen. 18 Titel holte er, war Weltmeister
und je zweimal Europameister und Champions-League-Sieger. Aber den Erfolg vom
Donnerstag feierte er mit einem Jubellauf, ein paar aufgeregten Hüpfern und
einem Tanz vor der Nordkurve ungewohnt emotional und ausgelassen. Denn eine
solche Serie von nun 49 Pflichtspielen ohne Niederlage hat auch er noch nicht
erlebt. Natürlich nicht. Weil es im europäischen Fußball noch nie so eine Serie
gab. Benfica Lissabon hat von Dezember 1963 bis Februar 1965 mal 48 Spiele
wettbewerbsübergreifend ohne Niederlage geschafft und hielt nach Angaben der
Bundesliga bisher Rekord. Nun gehört auch dieser Leverkusen, das im Verlauf
dieser Saison fast unzählbare kleinere und größere Bestmarken eingesammelt hat.

Das Triple ist für Bayer angesichts der feststehenden Meisterschaft und zwei Endspielen endgültig greifbar. Doch die Mannschaft zieht auch einen
unglaublichen Antrieb aus der Jagd nach der Serie. Nach dem 2:0 in Rom hätte das
1:2 am Donnerstag nach zwei Elfmetern gegen Bayer und einem Eigentor der Römer
Leverkusen zum Final-Einzug gereicht. Sein Team sei nach dem eigentlich
erlösenden Anschlusstor aber "in der Nachspielzeit nicht immer zu Boden gegangen
und hat so getan, als wären wir verletzt", sagte Mittelfeld-Stratege Granit
Xhaka mit einer Spitze gegen die Römer und deren Verhalten nach dem 2:0: "Wir
wären brutal enttäuscht gewesen, wenn wir weitergekommen wären und verloren
hätten. Weil wir das auf keinen Fall verdient gehabt hätten."

Es ist eben diese "unfassbare Mentalität" (Xhaka), die Leverkusen in dieser
Fabel-Saison auszeichnet. Doch weil diesem Denken bei einem ausreichenden
Ergebnis in einem Europacup-Halbfinale ein gewisses Risiko innewohnt, verfolgte
Alonso das mit gemischten Gefühlen. "Um ehrlich zu sein: Ich hatte in diesem
Moment keinen Einfluss mehr auf meine Mannschaft", gab er offen zu: "Es war eine
etwas komische Situation. Das 1:2 war genug, aber die Spieler wollten mehr. Ich
konnte sie nicht mehr kontrollieren." Seine Einwechslung in der 90. Minute sei
"sicher eher defensiv gedacht" gewesen, sagte Stanisic. Doch er stürmte nach
vorne und traf mit purem Willen. Immerhin hätte sein Team "ein gutes Gefühl und
eine gute Kontrolle" gehabt, sagte Alonso gnädig.

Und schließlich war er selbst auch ein Risiko eingegangen. Denn Juwel
Florian Wirtz hätte wegen Oberschenkel-Beschwerden eigentlich gar nicht spielen
sollen. "Er konnte nicht richtig laufen. Ist gehumpelt", erzählte sein Trainer.
Doch Wirtz habe der Mannschaft "unbedingt helfen" wollen. Alonso brachte ihn
beim Stand von 0:2 in der 81. Minute mit dem drohenden Aus vor Augen. "Es war
ein bisschen ein Risiko", sagte er. "Aber wir brauchten etwas Spezielles. Einen
Pass, ein Dribbling. Irgendetwas anderes. Deshalb habe ich dieses Risiko auf
mich genommen. Und es hat funktioniert." Denn obwohl Wirtz an beiden Toren nicht
direkt beteiligt war, so hatte er doch die Wende gebracht. "Auch mit 70 Prozent
ist Flo noch ein guter Spieler", merkte Alonso an.

In der Bundesliga, wo Bayer am Sonntag (19.30 Uhr/DAZN) in Bochum im 50.
Spiel an den Ort der letzten Niederlage vor fast genau einem Jahr zurückkehrt,
und gegen Augsburg, wird Wirtz sich ausruhen dürfen. Denn er wird gebraucht in
den Endspielen der Europa League am 22. Mai in Dublin gegen Atalanta Bergamo und
im DFB-Pokal drei Tage später in Berlin gegen den 1. FC Kaiserslautern. Es wird
eine unglaubliche Woche für die zuvor seit 31 Jahren titellosen Leverkusener,
umrahmt von der Übergabe der Meisterschale am 18. Mai und der offiziellen
Saison-Abschlussfeier mit erwarteten 80 000 Fans am 26. Mai.

"Dass wir in der letzten Woche zwei Finals haben, ist der größte Erfolg",
sagte Alonso: "City war letztes Jahr in so einer Situation. Aber das haben nur
wenige." Manchester gewann im Vorjahr das Triple. Das kann nun Leverkusen
wiederholen, wenn auch mit der Europa statt der Champions League. "Nach diesem
großen Sieg ist es unser Ziel, drei Titel zu holen", sprach Alonso dann auch
klar aus. Und appellierte an sein Team, jetzt durchzuziehen. "Wir wollen nicht
stoppen. Es gibt noch ein Spiel und noch eins", sagte er. "Vielleicht sagen wir
ja nach dem Pokalfinale, wir stoppen jetzt mal und gehen in Urlaub."
Vielleicht./sho/DP/nas

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