09.05.2024 20:47:19 - dpa-AFX: ROUNDUP 3/Biden erhöht Druck auf Israel: Keine Waffen für Großangriff in Rafah

(im 3. Absatz Netanjahu, 4. und 5. Absatz Kirby, 11. Absatz: Verhandlungen
gehen weiter, im vorletzten Absatz UN ergänzt)

WASHINGTON/TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Die USA haben für den Fall eines
weiteren Vormarschs der israelischen Armee in Rafah mit der Einschränkung von
Waffenlieferungen gedroht. Falls das israelische Militär für eine Offensive in
dicht bevölkerte Teile der Stadt einmarschiere, werde dies Konsequenzen bei den
US-Waffenlieferungen haben, sagte Biden in einem Interview des Fernsehsenders
CNN, das am Mittwochabend (Ortszeit) ausgestrahlt wurde. Für eine großangelegte
Invasion in Rafah, wo Hunderttausende Zivilisten Schutz suchen, werde seine
Regierung nicht die Waffen bereitstellen. Biden versicherte zugleich, die USA
stünden Israel bei der eigenen Verteidigung vor Angriffen uneingeschränkt zur
Seite.

Kritik an Biden in Israel

In Israel stieß Bidens Drohung auf scharfe Kritik vor allem am rechten Rand
des politischen Spektrums. Der Polizeiminister Itamar Ben-Gvir schrieb auf der
Plattform X spöttisch, die islamistische Hamas liebe Biden. Um seine Botschaft
deutlich zu machen, setzte er zwischen die Wörter Hamas und Biden ein
Herz-Emoji. Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb in einer Mitteilung, Israel
habe eine Erinnerung daran erhalten, "dass unser Unabhängigkeitskrieg noch
andauert".

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte am Donnerstag, dass sich Israel angesichts internationaler Kritik im Gaza-Krieg notfalls auch
alleine verteidigen werde. "Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden
wir für uns alleine stehen", sagte er in einer Videobotschaft. Falls nötig werde
Israel "mit seinen Klauen" kämpfen und siegen.

Die US-Regierung appellierte unterdessen an Israel, von einer großen
Bodenoffensive in Rafah abzusehen und so auch eine Beschränkung amerikanischer
Waffenlieferungen abzuwenden. "Wir hoffen, dass es nicht dazu kommt", sagte der
Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Die
Entscheidung liege bei Israel.

Nach Angaben von Kirby handelt es sich bei der einen bislang pausierten
US-Lieferung um 2000 Pfund (rund 900 Kilogramm) schwere Bomben. Die Lieferung
sei bereits vor dem Beginn des Gaza-Kriegs genehmigt worden. Es handele sich
vorerst lediglich um eine "Verzögerung" - eine endgültige Entscheidung sei nicht
gefallen. Es gebe keinen generellen Stopp von Waffenlieferungen an Israel. Viel
hänge davon ab, was Israel in Rafah tue.

Analysten zufolge setzt Israel die Bomben im Kampf gegen die Hamas ein, um
etwa die Tunnel der Islamisten im Untergrund zu zerstören.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte am Mittwoch mit Blick auf die
ausgesetzte Lieferung bereits deutlich gemacht, dass Washington von Israel
erwarte, in Gaza präzise vorzugehen, um Zivilisten zu schützen.
2000-Pfund-Bomben jedoch könnten "Kollateralschäden" anrichten.

Israel setzt Kampf gegen die Hamas fort

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und der jordanische
Ministerpräsident Bischer al-Chasauneh warnten am Donnerstag bei einem Treffen
in Kairo erneut vor den katastrophalen humanitären Folgen einer großen Offensive
in Rafah. Israelische Soldaten waren in der Nacht zum Dienstag auch in Teile
Rafahs an der Grenze zu Ägypten vorgerückt. Die Armee übernahm dort eigenen
Angaben nach die Kontrolle des Grenzübergangs auf der palästinensischen Seite.

"Die USA sagten, sie wollten, dass wir die Operation einschränken, dass wir
uns mit einer großangelegten Invasion zurückhalten. Und Israel hat das getan und
wird immer noch bestraft", zitierte das "Wall Street Journal" Michael Oren,
ehemals Botschafter Israels in Washington.

Er bezeichnete demnach Bidens Drohung mit der Beschränkung von
Waffenlieferungen im Fall einer Invasion in Rafah als "Präventivschlag" gegen
jede israelische Maßnahme zur Ausweitung des Einsatzes gegen die Hamas in der
Stadt.

Überschreitet Israel Bidens "rote Linie"?

Die USA hatten Israels Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen immer
wieder vor einer großangelegten Bodenoffensive in Rafah gewarnt
- Biden sprach von einer "roten Linie". In dem CNN-Interview
argumentierte der US-Präsident nun, das israelische Militär sei noch "nicht in
die Bevölkerungszentren vorgerückt - was sie getan haben, ist direkt an der
Grenze". Auf Nachfrage, ob die von ihm definierte rote Linie seiner Einschätzung
nach also bislang nicht überschritten sei, sagte Biden: "Noch nicht." Er habe
Netanjahu und dessen Kriegskabinett aber klargemacht, dass sie nicht mit
US-Unterstützung rechnen könnten, "wenn sie tatsächlich in diese
Bevölkerungszentren gehen".

Das "Wall Street Journal" zitierte israelische Analysten, wonach die Hamas
mit dem Einsatz in Rafah unter Druck gesetzt werden soll, ein Abkommen zu
akzeptieren, das hinter den Forderungen der Terrororganisation zurückbleibe. Die
Hamas besteht weiterhin unter anderem auf einem Abzug der israelischen Truppen,
was Israel strikt ablehnt.

Schwierige Verhandlungen in Kairo

Die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gaza-Krieg gingen unterdessen nach Angaben der US-Regierung in Kairo weiter. Ziel der Gespräche ist es zugleich,
die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch für
palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erzielen.

Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit
darin, weiter anzugreifen, zitierte das "Wall Street Journal" einen ehemaligen
Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu
zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die
Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen.

Große Gefahr für Zivilisten

Nach UN-Schätzungen halten sich gegenwärtig insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung Gazas. Auch
Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer wieder vor
einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Seit dem Vorrücken der israelischen Armee
in die Stadt Rafah sind nach UN-Angaben rund 80 000 Menschen aus der Stadt
geflohen. Die Menschen seien nirgendwo sicher, mahnte das UN-Hilfswerk für
Palästinenser auf X. Die Belastung für die Betroffenen sei unerträglich.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde des
Küstenstreifens sind seit Ausbruch des Krieges in Gaza 34 904 Menschen getötet
worden. Mehr als 78 500 Menschen wurden nach Angaben von Donnerstag seitdem
verletzt.

Grenzübergang Kerem Schalom erneut beschossen

Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem
Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen
Gazastreifen. Zum dritten Mal binnen weniger Tage hatte der militärische Arm der
Hamas den Grenzübergang Kerem Schalom am Mittwochabend beschossen. Sie hätten
Raketen auf israelische Truppen gefeuert, teilten die Kassam-Brigaden mit. Der
wichtige Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen war
kurz zuvor erst nach mehrtägiger Schließung wieder geöffnet worden, nachdem er
am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem vier israelische
Soldaten getötet worden waren, geschlossen worden war.

Nach Darstellung Israels wurden am Mittwoch wieder Hilfsgüter über Kerem
Schalom nach Gaza transportiert, UN-Angaben vom Donnerstag zufolge gab es
widersprüchliche Angaben dazu, ob Lieferungen durchgekommen sind. "Wir müssen
sicherstellen, dass die Sicherheits- und Logistikbedingungen rund um den
Grenzübergang Kerem Shalom einen kontinuierlichen täglichen Versorgungsfluss
nach Gaza ermöglichen. Im Augenblick ist es eine militarisierte Zone. Die
Straßen sind unsicher", sagte Sprecher Farhan Haq.

Ein Frachter mit Hunderten Tonnen Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung im
Gazastreifen ist unterdessen aus dem zyprischen Hafen von Larnaka ausgelaufen.
Wie der zyprische Regierungssprecher Giannis Antoniou am Donnerstag im Rundfunk
sagte, werde der Frachter "Sagamore" bald in Gaza eintreffen. "Bis der Frachter
ankommt, wird auch der Pier, den die USA bauen, fertig sein", fügte er
hinzu./ln/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH