08.05.2024 16:09:58 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Pistorius in den USA: Keine Schuldenbremse für Verteidigungsetat

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NEW YORK (dpa-AFX) - Die Schuldenbremse darf nach Ansicht von
Verteidigungsminister Boris Pistorius Ausgaben für die Bundeswehr nicht weiter
beschränken. Der SPD-Politiker forderte am Rande eines Besuchs in New York,
Ausgaben für die Verteidigung und auch für Teile der Krisenvorsorge von der
Schuldenbremse auszunehmen. Er berief sich in seiner Argumentation auf die
Verfassung, in der sowohl die Schuldenbremse als auch die Verteidigungsfähigkeit
der Streitkräfte verankert sind. "Die Schuldbremse bliebe ja bestehen, aber die
Ausgaben für Verteidigung und Zivilschutz würden nicht dort eingerechnet", sagte
Pistorius am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Sein Haus habe dazu ein
Rechtsgutachten erstellt.

Finanzminister Christian Lindner reagierte umgehend. "Der Kollege Pistorius
zeigt leider nur die Option auf, Sicherheit durch Schulden zu schaffen. Den
Bürgern werden so immer mehr dauerhafte Zinslasten aufgehalst", sagte der
FDP-Chef der dpa. "Der bessere Weg ist, in unserem großen Staatshaushalt Geld
umzuschichten und die Wirtschaft in Fahrt zu bringen."

Im Jahr 2028 ist das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr mit einem
100-Milliarden-Euro-Topf ausgegeben, aber schon für das nächste Jahr will
Pistorius deutliche Erhöhungen im regulären Verteidigungsetat, weil sonst ein
"Rüstungsstopp" drohe. "Es wird keine einfache Antwort auf die Frage geben,
woher das viele Geld kommen soll, was wir brauchen, die Lücke zu schließen",
sagte Pistorius, der seinen Bedarf bei Lindner angemeldet hat.

"Wir reden von 6,5 bis 7 Milliarden Euro Zusatzbedarf für das kommende Jahr. Der Mehrbedarf wird auch in den Jahren danach weiter aufwachsen, weil das
Sondervermögen schon ab Ende dieses Jahres vertraglich gebunden und damit
ausgeschöpft sein wird", sagte Pistorius. "Wir müssen uns ehrlich machen: Ab
2028 wird eine nicht unbeträchtliche zweistellige Milliardenbetragserhöhung
nötig sein."

Unterschiedliche Aufgaben aus der Verfassung dürften nicht
gegeneinandergestellt werden, forderte der Minister. "Wenn die Schuldenbremse
Verfassungsrang hat, dann hat der Schutzanspruch der Bürgerinnen und Bürger
gegenüber dem Staat, sie zu schützen, erst recht Verfassungsrang", sagte
Pistorius. "Verteidigung ist Verfassungsauftrag. Dazu zählt die Aufstellung von
Streitkräften zur Verteidigung. Damit hat es zunächst mal den gleichen Rang wie
die Schuldenbremse. Man kann nicht sagen, dass dieser Sicherheitsanspruch als
Grundrecht zurücktreten muss hinter die Schuldenbremse."

Pistorius sprach von einer "verfassungsrechtlichen Konkordanz". Dies
bezeichnet eine Situation, bei der gleichrangige Verfassungsnormen miteinander
kollidieren, die eine Norm aber nicht hinter die andere zurücktreten soll. Zur
Generationengerechtigkeit gehöre es, wenige Schulden zu hinterlassen, aber auch
die Weichen für ein sicheres Leben zu stellen. "Das Leben in Sicherheit ist eine
essenzielle Grundlage für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagte
Pistorius. "Wir sollten unsere Sicherheit heute mit der gleichen Konsequenz
wieder stärken, mit der wir jahrelang die Friedensdividende eingestrichen
haben."

Zum Auftakt der Reise hatte Pistorius am Dienstagabend in New York zu
weiterer gemeinsamer Unterstützung der Ukraine gegen die russischen Angreifer
aufgerufen. Er betonte vor Vertretern des American Jewish Committee, das
jüdische Interessen vertritt, die verstärkten Beiträge Deutschlands in der Nato.
Putin dürfe mit seinem brutalen Angriffskrieg nicht durchkommen.

Mit den Nato-Partnern USA und Kanada will Pistorius bis Freitag über die
sicherheitspolitische Lage in der Welt beraten und ihnen das verstärkte deutsche
Engagement im Bündnis erläutern. Pistorius wird seinen US-Amtskollegen Lloyd
Austin am Donnerstag in Washington treffen und den kanadischen
Verteidigungsminister Bill Blair am Freitag in Ottawa.

Zuletzt waren in Berlin Zweifel laut geworden, ob Deutschland ausreichend
auf eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump bei den US-Präsidentenwahlen im
November und die möglichen Konsequenzen vorbereitet ist. Der Republikaner hatte
bei einem Wahlkampfauftritt deutlich gemacht, dass er Bündnispartnern mit
geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine
amerikanische Unterstützung gewähren würde.

"Die Nato ist für unsere Sicherheit von zentraler Bedeutung und wir nehmen
sie nicht als gegeben", sagte Pistorius. "Wir haben verstanden, dass sich die
Zeit einmal mehr verändert hat. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt und die
Zeit der Friedensdividende ist vorbei. Deshalb leisten wir unseren Beitrag.
Deutschland wird in diesem Jahr mehr Geld für Verteidigung ausgeben als je zuvor
in der Geschichte der Bundeswehr."

Am Mittwoch stand auch ein Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres
in New York auf dem Programm. Danach wollte Pistorius das Rüstungsunternehmen
Boeing in Philadelphia besuchen, das zwei Großaufträge der Bundeswehr für 60
schwere Transport-Hubschrauber vom Typ CH47-F "Chinook" sowie mehrere
Seefernaufklärer vom Typ P-8A "Poseidon" erhalten hat. Für die Modernisierung
der Bundeswehr kauft Deutschland auch von anderen US-Herstellern für
Milliardenbeträge ein. So werden für die Luftwaffe 35 Tarnkappenjets vom Typ
F-35 des Herstellers Lockheed Martin gekauft und Flugabwehrsysteme vom Typ
Patriot./cn/DP/nas

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