06.05.2024 16:43:43 - dpa-AFX: ROUNDUP: Gutachter im Wirecard-Prozess: Angeklagter Ex-Manager kein Autist

MÜNCHEN (dpa-AFX) - In einem wichtigen Zwischenschritt des Münchner
Wirecard-Prozesses haben Fachleute den bislang schweigsamen dritten Angeklagten
E. für psychisch unauffällig erklärt. Der 49 Jahre alte frühere Chefbuchhalter
des 2020 zusammengebrochenen Dax -Konzerns ist nach Einschätzung
der beiden Gutachter Norbert Nedopil und Maximilian Wertz weder autistisch
veranlagt noch anderweitig psychisch auffällig. Das sagten die beiden
Wissenschaftler am Montag, dem 122. Prozesstag des seit Dezember 2022 laufenden
Mammutverfahrens. Eine psychische Auffälligkeit wäre möglicherweise für die
Beurteilung der Schuldfähigkeit von Bedeutung gewesen.

E. könnte noch eine Schlüsselrolle für den weiteren Prozessverlauf spielen:
Er ist einzige der drei Angeklagten, der im Verfahren schweigt. Bislang steht
Aussage gegen Aussage. Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun
bestreitet sowohl den Hauptanklagepunkt des Milliardenbetrugs als auch sämtliche
weiteren Vorwürfe. Der ehedem in Dubai für den Konzern tätige Manager Oliver
Bellenhaus hingegen hat als Kronzeuge sowohl Braun als auch E. beschuldigt,
Mittäter gewesen zu sein.

Mittlerweile denkt E. jedoch über ein Geständnis nach. In den nächsten
Wochen soll es dazu ein weiteres Rechtsgespräch seiner Verteidiger mit der
Kammer geben. Der Spross eines alten Adelsgeschlechts hatte die Gutachten selbst
beantragt, um eine möglich autistische Störung klären zu lassen.

"Er war weitgehend unauffällig, unauffällig gekleidet, unauffällig im
Verhalten", sagte der psychiatrische Sachverständige Nedopil. Psychologe Wertz
bescheinigte E. einen IQ von 110 im oberen Normbereich und "keine hinreichenden
Hinweise auf eine Autismusspektrumsstörung". Im Laufe des Verfahrens hatten
viele Zeugen den langjährigen Leiter der Wirecard-Buchhaltung als kundigen und
kompetenten Finanzmann beschrieben, mit Hang zu Wutausbrüchen.

Laut Anklage war E. gemeinsam mit dem früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus Mitglied einer Betrügerbande in der
Wirecard-Chefetage, die über Jahre nicht vorhandene Scheinumsätze in
Milliardenhöhe erdichtete.

Im Gerichtssaal hat E. sich bislang mit keinem Wort zur Anklage geäußert. Im Gespräch mit dem Psychologen hat der frühere Chefbuchhalter jedoch den Vorwurf,
er sei Mitglied einer kriminellen Bande gewesen, als "abstrus" und "völligen
Quatsch" zurückgewiesen, wie Gutachter Wertz sagte.

Psychiater Nedopil jedoch gab eine Aussage E.s wieder, derzufolge der
Chefbuchhalter im Auftrag des Vorstands Datensätze "rekonstruierte", aber
"besten Wissens und Gewissens". Dabei geht es um die Frage, ob der Buchhalter an
der Kreation erfundener Geschäftszahlen beteiligt war.

Das Landgericht München hat E. für den Fall eines Geständnisses eine
Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren in Aussicht gestellt. Sollte E.
ein volles oder Teil-Geständnis ablegen, stünde damit Braun als einziger
Angeklagter da, der sämtliche Vorwürfe kategorisch bestreitet. Anders als seine
beiden auf freien Fuß gekommenen Mitangeklagten sitzt der Ex-Vorstandschef und
einstige Milliardär auch weiter in Untersuchungshaft - seit bald vier
Jahren./cho/DP/nas

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