05.05.2024 15:30:32 - dpa-AFX: POLITIK: Zentralratspräsident äußert Sorge vor Uni-Protesten wie in den USA

BERLIN (dpa-AFX) - Nach einem propalästinensischen und anti-israelischen
Protest an der Humboldt-Universität in Berlin hat der Präsident des Zentralrats
der Juden vor Zuständen wie an US-Hochschulen gewarnt. "Meine größte Sorge ist,
dass die Verhältnisse, die wir den USA sehen, sich auch in Deutschland zeigen
werden, da viele Gruppen international vernetzt sind", sagte Josef Schuster laut
Mitteilung. "Erste Anzeichen dafür konnten wir bereits an der HU Berlin sehen."
Am Freitag hatten rund 150 Menschen in der Nähe der Universität demonstriert.

Jüdische Studentinnen und Studenten fühlen sich an Hochschulen nicht sicher

Jüdische Studentinnen und Studenten seien seit vielen Monaten in hohem Maße
von Antisemitismus betroffen, was ein "extremes Unsicherheitsgefühl" unter ihnen
hervorgerufen habe. "Wir sind mit der Politik und der Hochschulrektorenkonferenz
in einem engen Austausch, um strukturelle Änderungen an den Universitäten
voranzutreiben, die ein wirksamer Schutz gegen Hass und Hetze gegen Juden und
gegen Israel auf dem Campus sein können."

Hier sei Bildung der Schlüssel: "Aktuell mangelt es häufig am Erkennen und
am Umgang von und mit antisemitischen Umtrieben unter Studenten und Lehrenden
sowie meist auch an den richtigen Instrumenten, um gegen die Treiber dieser
Entwicklung vorzugehen." So sei bereits eine Grenze überschritten, wenn die
Vernichtung des Staates Israel gefordert werde. Schuster forderte ein
Nachschärfen des Strafrechts.

Anfang Februar war der jüdische Student Lahav Shapira in Berlin bei einer
mutmaßlich antisemitischen Attacke zusammengeschlagen worden, er kam mit
Knochenbrüchen ins Krankenhaus.

Propalästinensische Demo an der Humboldt-Universität

Bei dem Protest am Freitag hat die Polizei 37 Ermittlungsverfahren
eingeleitet. Es gehe unter anderem um mögliche Fälle von Volksverhetzung sowie
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wie die Polizei am Samstag mitteilte.
Während des Einsatzes seien 38 Menschen
- davon 24 Frauen und 14 Männer - in ihrer Freiheit beschränkt
worden. Von Verletzten war am Samstag nichts bekannt.

Rund 150 Menschen waren laut Polizei zu der nicht angemeldeten Kundgebung
zusammengekommen - es demonstrierten zwei Gruppen. Die Protestierenden forderten
einen Hörsaal als Kundgebungsort, dem die Universitätsleitung nicht stattgab.
Zwischenzeitlich wurde die Versammlung angemeldet, was dann aber wieder
zurückgezogen wurde. Die Polizei untersagte antisemitische Ausrufe. Die
Protestierenden riefen laut Polizei mehrfach die antisemitische Parole "From the
river to the sea, palestine will be free", die als Aufruf zur Zerstörung
Israels, Vertreibung und Auslöschung der jüdischen Bevölkerung verstanden werden
kann.

Präsidentin der Humboldt-Uni will multiperspektivischen Dialog

Der Deutschen Presse-Agentur sagte die Präsidentin der HU, Julia von
Blumenthal, dass sie den Protestierenden deutlich gemacht habe, dass die
Universität ein Ort kontroverser Diskussionen sei, die auf Basis der Grundwerte
geführt würden. "Dazu gehört kein Platz für Antisemitismus, kein Platz für
Rassismus und kein Platz für irgendeine andere Form der Diskriminierung." Es
habe die Forderung im Raum gestanden, die Kontakte zu Israel abzubrechen,
"etwas, was für mich vollkommen ausgeschlossen ist".

Sie habe angeboten, bei einer Veranstaltung in den kommenden Wochen zum
Thema zu diskutieren. Es habe aber eine Kerngruppe gegeben, die sich entschieden
habe, laut zu brüllen. Ihr Angebot stehe weiterhin für Studierende der
Humboldt-Universität.

Bei einer Diskussion wäre ihr ein breites Spektrum an Position wichtig,
sagte von Blumenthal. "Es gibt unterschiedliche jüdische Stimmen, es gibt
unterschiedliche palästinensische Stimmen, es gibt auch wissenschaftliche
Positionen." Teilweise gehe es vor Ort aber auch um Forderungen, die nicht die
Universität beträfen, wie die nach Anerkennung des Staates Palästina und nach
einem sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen.

Teils gewaltvolle Ausschreitungen an US-Universitäten

In den USA demonstrieren derzeit Gruppen an zahlreichen Universitäten für
Solidarität mit Palästinensern, aber auch für eine Kappung von Verbindungen zu
Israel. Kritiker werfen insbesondere dem radikalen Teil der Protestbewegung
Antisemitismus und die Verharmlosung der islamistischen Terrororganisation Hamas
vor, die Israel das Existenzrecht abspricht und am 7. Oktober Massaker in Israel
verübte./wpe/DP/mis

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