05.05.2024 11:35:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Ärzte warnen vor Ruhestandswelle - Mehr Steuerung im Blick

BERLIN (dpa-AFX) - Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat vor wachsenden
Problemen für die Gesundheitsversorgung wegen knapper Fachkräfte gewarnt. "Der
Ärztemangel ist keine Prognose mehr, sondern in vielen Regionen Deutschlands
längst Realität", sagte der Chef der Bundesärztekammer der Deutschen
Presse-Agentur vor dem Deutschen Ärztetag in Mainz. Rund 4800 Hausarztsitze
seien unbesetzt, in den Krankenhäusern sehe es beim Personalmangel ähnlich aus.
Hinzu komme, dass heute fast jeder vierte berufstätige Arzt 60 Jahre oder älter
sei. "Wir stehen also vor einer massiven Ruhestandswelle, die das Problem weiter
verschärfen wird."

Reinhardt mahnte: "Wenn die Politik diese Entwicklungen nicht ernst nimmt,
steuern wir auf einen realen Versorgungsnotstand hin, mit gravierenden
Auswirkungen auf fast alle Gesellschaftsbereiche." Denn zugleich steige wegen
der Alterung der Gesellschaft der Behandlungsbedarf.

Ärztetag sucht Wege zu mehr Effizienz

Beim Ärztetag, der an diesem Dienstag mit Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) eröffnet wird, geht es daher auch um Wege, wie die Kapazitäten
effektiver genutzt werden können. Im Blick steht eine stärkere Steuerung - also
Patientinnen und Patienten gezielter durch Behandlungen zu lotsen, um
Überlastungen und unnötige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden.

Lauterbach machte schon deutlich, dass es in vielen Bereichen auf dem Land
und in ärmeren Stadtteilen künftig nicht möglich sein werde, einen Hausarzt zu
finden. Um die Vor-Ort-Versorgung abzusichern, sollen mit einem geplanten Gesetz
bessere Arbeitsbedingungen kommen, damit mehr junge Mediziner Hausärzte werden.
So sollen für Hausärzte unter anderem Obergrenzen der Vergütung (Budgets)
wegfallen.

Viele Hausärzte über 60

Dabei hatte sich bei Hausärzten zuletzt erstmals seit mehreren Jahren kein
Rückgang mehr gezeigt. Ende vergangenen Jahres waren es laut Bundesarztregister
51 389 und damit 75 mehr als Ende 2022. Zehn Jahre zuvor waren es allerdings
noch 52 262 gewesen. Und wenn mehr und mehr in den Ruhestand gehen, drohe vor
allem im Westen Deutschlands ein Hausarztmangel, erklärte die Kassenärztliche
Bundesvereinigung (KBV). Bei Hausärzten sei der Anteil der Über-60-Jährigen mit
37 Prozent besonders hoch. KBV-Chef Andreas Gassen warnte, auch wegen zu viel
Bürokratie drohe der Versorgung in der Nähe, dass sie selbst zum Patienten
werde.

Ärztepräsident Reinhardt macht sich vor dem Ärztetag dafür stark,
grundlegende Reformen anzugehen. Denn das deutsche Gesundheitswesen sei wie
wenige andere von einem kaum gesteuerten Zugang und einer unstrukturierten
Inanspruchnahme gekennzeichnet. "Das muss sich ändern." Tatsächlich suchen sich
viele Patienten Anlaufstellen teils selbst - und hoffen dann auf einen Termin.
Ziel müsse aber sein, Ressourcen so aufeinander abgestimmt und effizient
einzusetzen, dass sie dem Behandlungsbedarf gerecht würden, sagte Reinhardt. Die
Versorgungsausgaben würden sich so insgesamt nicht verringern, aber das Geld
könne im Patientensinne zielgerichteter verwendet werden. Denn unnötige
Arztbesuche würden entfallen.

Kürzere Wartezeiten als Anreiz

"Dabei muss das Recht auf freie Arztwahl natürlich erhalten bleiben",
erläuterte Reinhardt. Versicherte sollten aber die Möglichkeit haben,
verbindlich eine Praxis zu wählen, die die Grundversorgung übernehme und weitere
Behandlungen koordiniere. Patienten müssten diese "Versorgungspfade" dann auch
einhalten. "Dafür muss sich Verbindlichkeit lohnen", betonte der Ärztepräsident
- etwa durch verlässlich kurze Wartezeiten und reibungslosen Zugang zu
Fachärztinnen und Fachärzten.

Lauterbach sprach sich schon dafür aus, Grenzen zwischen Praxen und Kliniken aufzubrechen. "Um das System fit zu machen für die Behandlung der
Babyboomer-Generation, müssen wir ambulante und stationäre Versorgung besser
aufeinander abstimmen." Eine Regierungskommission schlug mittelfristig ein
"Primärarztsystem" aus Allgemeinmedizinern, Internisten, Kinderärzten,
Gynäkologen und Psychiatern vor. Es könnte dann auch die Patientensteuerung
durch die Versorgung übernehmen./sam/DP/mis

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