04.05.2024 20:34:03 - dpa-AFX: SPD-Europapolitiker bei Angriff in Dresden schwer verletzt

(Neu: Details zu Tätern, 3. Abs., sowie weitere Reaktionen von Steinmeier,
Scholz, Metsola)

DRESDEN (dpa-AFX) - Er wollte Wahlplakate für seine Partei anbringen, nun
liegt der sächsische SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke im Krankenhaus. Am
Freitagabend ist er in Dresden von vier Unbekannten angegriffen und schwer
verletzt worden. Die Tätergruppe schlug auf den 41-Jährigen ein, wie Polizei und
Partei am Samstag mitteilten. Er müsse im Krankenhaus operiert werden.
Zahlreiche Landes- und Bundespolitiker verurteilten den Angriff am Samstag.

Wenige Minuten vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei eine vierköpfige
Gruppe bereits einen 28-jährigen Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls beim
Plakatieren attackiert. Die Täter schlugen und traten ihn, auch er wurde
verletzt. Die Ermittler gehen aufgrund der übereinstimmenden
Personenbeschreibungen sowie der zeitlichen und örtlichen Nähe davon aus, dass
es sich um dieselben Täter handelt.

Laut Polizei werden die Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt. Alle vier
seien Zeugen zufolge dunkel gekleidet gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Ein
Zeuge habe die Angreifer dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Ermittlungen
würden zeigen, ob das stimme. Die Vorfälle ereigneten sich im bürgerlich
geprägten Villen-Stadtteil Striesen. Nach Angaben des sächsischen
Innenministeriums übernahm das Landeskriminalamt die Ermittlungen.

Zahlreiche Angriffe gegen Politiker

Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine Folge von Angriffen auf
Parteimitglieder im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am
Donnerstagabend waren der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein
Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben nach einer Parteiveranstaltung in
Essen attackiert und Fliß dabei geschlagen worden. Am vergangenen Wochenende
waren Mitglieder der Grünen in Chemnitz und Zwickau beim Plakatieren angegriffen
worden. Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein
Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.

Nach einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung treffen die Beleidigungen,
Bedrohungen und tätlichen Angriffe Frauen wie Männer und Menschen mit und ohne
Migrationshintergrund in ähnlichem Maße, und zwar sowohl in ost- als auch in
westdeutschen Ländern sowie über alle Parteigrenzen hinweg. Auffällig ist aber
ein Trend, den die Bundesregierung jüngst auf eine Kleine Anfrage der AfD im
Bundestag offenlegte - nicht speziell zu Kommunalpolitikern, sondern gemünzt auf
alle politischen Ebenen: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von
Anfeindungen, so verlagerte sich der Hass vermehrt auf die Grünen. Für die AfD
wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die
Grünen 1219. Für alle Parteien zusammen wurden von 2019 bis 2023 nach
Regierungsangaben 10 537 Straftaten gemeldet.

Politiker verurteilen den Angriff

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich "entsetzt" und nannte
die Angriffe auf Ecke und Fliß sowie die Bedrängung und Behinderung von
Vizebundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) vor einer Woche in
Ostbrandenburg "unerträglich". "Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung",
schrieb er in einer Mitteilung. Er appellierte an alle, die politische
Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die
Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend
zusammenzustehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin: "Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option."
Solche Geschehnisse hätten auch etwas zu tun mit Reden, die gehalten würden, und
mit Stimmungen, die erzeugt würden, erklärte er bei einer SPD-Wahlveranstaltung.

Die sächsischen SPD-Landesparteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin
Michel erklärten in einer Mitteilung: "Das gewalttätige Vorgehen und die
Einschüchterung von Demokratinnen und Demokraten ist das Mittel von Faschisten."
Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät hätten, gehe auf, deren
Anhänger seien völlig enthemmt. Die SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars
Klingbeil schrieben in einer Erklärung von einem "Angriff auf alle
Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die mit Leidenschaft für unsere Demokratie und
den Rechtsstaat eintreten".

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zeigte sich an
dunkelste Epochen der deutschen Geschichte erinnert. "Es ist schockierend und
ein Angriff auf unsere demokratischen Werte, die Attacke auf SPD-Spitzenkandidat
Matthias Ecke entsetzt mich zutiefst und ist durch nichts zu rechtfertigen",
schrieb er auf der Plattform X (vormals Twitter) weiter.

Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang schrieb auf X, Gewalt im Wahlkampf sei
ein Angriff auf die Demokratie und damit auf alle. Vizekanzler Robert Habeck
(Grüne) erklärte zu den Angriffen: "Sie sind der widerliche und unentschuldbare
Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung in den
sogenannten sozialen Medien."

Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schrieb auf X: "Physische Angriffe
gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen
inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden." Der selbst
aus Sachsen stammende Bundespartei- und Bundestagsfraktionschef wünschte Ecke
"viel Kraft und rasche Genesung".

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sicherte ihrem Kollegen Ecke
Unterstützung und Solidarität zu. Sie sei "entsetzt über den bösartigen
Angriff", schrieb Metsola auf X. Die Verantwortlichen müssten vor Gericht
gestellt werden.

Faeser kündigt hartes Vorgehen an

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte ein hartes Vorgehen des
Rechtsstaats an. "Wenn sich ein politisch motivierter Anschlag auf den
Europaabgeordneten Matthias Ecke wenige Wochen vor der Europawahl bestätigt,
dann ist diese schwere Gewalttat auch ein schwerer Angriff auf die Demokratie.
Wir erleben hier eine neue Dimension von antidemokratischer Gewalt." Sie fügte
an, Extremisten und Populisten, die mit völlig entgrenzten verbalen Anfeindungen
gegen demokratische Politikerinnen und Politiker ein zunehmendes Klima der
Gewalt schürten, trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es immer häufigere
Attacken gebe. "Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen
und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land
reagieren. Ich werde darüber sehr schnell mit den Innenministerinnen und
Innenministern der Länder beraten."

Die Grünen in Sachsen haben nach den Angriffen vom vergangenen Wochenende
bereits reagiert und schicken ihre Mitglieder nicht mehr alleine zum
Plakatieren. Auch in anderen Parteien gibt es solche Überlegungen und Vorgaben
mittlerweile./jbl/DP/mis

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