04.05.2024 11:35:32 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Russische Cyberspionage in Deutschland

BERLIN/MOSKAU (dpa-AFX) - Die Bundesregierung macht Russland für einen
Hackerangriff auf die SPD-Zentrale verantwortlich. Im Visier steht die
Cyberkriegertruppe "Fancy Bear" (APT28), die auch für den Angriff auf den
Deutschen Bundestag (2015) und auf die US-Politikerin Hillary Clinton (2016)
verantwortlich gewesen sein soll.

Nehmen russische Spionage-Angriffe zu?

Es gibt keine offiziellen Statistiken über Cyberangriffe aus Russland, auch
weil eine exakte Zuordnung des Ursprungs der Hackergruppen sehr schwierig ist.
Es gibt aber zwei Themenkreise, die russische Hacker im Staatsauftrag immer
häufiger dazu motivieren, im Westen aktiv zu werden: der Ukraine-Konflikt und
die Aussicht, in westlichen Ländern Wahlen beeinflussen zu können. "Im Vorfeld
der Wahlen zum Europäischen Parlament bleibt Russland die größte Bedrohung für
Europa", sagt Jamie Collier von der Sicherheitsfirma Mandiant. "Russische
Operationen werden wahrscheinlich in ganz Europa stattfinden und versuchen, die
Unterstützung für die Ukraine sowie das Vertrauen die NATO und die EU zu
untergraben."

Was will Russland erfahren und welche Ziele haben die Russen?

Die SPD stellt den Bundeskanzler und bestimmt als Regierungspartei
maßgeblich die Außenpolitik Deutschlands mit. Für Moskau ist natürlich
interessant, wie Berlin auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine
reagiert und welche Pläne es bezüglich militärischer und finanzieller
Unterstützung für Kiew gibt. Russlands Ziel ist es, die Debatte im eigenen Sinne
zu beeinflussen, etwa Ängste in der SPD vor einer Eskalation durch
Waffenlieferungen in Deutschland zu verstärken. Über den konkreten Fall hinaus
geht es darum, politische Systeme im Westen zu destabilisieren, Unsicherheit zu
verbreiten, Industriespionage zu betreiben oder auch Bankinformationen zu
knacken - etwa als Druckmittel gegen russische Beamte, die ihr Geld ins Ausland
verfrachtet haben.

Welche Rolle spielen dabei bezahlte Hacker-Gruppen?

Die Verbindungen zwischen dem russischen Geheimdienst und der Hacker-Branche in Russland gelten als eng. Vor Jahren schon hat der FSB mit der Rekrutierung
fähiger Cyberkrimineller begonnen. Die Gruppen "Fancy Bear" (APT28) und "Cozy
Bear" (APT29) sind die bekanntesten, denen enge Verbindungen zu den
Geheimdiensten nachgesagt werden. "Fancy Bear" geriet wegen der Attacke auf die
Demokratische Partei während des US-Wahlkampfs 2016, aber auch einen Angriff auf
den Bundestag (2015) in die Schlagzeilen. "Cozy Bear" wiederum soll jahrelang
Informationen über die Stationierung des US-Raketenschirms in Osteuropa für
Moskau gesammelt haben. Daneben gibt es aber auch Hackergruppen, die für Moskau
Angriffe auf kommerzielle Objekte im Ausland starten. Die bekannteste
Gruppierung hier ist "Evil Corp".

Spioniert nicht auch der Westen andere Staaten aus?

Es kann davon ausgegangen werden, dass westliche Geheimdienste in Cyberraum
auch als Angreifer unterwegs sind. Besondere Kompetenz wird zum einen dem
angelsächsischen Geheimdienst-Netzwerk "Five Eyes" zugeschrieben - einer
Kooperation zwischen den USA und Großbritannien sowie Kanada, Australien und
Neuseeland. Außerdem gilt die Cybertruppe Unit 8200 aus Israel als besonders
schlagkräftig. Manchmal gelingen aber auch kleineren Diensten wie dem
niederländischen Geheimdienst AIVD spektakuläre Spionageerfolge. Die
Niederländer konnten ab 2014 mehrere Jahre lang über manipulierte
Sicherheitskameras in einem Moskauer Büro der russischen Truppe "Cozy Bear"
virtuell über die Schulter schauen.

Was ist das Besondere an den Cyberangriffen von "Fancy Bear"?

Westliche Geheimdienste benutzen ausspionierte Geheimnisse in der Regel
dazu, die politischen Entscheidungsträger des eigenen Landes zu informieren.
Über besondere Bedrohungslagen werden auch die Dienste befreundeter Staaten ins
Bild gesetzt. Russische Dienste agieren oft nicht so zurückhaltend, sondern
richten sich an ein großes Publikum. So hat "Fancy Bear" bei seinem bislang
folgenschwersten Angriff auf die Präsidentschaftskampagne von Hillary Clinton
2016 über Organisationen wie Wikileaks eine breite Öffentlichkeit gesucht.
Begleitet wurde die Einmischung in den Wahlkampf durch "Trolle", die von St.
Petersburg aus in sozialen Netzwerken Stimmung gegen Clinton machten.

Wie ist die deutsche Spionageabwehr aufgestellt?

Nachdem der Fokus in den vergangenen Jahren aufgrund der terroristischen
Bedrohung stark auf dem militanten Islamismus und den Rechtsextremismus gelegen
hatte, wurde zuletzt umgesteuert, sodass inzwischen wieder mehr Ressourcen in
die Spionageabwehr fließen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in den
vergangenen zwei Jahren mehrfach Warnhinweise an Bundestagsabgeordnete
geschickt. Unter anderem verweist der Inlandsgeheimdienst auf die durch den
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestiegene Bedrohung durch staatliche
oder Staats russische Hacker. Gewarnt wurde auch vor Cyberangriffen und
Einflussoperationen Chinas sowie vor der Ausspähung Oppositioneller in
Deutschland durch den iranischen Geheimdienst.

Sind Privatpersonen auch im Visier von Hackergruppen wie APT28?

Private Bürger laufen eher Gefahr, Opfer von gewöhnlichen Cyberkriminellen
zu werden, die mithilfe von Erpressersoftware ("Ransomware") die Daten der
Betroffenen verschlüsseln, um ein Lösegeld zu erpressen. Im Visier der
Geheimdienste sind aber nicht nur Regierungsmitglieder oder andere
Mandatsträger. Auch politische Aktivisten, Journalisten oder Influencer in
sozialen Medien gelten als gefährdet.

Wie kann man sich gegen solche Cyberattacken schützen?

Einen hundertprozentigen Schutz gegen aufwendige Attacken vom Typ APT
("Advanced Persistent Threat") gibt es nicht, auch weil die Angreifer oft
bereits Sicherheitslücken in den Computersystemen kennen, von denen die
Öffentlichkeit noch keine Ahnung hat. Um den Angreifern es nicht zu leicht zu
machen, sollten die IT-Systeme - vom Betriebssystem bis zur Anwendungssoftware -
auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Angriffe werden auch erschwert, wenn
E-Mail-Postfächer und andere sensible Anwendungen nicht nur mit einer
Kombination aus Username und Passwort geschützt werden, sondern durch einen
zweiten Faktor, etwa einen USB-Sicherheitsschlüssel. Besseren Schutz als
Username und Passwort bieten auch die neuartigen Passkeys, bei denen auch
biometrische Informationen wie Fingerabdruck oder Gesichtserkennungsverfahren
wie FaceID zum Einsatz kommen./chd/DP/zb

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