29.04.2024 13:50:52 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Trotz First-Lady-Affäre: Sánchez bleibt in Spanien Regierungschef

(neu: mehr Details und Hintergrund)

MADRID (dpa-AFX) - Nach einer Rücktrittsandrohung und einem fünftägigen
Rückzug aus der Öffentlichkeit hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez
seine Anhänger erlöst. Er werde ungeachtet aller unbegründeter persönlicher
Attacken auf ihn und seine Ehefrau im Amt bleiben, teilte der sozialistische
Politiker am Montag mit. "Ich habe beschlossen, wenn möglich, mit noch mehr
Kraft an der Spitze der Regierung weiterzumachen". Kurz nachdem der 52-Jährige
vor dem Palacio de la Moncloa in Madrid diese Worte gesprochen hatte, ertönten
aus dem Inneren des Regierungssitzes anonyme Jubelschreie.

Nach einer Korruptionsanzeige gegen seine Ehefrau Begoña Gómez (49) hatte
Sánchez am vorigen Mittwoch überraschend alle öffentlichen Termine abgesagt,
eine fünftägige Bedenkzeit über seine politische Zukunft verkündet und einen
Rücktritt in Aussicht gestellt. Auf X, vormals Twitter, schrieb er, er wolle
darüber nachdenken, ob es sich noch "lohnt, trotz des Sumpfes, in dem die
Rechten und Rechtsextremen versuchen, Politik zu machen. Ob ich weiter an der
Spitze der Regierung stehen oder von dieser hohen Ehre zurücktreten soll".

Die Entscheidung, weiterzumachen, habe er nun zusammen mit seiner Frau
getroffen, enthüllte er. "Meine Frau und ich wissen, dass diese
Verleumdungskampagnen nicht aufhören werden. Wir leiden schon seit zehn Jahren
darunter (...). Aber wir können damit fertig werden." Zur Entscheidung hätten
die Solidaritätskundgebungen seiner Anhänger am Wochenende in Madrid und anderen
Städten "entscheidend beigetragen".

Sánchez, der die viertgrößte EU-Volkswirtschaft schon seit fast sechs Jahren regiert und vielfach Widerstände außerhalb, aber auch innerhalb der eigenen
Sozialistischen Partei PSOE überwinden musste, erweist sich wieder einmal als
"Stehaufmännchen", als gewiefter Stratege und politischer Überlebenskünstler.
Anders als andere lange erfolgreiche und charismatische
Mitte-Links-Regierungschefs wie die Neuseeländerin Jacinda Ardern oder der
Portugiese António Costa, die über oft haltlose Kritik und Beschuldigungen
stolperten, warf Sánchez nicht das Handtuch. Die Zeitung "El País"
(Onlineausgabe) bezeichnete ihn am Montag in einer Analyse als "Mann des ewigen
Comebacks".

In der Tat: Es ist auffällig, ja beeindruckend, wie der gelernte
Betriebswirt nach einer Hiobsbotschaft erneut den Spieß umdrehen und aus einer
Krise eine Chance machen konnte. Wie zuletzt im Mai 2023, als er nach einer
schlimmen Pleite der gesamten Linken bei Regionalwahlen bereits totgesagt war -
auch von ihm nahestehenden Medien. Nur einen Tag nach dem Desaster trat er aber
zur Überraschung aller nicht zurück. Er zog die eigentlich fürs Jahresende
geplante Parlamentswahl vor - und hatte mit dem Schachzug Erfolg.

Nun setzt er nach Ansicht von Anhängern und Parteifreunden im In- und
Ausland (darunter Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva) wieder
Akzente. Seine Bedenkzeit sei ein "Weckruf" gegen Schmutzkampagnen, gegen die
Polarisierung und gegen unbegründete Attacken und Anzeigen, die die Politik in
Spanien und auch in anderen Ländern zunehmend vergifteten, hieß es am Montag in
der Madrider Parteizentrale der PSOE.

In seiner Rede rief Sánchez dazu auf, gegen Fake News und für mehr Fair Play zu kämpfen. Und zur "Regeneration des Systems": "Zu lange haben wir zugelassen,
dass die Politik von Schlamm überzogen wird", sagte er. "Entweder wir sagen
basta, oder diese Degradierung des öffentlichen Lebens wird unsere Zukunft
bestimmen und uns als Land verdammen", rief er mit fester Stimme. Wenn man
Meinungsfreiheit mit Verleumdungsfreiheit verwechsle, werde "diese demokratische
Perversion katastrophale Folgen" haben.

Die Opposition konnte er mit seiner Rede unterdessen nicht überzeugen. Ganz
im Gegenteil. Politiker der konservativen Volkspartei PP sprachen von einer gut
inszenierten "Show". Die Regionalpräsidentin der Region Madrid, Isabel Díaz
Ayuso, die als eine der charismatischsten Figuren der konservativen Volkspartei
PP gilt, bezeichnete das Vorgehen von Sánchez als "absolute Schande". Der
Ministerpräsident wolle einfach "ohne jede Kontrolle" regieren.

Die Anzeige gegen die Frau des Regierungschefs war am Mittwoch von der als
sehr rechtsgerichtet eingestuften Organisation "Manos Limpias" (Saubere Hände)
erstattet worden. Die Organisation, die unter anderem der rechtspopulistischen
Partei Vox nahesteht, wirft Gómez, die kein öffentliches Amt bekleidet,
Einflussnahme und Korruption in der Wirtschaft vor. "Manos Limpias" räumte
später ein, die Anzeige basiere auf Medienberichten, die durchaus falsch sein
könnten./er/DP/jha

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