29.04.2024 10:56:15 - dpa-AFX: ROUNDUP: Neue Schuldenregeln für EU-Staaten sind beschlossen

LUXEMBURG (dpa-AFX) - In der Europäischen Union gelten künftig neue
Vorschriften für Staatsschulden und Haushaltsdefizite der Mitgliedsländer. Der
Ministerrat nahm am Montag in Luxemburg Reformpläne für den sogenannten
Stabilitäts- und Wachstumspakt abschließend an, wie EU-Diplomaten der Deutschen
Presse-Agentur bestätigten.

Die Bestätigung durch den Rat der Europäischen Union war der letzte
notwendige Schritt für die lang geplante Reform des Regelwerks. Es schreibt den
Staaten unter anderem Obergrenzen für Schulden vor. Demnach sollen künftig etwa
klare Mindestanforderungen dafür gelten, wie hoch verschuldete Länder ihre
Schuldenstandsquoten senken. Gleichzeitig soll bei EU-Zielvorgaben die
individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt werden.

Vergangene Woche hatte bereits das Europaparlament in Straßburg die
Reformpläne gebilligt. Nach der Bestätigung der EU-Länder müssen die neuen
Vorschriften nun noch im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden, damit sie in Kraft
treten können. Das soll voraussichtlich Anfang Mai passieren.

Was ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt

Das Regelwerk soll die Budgetdisziplin der Länder sichern und damit solide
öffentliche Finanzen garantieren. Diese gelten als wichtige Voraussetzung für
die Stabilität in der EU und im Euro-Raum. Bei Übertreten der Obergrenzen können
Schulden-Strafverfahren, sogenannte Defizitverfahren, eingeleitet werden. Dann
muss ein Land Gegenmaßnahmen einleiten, um Verschuldung und Defizit zu senken.

Die bisherigen Regeln aus den 1990er Jahren wurden von Kritikern seit langem als zu kompliziert und zu streng angesehen. Zuletzt waren die Strafverfahren
wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine
aber ganz ausgesetzt. Vor allem 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern
deutlich über der Drei-Prozent-Marke.

Was künftig gelten soll

Grundsätzlich soll in der EU unter den neuen Vorschriften auch weiterhin
gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem soll das gesamtstaatliche
Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke
zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehalten werden.

In Zukunft soll den Plänen nach aber unter anderem die individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt werden. Die für die Aufsicht zuständige
EU-Kommission soll etwa in einem Übergangszeitraum bei der Berechnung der
Anpassungsanstrengungen den Anstieg der Zinszahlungen berücksichtigen können.
Wenn Mitgliedstaaten glaubhafte Reform- und Investitionspläne vorlegen, die
Widerstandsfähigkeit und Wachstumspotenzial verbessern, soll auch der Zeitraum
zur Schuldenverringerung verlängert werden können.

Darüber hinaus sind unter anderem Schutzmaßnahmen geplant: Hoch verschuldete Länder mit einem Schuldenstand von mehr als 90 Prozent sollen ihre Schuldenquote
jährlich um einen Prozentpunkt senken müssen, Länder mit Schuldenständen
zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte.

Warum die neuen Vorschriften umstritten sind

Kritiker betonen stets, dass die Regeln nötigen Investitionen etwa in
Klimaschutz oder in den sozialen Bereich die Luft abschnürten. Eine Analyse vom
Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) war
Anfang April zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Einhaltung der geplanten Regeln
ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage seien, sich
notwendige Ausgaben zu leisten. Auch in Deutschland würden demnach Investitionen
stark gehemmt, hieß es. Auch die Grünen im Europaparlament sehen die Reform
daher sehr kritisch. Sie werde den Bedürfnissen der Zeit nicht gerecht, sagte
die Europaabgeordnete Henrike Hahn.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hingegen ist zufrieden. Deutschlands
zentrales Anliegen - "finanzpolitische Stabilität" - finde sich in den
Gesetzestexten wieder, sagte der FDP-Politiker jüngst. "Wir bekommen klare
Regeln für den Schuldenabbau, die dann auch mit einer realistischen Perspektive
durchgesetzt werden können." Auch die christdemokratische EVP-Fraktion im
Europaparlament sprach sie für die Reform aus. Das neue Regelwerk schaffe mehr
Klarheit und stelle die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides
Fundament, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher Markus Ferber (CSU).

Wie es weitergeht

Ab diesem Frühjahr sollen die Defizitverfahren wieder eröffnet werden können - aller Voraussicht nach sollen dann bereits die neuen Regeln gelten. Nach
jüngsten Daten des EU-Statistikamtes Eurostat brachen mehrere Länder im
vergangenen Jahr die Obergrenzen./rdz/DP/stk

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