29.04.2024 08:30:06 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Von Russland bis Nahost: wie Drohnen die Kriegsführung verändern

TEHERAN/MOSKAU/BERLIN (dpa-AFX) - Es ist Herbst 1916. In den Schützengräben
des Ersten Weltkriegs toben verlustreiche und festgefahrene Gefechte. Unter
strenger Geheimhaltung setzten die Briten in der Schlacht an der Somme erstmals
Panzer ein. "Alle waren verblüfft, als sie dieses außergewöhnliche Monster über
den Boden kriechen sahen", erinnert eine Zeitzeugenstimme im Podcast des
Imperialen Kriegsmuseums in London. Zwar führt der Einsatz damals nicht zum
erhofften Durchbruch, die Schlachtfelder sind jedoch für immer verändert.

Ähnlich dürfte auch Drohnentechnologie die Kriegsführung revolutioniert
haben. Während viele Länder bisher auf hochmoderne und teils bewaffnete
Aufklärungsdrohnen gesetzt haben, kommen immer mehr Kamikaze-Modelle mit
verhältnismäßig günstiger Bauweise zum Einsatz. Die iranischen Drohnen vom Typ
Shahed 136 etwa durchkreuzen die Luft, bevor sie auf ihre Ziele hinabstürzen und
explodieren. Experten zufolge befindet sich die Kriegsführung mit Drohnen
allerdings noch in einem frühen Stadium.

"Was Drohnen anbelangt, steht man immer noch relativ nah am Anfang, was die
Frage der Einsatz- und Designkonzepte anbelangt", sagt der Militärexperte Fabian
Hinz vom Internationalen Institut für Strategische Studien in Berlin. Mit
Drohnen seien Staaten in etwa so weit, wie mit Panzern Anfang der 1920er Jahre.
"Drohnen funktionieren bereits sehr gut, aber niemand weiß so richtig, wie man
sie am besten einsetzt. Vielleicht ist man mittlerweile ein bisschen weiter
durch den Krieg in der Ukraine."

Insbesondere die iranischen Kamikaze-Drohnen seien eine ganze Weile als sehr spezielle Fähigkeit wahrgenommen worden. "Die Iraner haben versucht, billige
Systeme zu bauen, weil sie keine besonders gute Luftwaffe haben", erklärt Hinz.
Mittlerweile sei das Konzept der Langstrecken-Kamikaze-Drohnen für den Einsatz
durch den Krieg in der Ukraine jedoch Mainstream geworden. Andere Staaten wie
China versuchen, diesen Drohnentyp zu kopieren. Und auch mit dem Iran verbündete
militante Gruppen nutzen Drohnen, um Angriffe auf Ziele in Hunderten Kilometern
Entfernung zu fliegen.

Lange Zeit hat Luftüberlegenheit in Konflikten eine entscheidende Rolle
gespielt. War die eigene Luftwaffe überlegen, galten Gebiete jenseits der
Frontlinien in alten Konflikten als sicher. "Drohnen, ballistische Raketen und
auch Cruise Missiles ändern diese Kalkulation", sagt Hinz. Ein Beispiel sei die
Huthi-Miliz im Jemen, die Saudi-Arabien und jüngst seit Beginn des Gaza-Kriegs
auch Ziele im Roten Meer mit Drohnen angegriffen hat. "Dass sie über so eine
große Reichweite verfügen und störende Angriffe durchführen können, ist einfach
nur der Tatsache bedingt, dass man jetzt diese Technologien hat."

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gehören Drohnen längst mit zu
den wichtigsten und allgegenwärtigen Waffen. Täglich beschießen sich die
Kriegsparteien massenhaft mit den unbemannten Flugkörpern, die vor allem die
Flugabwehr auf beiden Seiten herausfordern - und weniger Ziele zerstören. Immer
wieder richten vor allem auch Trümmer abgeschossener Drohnen Schäden an
Wohnhäusern, Industriegebäuden und Energieanlagen an.

Beide Länder erleben einen Boom bei Erfindungen und Herstellern, die Zahl
der verschiedenen Drohnen, Unternehmen und Start-ups in dem Bereich ist kaum
noch überschaubar. In Russland schwärmen Staatsmedien etwa auch von der
Volksdrohne Upyr (Deutsch: Blutsauger), die Bürger und Kriegskorrespondenten
ohne staatliche Zuschüsse selbst entworfen haben - für rund 500 Euro umgerechnet
das Stück. Es gebe inzwischen einen regelrechten Wettlauf um die Produktion
neuer, schlagkräftiger Drohnen, heißt es.

Es gibt Drohnen für die Luft, für das Wasser; welche, die kleine, andere,
die größere Sprengsätze mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Reichweiten
haben. Nicht zuletzt werden viele für die militärische Aufklärung genutzt. Es
gebe immer bessere Neuentwicklungen, sagt der russische Militärexperte Andrej
Klinzewitsch. "Je mehr davon an der Front sind, desto schneller kommen wir dem
Sieg näher."

Auch andere Militärexperten betonen, dass sich die Entwicklungen vor allem
nach den Bedürfnissen an der Front richten. Vieles kann schnell in der Kampfzone
getestet und angepasst werden. Die Flugkörper werden auch mit Nachtsichtgeräten
und künstlicher Intelligenz ausgestattet. Gebraucht werden demnach neben
Drohnen, die militärische Ziele wie Flugplätze oder Treibstoffdepots zerstören,
auch einfache und billige Flugkörper, die vor allem die mit teuren Raketen
bestückte Flugabwehr des Gegners entladen soll.

Beide Kriegsparteien veröffentlichen immer wieder Clips davon, wie Drohnen
in Panzertechnik einschlagen oder einzelne Soldaten in Schützengräben töten. Von
den von einer Person mit Videobrille gesteuerten kleinen FPV-Drohnen, an die
einfach Sprengsätze montiert oder geklebt werden, würden inzwischen
Hunderttausende produziert, von den schweren Kampfdrohnen Zehntausende, wie
russische Behörden berichten.

Trotz der westlichen Sanktionen kommen etwa aus China, aber auch aus anderen Ländern fertige Drohnen oder Bauteile nach Russland. Der Minister für Industrie
und Handel, Denis Manturow, sagte unlängst, dass die Regierung umgerechnet eine
Milliarde Euro ausgeben wolle für die Drohnenentwicklung in den nächsten drei
Jahren. Auch Kremlchef Wladimir Putin hatte hier eilig zu mehr Anstrengungen
aufgerufen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht in den Drohnen auch
einen Weg zum Sieg über Russland. Er setzte seiner Rüstungsindustrie das Ziel,
in diesem Jahr mindestens eine Million davon zu produzieren. Drohnen vom Typ
UJ-22 Airborne drangen zuletzt bis tief ins russische Landesinnere vor, eine
davon soll voriges Jahr über dem Kreml abgeschossen worden sein. Für Furore
sorgten in der Ukraine zuletzt Drohnenangriffe auf Ziele weit im russischen
Hinterland. Ob dabei die Kampf- und Aufklärungsdrohne Sokil-300 (Deutsch: Falke)
mit bis 3000 Kilometern Reichweite zum Einsatz kam, mit der sogar Ziele in
Sibirien erreicht werden können, blieb zunächst unklar.

Auch bei dem massiven Angriff der iranischen Revolutionsgarden auf Israel
Mitte April kamen Dutzende Drohnen begleitet von Raketenschlägen zum Einsatz.
Der Militärexperte Hinz bewertet die Attacke als Versuch, die
Verteidigungssysteme mit der Masse verschiedener Systeme zu überwältigen. "Der
Angriff ist weit oben am Spektrum dessen angesiedelt, wozu sie fähig sind",
erklärt Hinz. Er habe aber nicht die Resultate gebracht, die sich Teheran
erhofft habe. "Wenn Sie einen so massiven Angriff ausführen, der erfolgreich
abgewehrt wird, dann wirft das ein schlechtes Licht auf die eigenen
Abschreckungsfähigkeiten."/arb/DP/zb

--- Von Arne Bänsch und Ulf Mauder, dpa ---

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