29.04.2024 07:20:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Neue Schuldenregeln für EU-Staaten nehmen letzte Hürde

LUXEMBURG (dpa-AFX) - Neue Regeln für Staatsschulden und Haushaltsdefizite
in der EU sollen an diesem Montag die letzte Hürde nehmen. Nach langer Debatte
hatten sich die Staaten mit dem Europaparlament auf eine umstrittene Reform des
sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts geeinigt, der den Staaten unter
anderem Obergrenzen für Schulden vorschreibt. Demnach sollen künftig etwa klare
Mindestanforderungen für das Senken von Schuldenstandsquoten für hoch
verschuldete Länder gelten. Gleichzeitig soll bei EU-Zielvorgaben die
individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt werden.

Um ein zügiges Inkrafttreten der Reform zu ermöglichen, werden die
abschließenden formalen Beschlüsse dafür an diesem Montag bei einem
EU-Agrarministerrat gefasst. Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich, wenn
Gesetzestexte komplett ausverhandelt sind und eine Annahme ohne weitere
Aussprache erfolgen kann. In der vergangenen Woche hatte auch schon das
Europaparlament die notwendige Zustimmung gegeben.

Was ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt

Das Regelwerk soll die Budgetdisziplin der Länder sichern und damit solide
öffentliche Finanzen garantieren. Diese gelten als wichtige Voraussetzung für
die Stabilität in der EU und im Euro-Raum. Bei Übertreten der Obergrenzen können
Schulden-Strafverfahren, sogenannte Defizitverfahren, eingeleitet werden. Dann
muss ein Land Gegenmaßnahmen einleiten, um Verschuldung und Defizit zu senken.

Die bisherigen Regeln aus den 1990er Jahren wurden von Kritikern seit langem als zu kompliziert und zu streng angesehen. Zuletzt waren die Strafverfahren
wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine
ganz ausgesetzt. Vor allem 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern
deutlich über der Drei-Prozent-Marke.

Was künftig gelten soll

Grundsätzlich soll in der EU unter den neuen Vorschriften auch weiterhin
gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem soll das gesamtstaatliche
Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke
zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehalten werden.

In Zukunft soll den Plänen nach aber unter anderem die individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt werden. Die für die Aufsicht zuständige
EU-Kommission soll etwa in einem Übergangszeitraum bei der Berechnung der
Anpassungsanstrengungen den Anstieg der Zinszahlungen berücksichtigen können.
Wenn Mitgliedstaaten glaubhafte Reform- und Investitionspläne vorlegen, die
Widerstandsfähigkeit und Wachstumspotenzial verbessern, soll auch der Zeitraum
zur Schuldenverringerung verlängert werden können.

Darüber hinaus sind unter anderem Schutzmaßnahmen geplant: Hoch verschuldete Länder (Schuldenstand von über 90 Prozent) sollen ihre Schuldenquote jährlich um
einen Prozentpunkt senken müssen, Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90
Prozent um 0,5 Prozentpunkte.

Warum die neuen Vorschriften umstritten sind

Kritiker betonen stets, dass die Regeln nötigen Investitionen etwa in
Klimaschutz oder in den sozialen Bereich die Luft abschnürten. Eine Analyse vom
Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) war
Anfang April zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Einhaltung der geplanten Regeln
ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage seien, sich
notwendige Ausgaben zu leisten. Auch in Deutschland würden demnach Investitionen
stark gehemmt, hieß es. Auch etwa die Grünen im Europaparlament sehen die Reform
daher sehr kritisch. Sie werde den Bedürfnissen der Zeit nicht gerecht, sagte
die Europaabgeordnete Henrike Hahn.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hingegen ist zufrieden. Deutschlands
zentrales Anliegen - "finanzpolitische Stabilität" - finde sich in den
Gesetzestexten wieder, sagte der FDP-Politiker jüngst. "Wir bekommen klare
Regeln für den Schuldenabbau, die dann auch mit einer realistischen Perspektive
durchgesetzt werden können." Auch die christdemokratische EVP-Fraktion im
Europaparlament sprach sie für die Reform aus. Das neue Regelwerk schaffe mehr
Klarheit und stelle die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides
Fundament, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher und CSU-Abgeordnete Markus
Ferber.

Wie es weitergeht

Nach der Bestätigung der EU-Länder müssen die neuen Vorschriften noch im
EU-Amtsblatt veröffentlicht werden, damit sie in Kraft treten können. Das soll
voraussichtlich Anfang Mai passieren. Ab diesem Frühjahr sollen die
Defizitverfahren wieder eröffnet werden können - aller Voraussicht nach sollen
dann bereits die neuen Regeln gelten. Nach jüngsten Daten des EU-Statistikamtes
Eurostat brachen mehrere Länder im vergangenen Jahr die Obergrenzen./rdz/DP/zb

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