28.04.2024 16:10:57 - dpa-AFX: ROUNDUP: Verteidigung der Ukrainer unter starkem Druck

KIEW (dpa-AFX) - Vor dem Eintreffen neuer westlicher Waffenlieferungen
geraten die ukrainischen Verteidiger im Osten des Landes immer mehr in Not gegen
die russischen Angreifer. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau
meldete am Sonntag die Eroberung der kleinen Ortschaft Nowobachmutiwka im Gebiet
Donezk; auch ukrainische Militärbeobachter schlugen auf ihren Karten den Ort
nordwestlich der im Februar geräumten Stadt Awdijiwka den Russen zu. "Die Lage
an der Front hat sich verschärft", schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber
Olexander Syrskyj am Sonntag auf Facebook. Der Feind greife in mehreren
Stoßrichtungen an und habe sich ein Übergewicht an Menschen und Material
verschafft. In einigen Bereichen erzielten die Russen "taktische Erfolge".

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief den Westen einmal mehr
zur verstärkten Lieferung von Flugabwehrwaffen auf. Russische Luftangriffe in
der Nacht auf Samstag hätten auf das Gastransitsystem seines Landes gezielt,
sagte er in einer Videobotschaft. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski
forderte von Bundeskanzler Olaf Scholz, umzudenken und der Ukraine
Marschflugkörper vom Typ Taurus zu geben. Scholz blieb bei einem
SPD-Wahlkampfauftritt in Hamburg am Samstag aber bei seiner Ablehnung.

Ukrainische Frontlinie unter Druck

"Entlang der gesamten Frontlinie wurde in dieser Woche weiter heftig
gekämpft", schrieb Oberbefehlshaber Syrskyj. "Die Lage ändert sich dynamisch -
in einigen Gebieten hat der Feind taktische Erfolge erzielt, in anderen Gebieten
konnten wir die taktische Position unserer Truppen verbessern." Die russischen
Streitkräfte berichteten schon am Samstag, dass sie nach der Einnahme einzelner
Ortschaften im Gebiet Donezk tief in die Verteidigung der ukrainischen Armee
eingedrungen seien. Die Angaben waren nicht überprüfbar. Auch ukrainische Medien
berichteten am Samstagabend, dass Russland etwa das Dorf Berdytschi erobert habe
und sich auch in dem Ort Otscheretyne festsetze.

Westliche Militärexperten beobachten ebenfalls ein Vorrücken der russischen
Truppen. "Russland wird absehbar spürbare taktische Gewinne erzielen in den
kommenden Wochen, während die Ukraine darauf wartet, dass US-Unterstützung an
der Front ankommt", analysierte das Institut für Kriegsstudien (ISW) in den USA.
"Aber es bleibt unwahrscheinlich, dass russische Kräfte die ukrainische
Verteidigung überwinden." Die USA hatten nach monatelanger Blockade vergangene
Woche ein milliardenschweres Hilfspaket beschlossen.

Angriffe auf Gasleitungssystem der Ukraine

Selenskyj beklagte russische Angriffe auf das Gastransitsystem seines
Landes. Es seien Objekte angegriffen worden, über die Gas durch die Ukraine in
die Europäische Union geleitet werde, sagte er. Ungeachtet des seit mehr als
zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieges fließt weiter Gas der
Rohstoffgroßmacht durch die Ukraine - wenn auch in deutlich geringeren Mengen.

Die Ukraine brauche mehr Flugabwehrsysteme vom US-Typ Patriot, sagte
Selenskyj. "Die Ukraine braucht sieben Systeme, das ist das absolute Minimum.
Unsere Partner haben diese Patriots." Es dürfte sich um zusätzliche Forderungen
handeln. Mitte April hatte Deutschland der Ukraine die Lieferung eines dritten
Patriot-Systems zugesagt.

Russland und die Ukraine überzogen einander in der Nacht zum Sonntag mit
Drohnenangriffen. In der südukrainischen Stadt Mykolajiw wurde nach Angaben von
Gouverneur Witalij Kim ein Hotel und ein Objekt der Energieversorgung getroffen.
Auf russischer Seite wurden angeblich ukrainische Drohnen zum Absturz gebracht,
bevor sie ein Treibstofflager im Gebiet Kaluga treffen konnten.

Polens Außenminister setzt auf Taurus-Freigabe durch Scholz

Auf mehr westliche Entschlossenheit hofft auch Polens Außenminister
Sikorski. Er setzt nach der Lieferung weitreichender US-Raketen an die Ukraine
darauf, dass Bundeskanzler Scholz doch noch seine Meinung ändert und dem
angegriffenen Land deutsche Taurus-Marschflugkörper nicht länger verweigert.
"Ich hoffe, der Kanzler fühlt sich durch die Ereignisse der letzten Tage
ermutigt", sagte Sikorski in einem Interview der "Bild am Sonntag" und anderer
Axel-Springer-Medien in Warschau. Die Lieferung von US-ATACMS-Raketen an die
Ukraine bezeichnete Sikorski als "Reaktion auf die russische Eskalation" in der
Ukraine, auf die auch Deutschland reagieren müsse.

Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass die Ukraine von den USA
weitreichende ATACMS-Raketen erhalten hat. Scholz lehnt es indes strikt ab, der
Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Er befürchtet, dass Deutschland bei
Bereitstellung der Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern in den Krieg
hineingezogen werden könnte./fko/DP/he

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