28.04.2024 14:55:09 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Wie 'Graf Mülltonnengesicht' das Londoner Rathaus stürmen will

LONDON (dpa-AFX) - Lächerliches Aussehen, griffige Slogans und in jedem
zweiten Satz ein Joke: Als der damalige Premierminister Boris Johnson bei der
vergangenen Parlamentswahl in Großbritannien im Wahlkreis Uxbridge and South
Ruislip die Bühne zur Verkündung seines Siegs betrat, traf er auf einen kuriosen
Konkurrenten.

Count Binface (etwa: Graf Mülltonnengesicht) ist ein selbst ernannter
intergalaktischer Weltraumkrieger, der auch in diesem Jahr wieder bei Wahlen
antritt: Wenn am 2. Mai in weiten Teilen von England und Wales Kommunalwahlen
stattfinden, will er zum Bürgermeister von London gewählt werden.

Verantwortliche sollen in verschmutzter Themse baden

Er hat versprochen, die Verantwortlichen des Wasserversorgers Thames Water
ein Bad im Wasser der von Fäkalien verseuchten Themse nehmen zu lassen, um "zu
sehen, wie es ihnen gefällt" und kündigt an, den Preis von Croissants auf ein
Pfund und zehn Pennys zu deckeln. Mit diesen und anderen Versprechen versucht
er, Amtsinhaber Sadiq Khan von der Labour-Partei vom Thron zu stoßen, der
bereits zum dritten Mal antritt.

Quatschkandidaten wie Count Binface alias Komiker Jon Harvey haben in
Großbritannien Tradition. Als Johnson 2019 seinen Sieg feierte, tummelten sich
neben dem Weltraumkrieger noch ein Kandidat im Kostüm der Sesamstraßenfigur
Elmo, ein Lord Buckethead (Lord Eimerkopf) und ein Yace Yogenstein, auch bekannt
als Interplanetary Time Lord auf der Bühne. Die 1982 gegründete Official Monster
Raving Loony Party tritt regelmäßig bei Wahlen an.

Auf die Stimmen kommt es ihm nicht wirklich an

Fragt man bei Harvey nach, warum er das macht, sagt er: "Es bringt mich zum
Lachen und ich hoffe, dass es andere zum Lachen bringt." Inspirieren ließ er
sich unter anderem von Star-Wars-Parodien und der Klamauk-Serie "Blackadder" mit
Mr.-Bean-Darsteller Rowan Atkinson.

Doch in Wirklichkeit geht es ihm nicht darum, möglichst viele Stimmen zu
bekommen, sagt Harvey im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London.
"Ich brauche keine einzige Stimme. Es ist immer wunderbar, wenn sie kommen. Aber
darum geht es nicht. Es geht einfach darum zu zeigen, dass jeder zur Wahl
antreten kann, was in so vielen Ländern der Welt nicht möglich ist", so der
44-Jährige. Die Wahlbehörden sein immer sehr entgegenkommend, lobt er. "Sie
verstehen, worum es geht."

Wahlsystem ohne Mitsprache der Bürger geändert

Dass auch die Unterstützer von Count Binface durchaus eine ernsthafte Seite
haben, bestätigt Politikprofessor Tony Travers von der London School of
Economics. Die Binface-Wähler seien sehr gut darin gewesen, das bisherige
Wahlsystem zu nutzen, bei dem sie zwei Präferenzen angeben konnten. Die erste
Präferenz sei Binface gewesen. Weil der aber schnell aus dem Rennen war, wählten
sie als zweite Präferenz einen der aussichtsreicheren Kandidaten, auf den die
Stimme dann übertragen wurde. "Sie waren effizient darin, ein Signal zu setzen:
"Wir haben gerne ein bisschen Spaß, aber am Ende meinen wir es ernst"", fasst
Travers das Motto der Binface-Gemeinde zusammen. Für den Weltraumkrieger
entschieden sich bei der vergangenen Bürgermeisterwahl in London 2021 immerhin
knapp 24 800 Wählerinnen und Wähler.

Das Wahlsystem wurde für die anstehende Wahl jedoch geändert und entspricht
nun dem in Großbritannien auch bei der Parlamentswahl gültigen
"first-past-the-post"-System, bei dem der Kandidat oder die Kandidatin mit den
meisten Stimmen gewinnt und alle anderen einfach verfallen. Dass diese Änderung
von den beiden großen Parteien einfach durchgesetzt wurde, ohne die Wähler zu
fragen, findet Harvey nicht in Ordnung. Viele Londoner seien sich wahrscheinlich
gar nicht bewusst, dass sie keine zwei Präferenzen mehr hätten. "Ich denke, wir
sollten einfach ehrlich sein zu den Menschen", resümiert er.

Binface bleibt anders als die Konkurrenz stets bei der Wahrheit

Harvey ist es wichtig zu betonen, dass anders als manch echter Kandidat,
Count Binface stets bei der Wahrheit bleibt. Als ihn ein Journalist der Zeitung
"Independent" einmal fragte, ob er seine Forderung fair finde, das Wahlalter auf
16 zu senken, aber gleichzeitig ein Höchstalter von 80 einzuführen, antwortete
Binface mit einem entschiedenen "Nein" - was den Reporter so aus dem Konzept
brachte, dass er einige Momente brauchte, um wieder den Faden zu finden.

Vor dem Spott des Count Binface ist niemand sicher, egal welcher Partei oder politischen Richtung er angehört. Das Beste, was Harvey über Amtsinhaber Khan
sagen kann, ist: "Er ist sicher besser als sein Vorgänger." Er spielt damit auf
Boris Johnson an. Auf die Frage, was er von Khans konservativer Herausforderin
Susan Hall hält, fragt er nur zurück: "Wer?" und beginnt zu glucksen./cmy/DP/he

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