28.04.2024 14:53:37 - dpa-AFX: POLITIK: Europäische Träume und nationale Ziele - Söders CSU im Spannungsfeld

MÜNCHEN (dpa-AFX) - So richtig kann und will CSU-Chef Markus Söder nicht aus
seiner Haut. Kämpferisch spricht er zu Beginn seiner knapp 45-minütigen Rede auf
dem Europaparteitag in München über die große Bedeutung des Kontinents für
Bayern und Deutschland. Am Ende dürfte etwas anderes in Erinnerung bleiben: Die
Wahl am 9. Juni sei eine Abstimmung gegen die Grünen und die Arbeit der
Ampelregierung.

"Es ist wichtig, mit dieser Wahl zum Europäischen Parlament eine stabile
Mehrheit zu organisieren, die am Ende ohne Grüne ist. Wir wollen keine grüne
Dominanz in Europa, und ich sage es auch sehr deutlich, auch in Deutschland
nicht. Darum bleiben wir als CSU dabei: Kein Schwarz-Grün für Deutschland", sagt
Söder.

Im selben Atemzug kommt Söder auf einen Punkt, der (nicht nur) in der CSU
schon traditionell der EU vorgeworfen wird: "Die Europäische Union ist in der
Welt die größte Rechtssetzungsinstanz" und genau diese Bürokratie bedeute für
die CSU-Europapolitik schon immer "ein gewisses Spannungsfeld".

Natürlich seien der Binnenmarkt als Basis für den wirtschaftlichen Erfolg,
die Freizügigkeit und der Frieden "höchste Güter", gleichwohl gebe es aber viel
zu verbessern: "Es wäre schon eine wirkliche Errungenschaft, wenn man mal eine
Zeit lang einfach keine neuen Vorschriften, keine Richtlinien machen würde."

Söders europäische "ja, aber"-Argumentation ist nicht neu. Schon immer hat
sich die CSU in Wahlkämpfen auf Entscheidungen aus Brüssel, Straßburg oder
Berlin fokussiert, die nicht in ihren Wertekompass passen. Aktuell ist dies etwa
die europäische Absage an klimaschädliche Verbrennermotoren ab dem Jahr 2035.

Obwohl Söder selbst vor Jahren dafür eingetreten ist, fordert er nun wie
auch beim einst von ihm geforderten deutschen Atomausstieg die Rückabwicklung.
Auch CSU-Spitzenkandidat und EVP-Chef Manfred Weber sowie jeder andere CSU-ler
fordert im aktuellen Wahlkampf mantraartig den Ausstieg aus dem Verbrenner-Aus.

Angesichts guter Umfragewerte schraubt Söder für seine Partei bei der
Europawahl das Wahlziel nach oben: "Wir wollen für uns diese Wahl gewinnen und
am besten sieben Abgeordnete ins Europaparlament senden. Sieben plus x, das wäre
ein gutes Ergebnis". Aktuell ist die CSU mit sechs Abgeordneten im EU-Parlament
vertreten.

Laut der wenigen für Bayern vorliegenden Umfragen zur Europawahl liegt die
CSU bei der Abstimmung im Freistaat mit Werten von mehr als 40 Prozent weit vor
der Konkurrenz. 2019 hatte die CSU 40,7 Prozent der Stimmen erhalten (2014:
40,5). Die Ausgangslage für die Wahl sei 43 Tage vor der Abstimmung "gar nicht
so schlecht", sagt Söder. Nun müsse Europa im Wahlkampf gegen seine Feinde
verteidigt werden.

Hier meinen Söder und auch Weber insbesondere die AfD. Söder nennt sie eine
Partei "mit einem fiesen Gesicht", die betone: "Europa muss sterben". Weber geht
noch weiter: "Die AfD gehört zu den Radikalen unter den Radikalen." Diese
"verrottete und korrupte Partei" sei im EU-Parlament sogar anderen rechten
Parteien zu extrem geworden. Anders als Söder betont Weber in seiner Rede auch,
was die EU alles zum Wohle Bayerns beschlossen hat.

Doch zurück zu Söders Dauerkritik an der Bundesregierung: "Diese ganze Ampel löst keine Probleme. Diese Ampel ist das Problem. Und darum bleibt es auch und
muss diese Europawahl ein Signal sein: Die Ampel in Deutschland muss weg."
Einmal mehr fordert Söder Steuersenkungen, eine Rückkehr zur Kernenergie und
klare Absagen an Neuverschuldungen.

Für eine Partei hat Söder einen besonderen Appell: "Liebe FDP, diese
Stunden, diese Tage entscheiden über die Glaubwürdigkeit für das nächste Jahr.
Und deswegen sage ich euch, entweder ihr beendet es oder ihr seid Teil des
großen Problems."

Wie Söder sich die Bundespolitik stattdessen vorstellt, teilte er via "Welt
am Sonntag" mit: "Wenn man sich die zentralen Felder der Politik anschaut - von
der Wirtschafts- über die Außen- bis zur Migrationspolitik, dann weiß man: Mit
den Grünen ist kein Staat zu machen und mit Olaf Scholz auch nicht mehr."
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius könne der neue starke Mann der SPD
werden, mit ihm "als Juniorpartner lässt sich mehr vorstellen".

Die Reaktionen auf diese Provokation lässt nicht lange auf sich warten:
"Natürlich, es gibt jede Menge Probleme, aber die Groko ist nicht die Antwort
auf die Probleme, sie ist die Ursache der Probleme, die Deutschland hat",
kontert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Kongress "taz lab
2024" in Berlin. FDP-Chef Christian Lindner argumentierte ähnlich. "Wenn Markus
Söder heute sagt, die Zukunftsperspektive für Deutschland ist eine neue große
Koalition, dann erinnere ich an die Ergebnisse der letzten großen Koalition",
betont der Bundesfinanzminister beim zeitgleichen Parteitag der Liberalen in
Berlin.

Söders kategorische Absage an die Grünen ist in der Union übrigens alles
andere als Konsens. In der CDU-Spitze sieht man diese Position kritisch, da so
die Verhandlungsspielräume der Union eingeschränkt würden. CDU-Chef Friedrich
Merz, heißt es, teile Söders Vorbehalte auch nicht. Spätestens auf dem
CDU-Parteitag in Berlin am nächsten Wochenende wird sich zeigen, wie viel
Applaus Söder außerhalb Bayerns für seine Sicht der Dinge erhält./had/DP/he

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