28.04.2024 14:29:31 - dpa-AFX: Vorsichtige Hoffnung: Neuer Geisel-Deal statt Offensive in Rafah?

TEL AVIV (dpa-AFX) - Vor einem geplanten Militäreinsatz Israels in Rafah
unternimmt die Regierung einen letzten Versuch, sich mit der islamistischen
Hamas auf eine Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln zu
einigen. Eine Delegation der Hamas will voraussichtlich am Montag nach Kairo
reisen, um über Details eines neuen Vorschlags zu sprechen, wie ein
Hamas-Repräsentant am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur sagte. Hoffnungen auf
eine Einigung bei den indirekten Verhandlungen hatten sich allerdings bisher
immer wieder zerschlagen.

Um über den Gaza-Krieg zu sprechen, werden sich am Montag zudem mehrere
hochrangige Politiker verschiedener Länder in Saudi-Arabien treffen. Mit dabei
sind Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und US-Außenminister Antony
Blinken. Blinken wird im Verlauf der Woche auch wieder in Israel erwartet.

Kann die Offensive in Rafah noch abgewendet werden?

Ein hochrangiger Hamas-Funktionär kündigte am Samstag bei Telegram an, die
Islamistenorganisation werde einen israelischen Vorschlag prüfen und eine
Antwort geben. Israel erwartet diese nach Angaben des israelischen Fernsehens
bis Montag. Israels Außenminister Israel Katz erklärte demnach, Israel sei
bereit, den Militäreinsatz in Rafah zu verschieben, sollte ein Geisel-Deal
zustande kommen.

Bei dem aktuellen Entwurf für einen Deal geht es israelischen Medien zufolge zunächst um ein begrenztes Abkommen, das vorsieht, dass nur einige weibliche,
ältere und kranke Geiseln freikämen. Die Anzahl der Tage einer möglichen
Waffenruhe mache Israel von der Anzahl der Geiseln abhängig, die die Hamas
freilasse, berichtete das Nachrichtenportal "Axios". Die Hamas hat zuletzt einen
dauerhaften Waffenstillstand gefordert, was Israel ablehnt. Es wird befürchtet,
dass viele unter den 133 Geiseln in der Gewalt der Hamas nicht mehr am Leben
sind.

"Axios" berichtete unter Berufung auf zwei hochrangige israelische
Regierungsvertreter, Israel sei gemäß dem neuen Vorschlag zu Kompromissen bereit
- etwa bei der Rückkehr von Zivilisten in den nördlichen Gazastreifen. Dazu
gehöre ein Rückzug des israelischen Militärs aus dem Korridor, der das
Küstengebiet teilt und vertriebene Palästinenser an einer Rückkehr in den Norden
hindert.

Der Schwerpunkt der Gespräche war zuletzt aus Katar nach Ägypten verlegt
worden. Der Sprecher des katarischen Außenministeriums, Madschid al-Ansari, warf
Israel und der Hamas in ersten Interviews mit israelischen Medien am Samstag
vor, sich nicht entschlossen genug für einen Deal eingesetzt zu haben. Jedes
Mal, wenn eine Einigung in greifbarer Nähe erschien, habe es Sabotage gegeben,
sagte er. "Von beiden Seiten."

Neues Geisel-Video

Die islamistische Hamas veröffentlichte unterdessen am Samstagabend erneut
ein Geisel-Video. Darin sprechen sich zwei aus Israel entführte Männer für einen
Deal zwischen der Hamas und der israelischen Regierung aus, der die Freilassung
der Geiseln vorsieht. Unter welchen Umständen das Video entstanden ist und ob
die beiden Männer aus freien Stücken oder unter Druck und Drohungen sprachen,
war zunächst unklar. Einer der beiden, der israelischen Medien zufolge auch die
US-Staatsbürgerschaft besitzt, rief in dem Video dazu auf, die Proteste für die
Freilassung der aus Israel Verschleppten in Tel Aviv und Jerusalem fortzuführen.

Am Samstagabend kamen zu den Kundgebungen in etlichen Städten wieder
Tausende. In der Küstenmetropole Tel Aviv forderten die Demonstranten den
Rücktritt von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Die Demonstranten
werfen Israels Regierung vor, nicht ernsthaft daran interessiert zu sein, die
Freilassung der Geiseln zu erreichen.

Netanjahu soll Haftbefehle des Strafgerichtshofs befürchten

Netanjahu befürchtet Medienberichten zufolge, der Internationale
Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag könnte Haftbefehle gegen ihn und andere
Israelis erlassen. Die israelische Regierung gehe davon aus, dass Chefankläger
Karim Khan noch in dieser Woche internationale Haftbefehle für Netanjahu,
Verteidigungsminister Joav Galant sowie den Generalstabschef Herzi Halevi
ausstellen könnte, berichteten israelische Medien. Aus Den Haag gab es dazu
allerdings bisher keine Angaben.

Der Strafgerichtshof ermittelt bereits seit 2021 gegen die Hamas und Israel
wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Auch zu Gewalt israelischer
Siedler im Westjordanland laufen Untersuchungen.

Israels Armee greift weiter Ziele im Gazastreifen an

Die israelische Armee flog am Wochenende weitere Luftangriffe gegen die
islamistische Hamas im Gazastreifen. Im zentralen Teil des Küstenstreifens sei
ein Fahrzeug mit acht Hamas-Terroristen getroffen worden, teilte die Armee am
Samstag mit. Außerdem seien Terror-Infrastruktur, Beobachtungsposten und
Raketen-Abschussrampen angegriffen worden, so das Militär am Sonntag.

Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde gab die Zahl der seit dem Beginn des Krieges am 7. Oktober getöteten Menschen am Sonntag mit 34 454 an.
Mehr als 77 500 weitere seien verletzt worden. Die Behörde unterscheidet nicht
zwischen Zivilisten und Bewaffneten. Die Zahlen konnten zunächst nicht
unabhängig überprüft werden.

Nach Angaben der israelischen Armee gelangt inzwischen mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. Die Zahl der in das Küstengebiet einfahrenden Laster sei in
den vergangenen Wochen deutlich erhöht worden, sagte ein Armeesprecher am
Samstag. Israel steht international massiv unter Druck, mehr Hilfslieferungen in
das abgeriegelte Gebiet am Mittelmeer zu lassen, in dem das israelische Militär
seit Monaten gegen die islamistische Hamas kämpft. Auslöser des Krieges war das
beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und
anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt
hatten./cir/DP/he

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