28.04.2024 14:18:40 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Letzter Versuch Pandemieabkommen: Was es regelt und wo es hakt

GENF (dpa-AFX) - Die Corona-Pandemie hat das Leben der Menschen weltweit auf
den Kopf gestellt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und deren 194
Mitgliedsländer wollen mit einem neuen internationalen Abkommen bei möglichen
zukünftigen Pandemien besser gewappnet sein. Die Verhandlungen am Montag in Genf
gelten als letzter Versuch für eine Einigung. Worum es bei dem geplanten
Pandemie-Abkommen geht.

Was soll das Abkommen genau regeln?

Die Forderungen waren umfangreich: Dass mehr Impfstoffe für die Verteilung
in armen Ländern reserviert werden. Dass die Produktion von Impfstoffen
ungeachtet von Patentregeln weltweit schnellstens angekurbelt werden kann. Dass
Pharmafirmen bei staatlicher Forschungsunterstützung einen Teil ihrer Produktion
günstig abgeben. Dass ein globales Lieferketten- und Logistiknetzwerk
sicherstellt, dass jedes Land bekommt, was es braucht. Dass Verträge über
Material und Impfstoffe offengelegt werden, damit nicht der höchste Bieter das
meiste bekommt, und vieles mehr.

Welche Probleme gab es während der Corona-Pandemie?

Während der Corona-Pandemie wurden weltweit Fehler gemacht. China etwa hat
spät über das Virus informiert, manche Länder haben im Alleingang
Reisebeschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen beschlossen. Lieferketten brachen
zusammen, Regierungen machten sich Maskenpakete streitig. Auch die
Bundesregierung verhängte für zwei Wochen einen Exportstopp für
Schutzausrüstung. Als es endlich Impfstoff gab, rissen sich reiche Länder den
Großteil unter den Nagel. Während vielerorts schon die zweite oder dritte
Schutzimpfung verabreicht wurde, warteten ärmere Länder noch auf die erste
Lieferung. Auch Indien, wo viel Impfstoff zum Export produziert wurde, erließ
wegen eigener hoher Infektionszahlen plötzlich einen Exportstopp. Das alles
sollte sich nicht wiederholen, das war die Ursprungsidee für das Abkommen.

Wie laufen die Verhandlungen?

Zäh. Ende März waren die Fronten völlig verhärtet. Deshalb liegt jetzt ein
neuer Entwurf auf dem Tisch, der um ein Drittel auf 23 Seiten gekürzt wurde.
Besonders umstrittene Details sollen nun erst im Laufe des Jahres geklärt
werden. Organisationen und manche Länder protestieren, weil für sie wichtige
Bestimmungen unter den Tisch gefallen sind. "Es wird schwierig", sagte ein
Verhandler in Genf. "Pessimismus ist eine Verhandlungstaktik, die sich die Welt
echt nicht leisten kann", sagte Michelle Childs von der Organisation Drugs for
Neglected Diseases Initiative, die sich für Chancengleichheit für ärmere Länder
einsetzt. Das Abkommen soll bei der WHO-Jahrestagung Ende Mai/Anfang Juni in
Genf verabschiedet werden.

Wo hakt es?

Umstritten ist, ob und wie die Pharmaindustrie verpflichtet werden soll,
Patente freizugeben und Know-how zur Herstellung von Impfstoff und Medikamenten
mit anderen zu teilen. Der Pharmaverband IFPMA will nur freiwillige
Vereinbarungen. Ärmere Länder wollen sich nicht zu Pandemie-Vorsorge mit
Investitionen verpflichten, wenn nicht klar ist, wie sie finanziell unterstützt
werden. Umstritten ist, wie viel Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe gratis
oder günstig zur Verteilung in armen Ländern abgegeben werden sollen. Weil China
internationalen Experten auf der Suche nach dem Ursprung des Virus monatelang
die Einreise verweigerte, wollten manche eine Regelung, die so etwas künftig
verhindert.

Übernimmt die WHO mit so dem Abkommen dann die Weltregie bei Pandemien?

Das Abkommen tritt nur in den Ländern in Kraft, deren Parlamente es
ratifizieren. Regierungen würden damit zwar Verpflichtungen eingehen, aber es
gibt keine Sanktionen. Wahrscheinlich müssen Länder sich nur gegenseitig
regelmäßig Bericht erstatten, was auf diese Weise Druck aufbauen soll. Explizit
steht im jüngsten Entwurf, das nichts in dem Abkommen so interpretiert werden
dürfe, dass die WHO die Macht erhält, Ländern Lockdowns, Impfungen oder
Reisebeschränkungen vorzuschreiben. Das Bundesgesundheitsministerium schrieb auf
eine kritische Petition im September 2023 hin: "Durch den Pandemie-Vertrag der
WHO werden weder die Grundrechte noch die Menschenrechte eingeschränkt."

Geht es bei dem Abkommen vor allem um Gerechtigkeit für ärmere Länder?

Nein, es hat Nutzen für die Menschen weltweit. Wenn eine Pandemie in allen
Ländern besser gemanagt wird, kann sich ein Virus im besten Fall gar nicht so
stark ausbreiten. Dann wären nicht so drastische Einschränkungen nötig wie in
der Corona-Pandemie. Zudem soll die WHO ein Lieferketten-Netzwerk aufbauen,
damit im Pandemiefall alle Länder das Material schnell bekommen, das sie
brauchen, und nirgends Schutzausrüstung oder anderes Material knapp
wird./oe/DP/he

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