26.04.2024 07:34:44 - dpa-AFX: POLITIK/Kämpfe an der Grenze zu Thailand: Generäle in Myanmar unter Druck

MYAWADDY/MAE SOT (dpa-AFX) - Plötzlich ist der Konflikt in Myanmar zwischen
Militär und Rebellen auch für Thailand nicht mehr nur ein weit entfernter Krieg.
Seit Wochen wird nun auch direkt an der Grenze gekämpft. Immer wieder fliehen
Tausende vorübergehend vor Gefechten und Luftangriffen der Militärjunta ins
sichere Nachbarland. Dort patrouillieren nun Soldaten und gepanzerte
Armeefahrzeuge. Auf der myanmarischen Seite geht es um die Kontrolle des
wichtigen Handels- und Glücksspielpostens Myawaddy, der nur durch einen Fluss
vom thailändischen Städtchen Mae Sot getrennt ist.

Die Unruhe zeigt sich auch auf politischer Ebene: Erst vor wenigen Tagen
reiste der thailändische Außenminister Parnpree Bahiddha-nukara in Begleitung
des Innen- und des Verteidigungsministers nach Mae Sot. Es war bereits der
zweite Besuch Parnprees in dem Grenzort innerhalb weniger Tage.

Im Vielvölkerstaat Myanmar regieren seit dem Militärputsch Februar 2021
Generäle mit eiserner Faust; sie haben die damals entmachtete Regierungschefin
Aung San Suu Kyi ins Gefängnis gesperrt. Seit Oktober gerät die Herrschaft der
Militärjunta allerdings immer stärker unter Druck, seit ethnische
Rebellengruppen eine militärische Offensive gegen die Generäle in Gebieten nahe
der chinesischen Grenze gestartet hatten. Nun ist der Konflikt auch viel näher
an Thailand herangerückt, als der Regierung in Bangkok lieb ist.

Am 12. April, dem Tag nach der Übernahme des wirtschaftlich und strategisch
wichtigen Myawaddy durch ein Rebellenbündnis rund um die KNLA (Karen National
Liberation Army), hatte Thailands Außenminister noch vor einer Eskalation
gewarnt. "Wir wollen Frieden in Myawaddy sehen, nicht nur wegen des Handels,
sondern auch, weil es unser Nachbar ist", sagte er. "Wir wollen nicht, dass es
zu weiterer Gewalt kommt."

Gleichzeitig bot er eine Vermittlerrolle der thailändischen Regierung an. Im Gespräch ist auch, wichtige Mitglieder der südostasiatischen Staatengemeinschaft
Asean, darunter Indonesien und den derzeitigen Asean-Vorsitz Laos,
einzubeziehen. Dabei geht es nicht nur um Frieden, sondern auch ums Geld. Denn
jeder Tag, an dem der wichtige Handel zwischen Myawaddy und Mae Sot unterbrochen
ist, bedeutet millionenschwere Verluste, wie die unabhängige Denkfabrik
"Institut für Strategie und Politik - Myanmar" (ISP-Myanmar) vorrechnete.

Die Rebellen-Allianz hatte zuvor die Garnison des 275. Infanterie-Bataillons vier Kilometer westlich von Myawaddy eingenommen und damit alle Armeeposten in
der Stadt besetzt. Die Generäle im früheren Birma wollen aber um keinen Preis
nachgeben.

Da sie in den vergangenen Monaten bereits in mehreren Landesteilen schwere
Verluste einstecken mussten und keine weitere Demütigung hinnehmen wollten,
reagierten sie mit massiven Luftangriffen auf Myawaddy und umliegende Dörfer.
Denn die Truppen in der Stadt zu verstärken ist problematisch, da es nur eine
größere Zufahrtsstraße gibt und diese von Rebellen überwacht wird.

Seit dem frühen 20. April soll das Militär innerhalb von zwei Tagen 130
Bomben über Myawaddy abgeworfen haben, berichteten Mitglieder der KNLA. Dabei
sollen nach unbestätigten Berichten mindestens zehn Zivilisten ums Leben
gekommen sein - die genaue Zahl ist unklar. "Es war, als würde es Bomben vom
Himmel regnen. Wir hatten solche Angst", sagte ein Anwohner, der 23-jährige Saw
Htoo, der Deutschen Presse-Agentur. Wie viele andere floh er vorübergehend nach
Thailand
- der sonst so geschäftige Handelsposten Myawaddy war plötzlich
nahezu verwaist.

Am Mittwoch zogen sich die Rebellen nun in einem nach eigenen Angaben
strategischen Manöver zunächst aus der Stadt zurück. Wer dort gerade die
Kontrolle hat, ist unklar. "Das Militär hat gedroht, die ganze Stadt zu
zerstören, und ich glaube, dass sie diese Drohung wahr machen", sagte ein
Kommandeur der KNLA. Das Rebellenbündnis habe entschieden, abzuwarten und
derzeit vor allem Junta-Truppen zu stoppen, die versuchten, Myawaddy zu
erreichen.

In dieser extrem undurchsichtigen Lage zeichnet sich eines ab: "Die Junta
hat nicht mehr die volle Kontrolle über das Land, und ihre Macht nimmt ab", wie
ein politischer Analyst aus Myanmar erläutert, der anonym bleiben will. Derzeit
kontrollierten die Generäle - obwohl die Junta laut der Denkfabrik Crisis Group
über beträchtliche Luftstreitkräfte und Distanzwaffen verfügt - nur noch die
Hauptstadt Naypyidaw und größere Städte wie Yangon und Mandalay. Viele wichtige
Handelsposten an den Grenzen zu China, Indien und Thailand seien hingegen in
Rebellenhand. "Das ist die Realität", sagt der Experte.

Darauf reagiert das Militär immer wieder mit Luftangriffen: Erst am
Donnerstagabend starben bei einem Luftangriff auf ein Krankenhaus in der Stadt
Mindat im Chin-Staat an der Grenze zu Indien mehrere Menschen, viele weitere
wurden schwer verletzt. In dem Gebiet kämpft seit drei Jahren die Chinland
Defence Force gegen die Junta - und kontrolliert die Region heute teilweise.

Auch die Menschen in Myawaddy leben mittlerweile in ständiger Angst. Viele
harren nachts am Ufer des Flusses Moei aus, um im Ernstfall schnell auf die
thailändische Seite fliehen zu können. "Wir können nichts anderes tun, als die
Situation genau zu beobachten", erzählte Saw Htoo, der mittlerweile wieder mit
seiner Mutter nach Myawaddy heimgekehrt ist, wo die Familie einen Laden
betreibt. "Wir sind nie sicher, was als Nächstes passieren wird."/azz/cfn/DP/jha

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