25.04.2024 19:07:30 - dpa-AFX: VERMISCHTES/ROUNDUP 4: US-Gericht hebt historisches Urteil gegen Weinstein auf

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NEW YORK (dpa-AFX) - Völlig überraschend hat ein Gericht in New York die
historische Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls Harvey Weinstein wegen
Sexualverbrechen aus dem Jahr 2020 aufgehoben. Die Juristen am Berufungsgericht
der US-Ostküstenmetropole widerriefen damit am Donnerstag einen der
aufsehenerregendsten Rechtssprüche der vergangenen Jahre. Der Fall hatte damals
die MeToo-Bewegung maßgeblich mit ausgelöst. Weinstein bleibt aber wegen einer
weiteren Verurteilung in Haft.

Grund für die Aufhebung ist laut den Richtern ein Verfahrensfehler: Die
Anklage stützte sich damals im Prozess auch auf Zeugenaussagen, die nicht Teil
der Anklage waren. "Wir kommen zu dem Schluss, dass das erstinstanzliche Gericht
fälschlicherweise Zeugenaussagen über nicht angeklagte, mutmaßliche frühere
sexuelle Handlungen gegen andere Personen als die Kläger der zugrunde liegenden
Straftaten zugelassen hat", schrieb der Vorsitzende Richter und bescheinigte dem
damaligen Richter James Burke schwere Verfahrensfehler. Die Entscheidung der
sieben Richter fiel mit 4:3 denkbar knapp aus.

Bezirksstaatsanwalt entscheidet über Einleitung von neuem Verfahren

Nach Angaben der "New York Times" muss nun Manhattans Bezirksstaatsanwalt
Alvin Bragg entscheiden, ob er ein neues Verfahren gegen Weinstein einleitet.
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte gegenüber dem Magazin "The Daily
Beast", man werde "alles in unserer Macht Stehende tun, um diesen Fall erneut zu
verhandeln". Weinstein sitzt in einem Gefängnis im Bundesstaat New York.

In der Entscheidung zur Aufhebung des Urteils von 2020 wird die Zulassung
der zusätzlichen Zeuginnen als schwerwiegender "Fehler" bezeichnet: "Die
einzigen Beweise gegen den Angeklagten waren die Aussagen der Klägerinnen, und
das Ergebnis der Gerichtsentscheidungen bestand einerseits darin, ihre
Glaubwürdigkeit zu stärken und den Charakter des Angeklagten vor den
Geschworenen zu schmälern."

Die Staatsanwaltschaft wollte mithilfe der weiteren Zeuginnen zeigen, dass
die Taten Weinsteins einem wiederkehrenden Muster folgten. In dem
aufsehenerregenden Prozess ging es im Kern um zwei Vorwürfe: Weinstein soll 2006
die Produktionsassistentin Mimi Haleyi zum Oralsex gezwungen und die heutige
Friseurin Jessica Mann 2013 vergewaltigt haben.

Entsetzte Reaktion einer Oscar-Preisträgerin

Der erste Weinstein-Prozess markierte einen Meilenstein der Rechtsgeschichte - auch deshalb, weil die ehemalige Hollywood-Größe vor allem auf Basis der
Aussagen von Zeuginnen für schuldig befunden wurde, obwohl er selbst stets seine
Unschuld beteuerte. Materielle Beweise spielten in dem Verfahren eine
untergeordnete Rolle.

Eine Reaktion kam am Donnerstag von der Schauspielerin Mira Sorvino. Die
Oscar-Preisträgerin ("Geliebte Aphrodite") war eine der ersten Frauen, die dem
US-Filmproduzenten sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. "Entsetzt!", schrieb
die 56-Jährige auf der Plattform X (vormals Twitter). "Seit wann lassen Gerichte
Beweise für Verhaltensmuster nicht zu, die frühere schlechte Taten belegen?"

Weinsteins Masche war es den übereinstimmenden Aussagen der Frauen zufolge,
junge Schauspielerinnen unter der Vorgabe, er halte sie für talentiert und wolle
ihnen bei ihrer Karriere helfen, in Hotelzimmer zu locken. Dort verlangte er
dann demnach sexuelle Handlungen von ihnen. Der Staatsanwaltschaft zufolge
nutzte Weinstein dabei seine herausragende Machtposition in Hollywood aus, um
sich die Frauen gefügig zu machen. Als Produzent von Filmen wie "Pulp Fiction"
oder "Gangs of New York" war er sehr erfolgreich, für "Shakespeare in Love"
gewann Weinstein auch einen Oscar.

Zum Prozess kam Weinstein 2020 mit Rollator

Weinstein war bei dem Prozess in New York stets mit einem Rollator zum
Gericht gekommen, was von Kritikerinnen und Kritikern als Versuch seiner
Verteidigung gewertet wurde, ihn als schwach und wenig angsteinflößend
darzustellen. Weinstein hatte als Geschäftsführer seiner Filmfirma Miramax den
Ruf, ein äußerst kraftvolles und lautes, mitunter auch aggressives Auftreten zu
haben.

Er wurde schließlich 2020 zu 23 Jahren Haft wegen Vergewaltigung und
sexueller Nötigung verurteilt. In einem zweiten Strafprozess in Los Angeles, in
dem es ebenfalls um Sexualverbrechen ging, kamen im Jahr 2023 weitere 16 Jahre
Gefängnis dazu.

Mehr als 80 Frauen hatten Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Die
Anschuldigungen gegen den Produzenten, im Herbst 2017 von der "New York Times"
und dem Magazin "New Yorker" veröffentlicht, waren der Anfang der
MeToo-Bewegung.

Der Beginn der MeToo-Bewegung

Überall auf der Welt erkannten viele Frauen und auch einige Männer ihre
eigenen Geschichten in denen der mutmaßlichen Weinstein-Opfer wieder - sie
begannen, diese Geschichten unter dem Schlagwort "Me too" ("Ich auch") zu
sammeln. Die MeToo-Bewegung hatte das Urteil gegen Weinstein gefeiert - aber
auch kritisiert, dass er nicht in allen Anklagepunkten für schuldig befunden
wurde.

Die MeToo-Bewegung wird als Treiber der globalen Gleichstellung von Frauen
und Männer gesehen. Durch die internationale Debatte und die Verurteilung
Weinsteins, der von vielen als Prototyp des übergriffigen Mannes gesehen wurde,
wurden viele ungerechte und sexistische Verhaltensweisen in Gesellschaften
hinterfragt. Schauspielerin Ashley Judd, die 2017 über Weinstein in dem Artikel
der "New York Times" ausgepackt hatte, sprach bezüglich der Entscheidung des
Berufungsgerichtes davon, dass diese "unfair gegenüber den Opfern" sei. "Wir
leben immer noch in unserer Wahrheit. Und wir wissen, was passiert
ist."/scb/DP/zb

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