24.04.2024 16:47:56 - dpa-AFX: ROUNDUP: Trendwende in Sicht? Bundesregierung hebt Konjunkturprognose leicht

BERLIN (dpa-AFX) - Bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland
scheint trotz anhaltender Wachstumsschwäche langsam eine Trendwende in Sicht zu
sein. Die Anzeichen für eine konjunkturelle Aufhellung hätten sich deutlich
verstärkt, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch in
Berlin. Die Regierung hob ihre Konjunkturprognose leicht an. Habeck sieht aber
weiterhin Bremsen für mehr Wachstum und sprach sich für Reformen sowie
Entlastungen für Firmen aus. "Es ist kein Grund, nicht weiter hart an der
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu arbeiten."

Hoffnung auf Erholung - Inflation geht zurück

Die Bundesregierung erwartet nun für dieses Jahr ein Wachstum von 0,3
Prozent. Im Februar noch hatte die Regierung ihre Prognose drastisch
heruntergeschraubt - auf ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von nur noch 0,2
Prozent. Ein Wachstum von 0,3 Prozent sei natürlich "nichts, mit dem wir
zufrieden sein können", sagte Habeck. Es gebe aber eine Reihe positiver
Entwicklungen. So habe die Inflation schneller nachgelassen als noch vor zwei
Monaten prognostiziert. Laut Frühjahrsprognose dürft sich der Anstieg der
Verbraucherpreise nach 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,4 Prozent im
laufenden Jahr verringern.

Konsum könnte Fahrt aufnehmen

Die Reallöhne steigen laut Ministerium deutlich, sodass inflationsbedingte
Kaufkraftverluste der privaten Haushalte zunehmend überwunden werden. Das könnte
zu einer Belebung des privaten Konsums führen, als einer wesentlichen Stütze des
Wirtschaftswachstums. "Die Menschen haben wieder mehr Geld im Portemonnaie",
sagte Habeck.

Auch nach einer Studie des Instituts für Makroökonomie und
Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung könnte die
stark getrübte Kauflaune der Verbraucher in Deutschland bald wieder Fahrt
aufnehmen. Die Konsumneigung nehme in allen Einkommensgruppen spürbar zu,
insbesondere in den Bereichen Freizeit, Unterhaltung und Kultur sowie
Wohnungsinstandhaltung.

Stimmung in der Wirtschaft bessert sich

Außerdem seien die Energiepreise gesunken und Engpässe bei Lieferketten
überwunden, sagte Habeck. Dazu komme, dass die Produktion vor allem der
energieintensiven Industrieproduktion, die abgestürzt war, wieder zunehme.

Positiv auswirken könnte sich eine Zinswende der Europäischen Zentralbank.
Eine im Sommer erwartete Zinssenkung der Europäischen Zentralbank könnte etwa
dafür sorgen, dass der Wohnungsbau wieder Tritt fast.

Der Minister verwies auch auf das Ifo-Geschäftsklima. Demnach hat sich die
Stimmung in der deutschen Wirtschaft im April erneut verbessert. Es ist der
dritte Anstieg des Wertes des wichtigen Konjunkturbarometers in Folge. Ökonomen
sprechen nach einer solchen Serie häufig von einer konjunkturellen Wende zum
Besseren. "Die Konjunktur stabilisiert sich, vor allem durch die Dienstleister",
kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Das Geschäftsklima hellte sich in
allen betrachteten Wirtschaftsbereichen auf.

Habeck nannte aber auch Risiken. Die Weltwirtschaft ist noch nicht wieder
richtig in Schwung gekommen. Sie sei abhängig von den Krisen in dieser Welt,
sagte er mit Blick auf die fragile Lage etwa im Nahen Osten.

"Ärmel hochkrempeln"

Als größte kurzfristige strukturelle Herausforderung nannte Habeck, dass die Investitionszurückhaltung vieler Unternehmen überwunden wird
- mittelfristig gehe es darum, mehr Fachkräfte zu gewinnen,
Bürokratie abzubauen und Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
"Deutschland ist abgefallen in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen
Ländern", sagte Habeck: "Wir müssen die Ärmel hochkrempeln."

Das sieht auch die Wirtschaft so. "Es wäre wünschenswert, dass die
Konjunktur in Schwung kommt. Aber leider haben die Unternehmen nach wie vor mit
handfesten strukturellen Herausforderungen zu kämpfen", sagte
DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Deutschland verliere im
internationalen Vergleich an Boden, nicht zuletzt wegen der hohen Steuerlast und
enormer Bürokratiebelastungen. "Die Unternehmen brauchen jetzt ein deutliches
Aufbruchssignal."

Habeck stellte ein Wachstumspaket vor der Europawahl im Juni in Aussicht.
Nur: wie genau könnte dieses aussehen? Bundesfinanzminister Christian Lindner
(FDP) sagte, die Frühjahrsprojektion zeige eine gewisse Stabilisierung der
Konjunktur. Eine "Wirtschaftswende" sei aber weiter dringlich.

Habeck reagierte kühl auf ein FDP-Papier für eine solche Wende und sprach
von einem Papier für den bevorstehenden FDP-Parteitag. Auf einzelne Punkte wie
den von der FDP geforderten vollständigen Soli-Abbau ging er nicht ein.

Der Wirtschaftsminister sprach sich erneut für staatliche Anreize aus, um
Investitionen etwa in neue, klimafreundlichere Technologien anzureizen - etwa
über bessere Bedingungen für Abschreibungen. Eine breite Absenkung von Steuern,
so sehr man sie sich wünschen könnte, gebe der Haushalt nicht her - und dies sei
möglicherweise auch nicht zielgenau, sagte Habeck.

Innerhalb der Bundesregierung laufen derzeit Verhandlungen über den Haushalt 2025, es müssen Milliardenlöcher gestopft werden. Habeck hatte bereits ein
milliardenschweres, schuldenfinanziertes Sondervermögen zur Entlastung von
Firmen ins Spiel gebracht. Das aber dürfte mit der FDP schwer zu machen sein.

Und der Kanzler? Wirtschaftsverbände hatten Olaf Scholz (SPD) zuletzt scharf kritisiert und ihm vorgeworfen, den Ernst der Lage offenbar zu unterschätzen.
Scholz wies dies zurück. Habeck verwies darauf, was die Regierung geleistet
habe, etwa um die Energieversorgung zu stabilisieren und die Inflation zu
bekämpfen und den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Aber:
"Selbstzufriedenheit" sei die falsche Haltung./hoe/DP/ngu

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