24.04.2024 16:47:37 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Initiative zu Prüfung von Schwangeren-Bluttest

BERLIN (dpa-AFX) - Mehr als 120 Politiker verschiedener Parteien im
Bundestag fordern unter anderem wegen ethischer Bedenken eine Überprüfung von
Bluttests in der Schwangerschaft auf Trisomie als Kassenleistung. Am Mittwoch
debattierte das Parlament erstmals über einen entsprechenden Antrag der
Abgeordneten von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken. Vertreter dieser
interfraktionellen Gruppe halten es für problematisch, dass der sogenannte
nicht-invasive Pränataltest (NIPT) seit Sommer 2022 von den Krankenkassen
übernommen wird.

Regierung soll Datenerhebung veranlassen

In ihrem gemeinsamen Antrag wiederholen sie, was bereits die Bundesländer
der Bundesregierung im vergangenen Jahr per Bundesratsentschließung aufgetragen
hatten: Die Regierung solle eine Datenerhebung zu den Folgen der Kassenzulassung
des NIPT veranlassen. Erfasst werden soll dabei zum Beispiel, wie viele
Schwangere den Test aus welchen Gründen in Anspruch nehmen und wie sich die
Geburtenrate von Kindern mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) entwickelt. Außerdem
wird die Einrichtung eines Expertengremiums gefordert, das die ethischen,
rechtlichen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung prüft.

Es klingt eigentlich ganz simpel: Ein Bluttest zur Bestimmung des Risikos
einer Behinderung des Babys - bezahlt von der Krankenkasse. Doch Schwangere und
ihre Familien kann schon die Frage, ob sie den Test machen wollen und erst recht
das Testergebnis in extrem schwierige Situationen stürzen. Die Kritiker haben
große ethische Bedenken.

Diskriminierung und Selektion?

So sieht die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer als eine der beteiligten
Politikerinnen durch die Kassenfinanzierung des NIPT "fundamentale ethische
Fragen und Werte unserer Gesellschaft" berührt. "Denn es geht beim
vorgeburtlichen Bluttest nicht um eine soziale Frage oder um Selbstbestimmung -
sondern um Diskriminierung und Selektion." Der CDU-Politiker Hubert Hüppe ist
der Ansicht, dass sich durch die Kostenübernahme durch die Kassen "die Gefahr
von eugenischen Tendenzen zulasten von Menschen mit Trisomie 13, Trisomie 18 und
Trisomie 21 verfestigt".

Die Mitglieder der Gruppe eine die Überzeugung, dass die vorgeburtliche
Untersuchung auf die Trisomien 13, 18 und 21 nicht zur Routine in der
Schwangerschaft werden dürfe, hieß es vor der Beratung des Antrags im Bundestag.
"Nach Auffassung der Gruppe widersprechen der Trisomien-Bluttest und selektive
Pränataldiagnostik grundsätzlich der Idee einer inklusiven Gesellschaft und
Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention."

Test kann werdende Eltern unter Druck setzen

Beim NIPT wird der werdenden Mutter Blut abgenommen, ab der zehnten Woche
ist der Test möglich. Ist das Ergebnis unauffällig, ist es "sehr
unwahrscheinlich, dass das Ungeborene eine Trisomie hat". Weitere Untersuchungen
seien dann zur Abklärung nicht nötig, wie es beim Gemeinsamen Bundesausschusses
im Gesundheitssystem heißt, der darüber entscheidet, was Kassenleistung ist und
was nicht. Ist der Test auffällig, sei das "ein starker Hinweis auf eine
Trisomie" und zur Abklärung zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung nötig.

Das Problem: Es kann passieren, dass das Ergebnis falsch-positiv ist und das Kind keine Trisomie hat. Eltern stehen bei einem positiven Ergebnis aber in
jedem Fall vor der Entscheidung, zur Abklärung eine nicht risikofreie
Fruchtwasseruntersuchung zu machen, bei der mit einer Nadel durch die Bauchdecke
Fruchtwasser entnommen wird. Als schwerwiegendste Komplikation kann eine solche
Punktion eine Fehlgeburt zur Folge haben. Auf der anderen Seite schließt ein
negatives NIPT-Ergebnis eine Trisomie auch nicht hundertprozentig aus, Eltern
könnten sich in falscher Sicherheit wiegen. Auch das Warten auf das Ergebnis
kann Schwangere und ihre Familien bereits belasten.

Kritiker befürchten faktische Reihenuntersuchung

Die Kassen übernehmen den Test, wenn es aufgrund anderer Untersuchungen
Hinweise auf eine Trisomie gibt oder wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin
oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen
Situation notwendig ist. Das halten die Kritiker für zu weit gefasst: "Es lässt
sich daher befürchten, dass Schwangeren unabhängig von einer medizinischen
Relevanz empfohlen wird, den NIPT vornehmen zu lassen, unter anderem, damit sich
Ärztinnen und Ärzte absichern können", heißt es in der Entschließung des
Bundesrats und dem Antrag der Parlamentarier. Dies provoziere potenziell, dass
der Test so regelmäßig angewendet werden könnte, dass es faktisch einer
Reihenuntersuchung, vorrangig auf Trisomie 21, gleichkommen könnte.

Zahlen zur Inanspruchnahme des Tests auf Kassenkosten hatte die
Unionsfraktion bei der Bundesregierung abgefragt. Demnach nutzten seit der
Einführung des NIPT als Kassenleistung im Sommer 2022 pro Quartal rund 50 000
bis 70 000 schwangere Frauen das Angebot. 2022 wurden laut Statistischem
Bundesamt in Deutschland etwa 738 000 Kinder lebend geboren./jr/DP/ngu

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