19.04.2024 10:36:22 - dpa-AFX: ROUNDUP: Streit zwischen Baerbock und Netanjahu? - AA weist Bericht zurück

TEL AVIV/BERLIN (dpa-AFX) - Das Auswärtige Amt hat einen Bericht über einen
Disput zwischen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über die Lage im Gazastreifen als
irreführend bezeichnet. Kernpunkte der Darstellung des einstündigen Treffens der
beiden am Mittwoch seien falsch, schrieb das Auswärtige Amt am Freitag auf der
Plattform X (vormals Twitter). Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen
Seibert, äußerte sich gleichlautend.

Eine Journalistin des israelischen TV-Senders Channel 13 hatte zuvor auf X
von einem schwierigen Treffen zwischen Baerbock und Netanjahu berichtet. Grund
soll demnach gewesen sein, dass Baerbock Aufnahmen aus dem Gazastreifen gezeigt
wurden, auf denen mit Lebensmittel gefüllte Märkte zu sehen waren. Die
Grünen-Politikerin habe daraufhin auf den Hunger der Menschen in dem
Küstengebiet hingewiesen und Netanjahu angeboten, Bilder hungernder Kinder auf
ihrem Handy zu zeigen.

Netanjahu soll erwidert haben, sie solle sich Fotos der Märkte und auch von
Menschen am Strand anschauen, es gebe keine Fälle von Hunger dort. Baerbock riet
ihm dem Bericht zufolge dazu, die Bilder nicht zu zeigen, da sie nicht der
Realität im Gazastreifen entsprächen.

Israels Regierungschef wiederum soll darauf lautstark erwidert haben, dass
die Fotos echt seien und Israel nicht wie die Nazis eine erfundene Realität
zeige. Die Nazis hatten 1942 etwa ein Filmteam einen Propagandafilm mit
gestellten Szenen des Alltags im Warschauer Ghetto drehen lassen.

Baerbock solle Netanjahu daraufhin gefragt haben, ob er sagen wolle, dass
etwa Mediziner im Gazastreifen sowie internationale Medien nicht die Wahrheit
berichteten.

Die Aufnahmen der mit Obst und Gemüse gefüllten Marktstände hatte vor
wenigen Tagen die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe
zuständige israelische Cogat-Behörde veröffentlicht. Sie zeigen Märkte im Norden
des besonders vom Lebensmittelmangel betroffenen Küstengebiets.
Hilfsorganisationen und Cogat zufolge kamen dort jüngst einige Hilfen an.
Helfern und Anwohnern zufolge reichen diese aber noch lange nicht aus.

Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) war die Rate der im
Gazastreifen einfahrenden Lastwagen mit Nahrungsmitteln im März und April aber
insgesamt nur halb so hoch wie im Januar. "Derzeit kommen immer noch zu wenige
Lastwagen rein, es gibt weiter lange Wartezeiten an den Checkpoints und die
anhaltenden Kämpfe erlauben keine sichere flächendeckende Verteilung von Hilfe",
sagte der Leiter des Berliner Büros des UN-Welternährungsprogramms, Martin
Frick. Noch immer gelange aber nicht genügend Hilfe vor allem über den wichtigen
Landweg in das Gebiet, sagte Baerbock am Mittwoch bei ihrem Besuch in Israel.
Sie forderte dabei erneut eine Ausweitung der Hilfslieferungen und eine sichere
Verteilung der Güter vor Ort.

Die USA hatten angesichts der katastrophalen humanitären Lage im
Gazastreifen jüngst ihren Verbündeten Israel zur raschen Ausweitung der
humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung aufgefordert. Das israelische
Kriegskabinett beschloss daraufhin Anfang April, den Grenzübergang Erez im
Norden des Küstengebiets sowie vorübergehend den Hafen von Aschdod für
Hilfslieferungen zu öffnen.

Israel argumentiert, es komme ausreichend Hilfe in den Gazastreifen, das
Problem sei die Verteilung der Lebensmittel vor Ort.

Die Aufnahmen etlicher badender Palästinenser am Strand von Dair al-Balah im Zentrum des Gazastreifens, von denen Netanjahu bei seinem Treffen mit Baerbock
ebenfalls sprach, verbreiteten sich jüngst im Netz und in israelischen Medien.
Augenzeugen berichteten der Deutschen Presse-Agentur, sie würden sich im Meer
angesichts der derzeit hohen Temperaturen abkühlen und dort wegen des
Wassermangels auch duschen.

"Ich habe keine Ventilatoren, Klimaanlage oder Strom, womit wir diese
Situation bewältigen könnten", sagte die Palästinenserin Aridsch Nassar, die in
einem Zelt in der Stadt im Zentrum des Gazastreifens untergekommen ist. Tagsüber
seien die Temperaturen im Zelt unerträglich. Deshalb badeten sie und ihre
kleinen Kinder im Meer. Sie wasche dort auch die Kleidung der Familie. Aufgrund
des Wassermangels fürchtet sich die Frau vor Krankheiten.

"Die Menschen draußen denken, dass wir das Meerwasser genießen", sagte der
55 Jahre alte Samir al-Ajubi der dpa. Das Baden sei aber vielmehr den äußeren
Umständen geschuldet. "Wir müssen wir täglich duschen und Wasser finden wir nur
im Meer." Der fünffache Vater hat sein Zelt am Ufer des Strandes aufgeschlagen.
Zuvor war er wegen der drohenden israelischen Offensive aus der Stadt Rafah im
Süden des Küstengebiets geflohen.

Als Auswirkung des Gaza-Krieges mussten Hunderttausende Palästinenser den
Norden des Gazastreifens in Richtung Süden verlassen. In Rafah leben nach
Schätzungen von UN-Organisationen rund 1,5 der 2,2 Millionen Palästinenser unter
schwierigsten Bedingungen.

Baerbock hatte bei ihrem siebten Israel-Besuch am Mittwoch unter anderem
Netanjahu und Staatspräsident Izchak Herzog getroffen./cir/DP/ngu

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