16.04.2024 22:11:06 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Wenn Winston das wüsste: Britische Regierung geht Tabakverbot an

(nach Abstimmung angepasst)

LONDON (dpa-AFX) - Den früheren britischen Premierminister Winston Churchill sah man mit Zigarre. Und das englische Topmodel Kate Moss gerne mal mit
Zigarette. Rauchen, das galt lange auch in Großbritannien als
selbstverständlich. Doch die Regierung in London will die Gesellschaft besser
schützen und geht nun einen weitreichenden Schritt. Sie will es künftigen
Generationen verbieten, auf legalem Weg Tabakprodukte zu kaufen.

Das britische Unterhaus stimmte am Dienstagabend in zweiter Lesung mit 383
zu 67 Stimmen mehrheitlich für einen entsprechenden Gesetzentwurf. Die Regierung
von Premierminister Rishi Sunak stieß damit jedoch auch auf erheblichen
Widerstand in der eigenen Partei. Unterstützung erhielt sie hingegen von der
Opposition.

"Nikotin beraubt Menschen ihrer Willensfreiheit. Die große Mehrheit der
Raucher fängt damit an, wenn sie jung sind und drei Viertel sagen, dass sie
nicht damit angefangen hätten, wenn sie die Uhr zurückdrehen könnten", sagte
Gesundheitsministerin Victoria Atkins am Dienstag bei der Debatte im Unterhaus.
Es sei die Verantwortung und Pflicht der Regierung, die kommende Generation zu
schützen, fügte sie hinzu.

Wie das Verkaufsverbot funktionieren soll

Die Regierung will den Kauf von Tabak für Menschen, die nach dem 1. Januar
2009 geboren wurden, illegal machen. Dafür soll das Mindestalter, das derzeit
bei 18 Jahren liegt, schrittweise erhöht werden. Ziel von Premier Rishi Sunak
ist, dass niemand, der in diesem Jahr 15 wird oder jünger ist, jemals legal
Tabakprodukte erwerben kann. Rauchen selbst soll also nicht verboten werden -
Erwachsene, die heute rauchen, können weiterhin Zigaretten kaufen -, künftigen
Generationen aber soll es nahezu unmöglich gemacht werden.

Die Raucherquote in der Gruppe der 14- bis 30-Jährigen könnte damit nach
Regierungsangaben bis zum Jahr 2040 nahe null liegen. Atkins argumentiert, das
Gesetz werde Tausende Leben retten, den staatlichen Gesundheitsdienst NHS
entlasten und die Produktivität des Vereinigten Königreichs erhöhen. In
Großbritannien sterben jährlich Zehntausende Menschen an den Folgen des
Rauchens.

Sunak trifft auf Widerstand in eigenen Reihen

Doch Sunak muss sich gegen heftigen Widerstand aus den eigenen Reihen
durchsetzen. Er hatte für die Abstimmung keinen Fraktionszwang ausgegeben.
Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch, die bereits als aussichtsreiche Kandidatin
für seine Nachfolge gehandelt wird, teilte per X (vormals Twitter) mit, sie
werde gegen den Gesetzentwurf stimmen. Dutzende weitere Konservative stellten
sich gegen Sunak.

Auch Sunaks direkte Vorgängerin an der Partei- und Regierungsspitze, Liz
Truss, kritisierte das Vorhaben als Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
erwachsener Menschen. Ex-Premierminister Boris Johnson, der nicht mehr Mitglied
des Unterhauses ist, sagte: "Wenn ich mir einige der Dinge ansehe, die wir jetzt
tun oder die im Namen des Konservatismus getan werden, halte ich sie für absolut
verrückt."

Der konservative Abgeordnete Nick Fletcher sprach von einem Nanny-Staat, der seine Bürger bevormunde. "Wenn wir Erwachsenen mehr und mehr Entscheidungen aus
der Hand nehmen, werden sich immer mehr Erwachsene zunehmend auf den Staat
verlassen, für sie Entscheidungen zu übernehmen. Das ist keine gute Sache
(...)", so Flechter.

Machen Verbote Rauchen nur cooler?

Der konservative Abgeordnete Simon Clarke befürchtet, ein Verbot könne
kontraproduktiv wirken. Alle seien sich einig, das Rauchen schlecht sei, die
Wissenschaft sei da eindeutig. "Es gibt gute Wege, ein solches Problem
anzugehen, und es gibt schlechte Wege", hatte er der BBC am Dienstag gesagt. Mit
einem Verbote bestehe die Gefahr, dass Rauchen cooler werde, ein Schwarzmarkt
entstehe und Behörden vor große Herausforderungen gestellt würden. Er warb
dafür, Menschen stattdessen durch Bildung und Steuern vom Rauchen abzubringen.
Wenn man einmal mit Verboten anfange, laufe man Gefahr, auch andere Dinge zu
verbieten.

Auch Vapen soll stärker reguliert werden

Der Entwurf sieht auch vor, E-Zigaretten unattraktiver für Jugendliche zu
machen. So sollen süße Geschmacksrichtungen sowie knallige Verpackungen, die vor
allem Minderjährige ansprechen, eingeschränkt werden. Einweg-E-Zigaretten sollen
mit einem separaten Gesetz ganz verboten werden.

Auch in Deutschland hat sich die Einstellung zum Rauchen stark verändert. Im Vergleich zu 1991 ging der Zigarettenabsatz um mehr als die Hälfte zurück. Aus
Restaurants ist der Qualm verschwunden. Und Aufnahmen, bei denen noch regulär in
Fernsehtalkshows geraucht wurde, gehören heute ebenso der Vergangenheit an wie
rauchende Politiker wie Churchill, der 1965 starb./bvi/DP/he

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