26.04.2024 22:38:32 - dpa-AFX: VERMISCHTES/Me Too, Krieg und Moderatorin auf Strümpfen: Grimme-Preise verliehen

MARL (dpa-AFX) - Wie moderiert man eine Gala, bei der man selbst auch einen
Preis bekommt? Moderatorin Siham El-Maimouni hatte dazu bei der
Grimme-Preisverleihung am Freitagabend in Marl eine Idee: Sie zog zur
Verblüffung des Publikums mitten in der Moderation ihre hohen Schuhe aus und
verließ die Bühne. Kurz danach kam sie als Preisträgerin auf Strümpfen wieder
herein. Die zuvor ebenfalls ausgezeichnete Moderatorin Sarah Bosetti übernahm
für die Laudatio das Mikrofon.

"Die ziehe ich nicht wieder an", sagte Maimouni mit Blick auf die unbequemen Schuhe, als sie wieder auf der Bühne stand, und machte auf Strümpfen weiter. Der
elegante und augenzwinkernde Sprecherwechsel war typisch für eine
Grimme-Verleihung, bei der erstmals in der 60-jährigen Geschichte des Preises
mehr Frauen als Männer zu den Preisträgern zählten.

Maimouni bekam den Preis für eine Spezial-Ausgabe der Sendung mit der Maus
in Marokko, der Heimat von Maimounis Eltern. Sie selbst wurde in Duisburg
geboren. Sarah Bosettis Show "Bosetti Late Night", die Sendung mit dem
"Bullshit-Knopf" fürs Publikum, wurde von der Jury für die Dynamik geehrt, mit
der die Moderatorin klassische Late-Night-Formate sprenge.

Neben Bosettis Show erhielt die Pilotfolge der Talkshow "Der letzte Drink
mit Anna Dushime" einen Grimme-Preis. Die schwarze Journalistin hatte darin
Roberto Blanco an der Cocktail-Bar interviewt - mit Hartnäckigkeit und
hervorragender Vorbereitung, wie ihr die Moderatorin bescheinigte. Auf die
Frage, ob nach der Pilotsendung denn jetzt viele weitere folgen, konnte sie
allerdings keine Antwort geben. "Es fehlt bei schwarzen Menschen nicht am
Talent, sondern an Gelegenheiten", sagte Dushime.

Zu den ausgezeichneten Sendungen zählt "Ukraine - Kriegstagebuch einer
Kinderärztin" (Arte). Der Film begleitet die Arbeit der Ärztin Vira Primakova
auf der Intensivstation eines Kinderkrankenhauses in Lwiw. Als "überaus
wertvollen Beitrag zur Me-Too-Debatte" lobte die Jury den Film "Nichts, was uns
passiert" (WDR), der ebenfalls einen Grimme-Preis bekam. Darin geht es um den
Vorwurf der Vergewaltigung nach einer Party.

Einen Schwerpunkt gegen Rassismus setzte die mit einem Grimme-Preis
ausgezeichnete Produktion des Streaming-Anbieters Disney+ "Sam - Ein Sachse"
über einen afrodeutschen Polizisten in Sachsen. Die Serie basiert auf einem
realen Fall. Hauptdarsteller Malick Bauer dankte von der Bühne dem realen
früheren sächsischen Polizeibeamten Samuel Meffire für den "intensiven
Austausch" für die Serie.

Mit der Geschichte habe Disney etwas geschafft, was bisher keine
Fernsehredaktion zustande gebracht habe: "Die erste große afrodeutsche Serie,
die schon so lange überfällig war", lobten die Juroren.

Für ihre besondere journalistische Leistung wurde die ARD-Korrespondentin in Istanbul, Katharina Willinger, geehrt. Sie habe hartnäckig etwa über das Leid
nach dem Erdbeben in der Türkei berichtet, auch wenn die meisten Kameras schon
weitergezogen seien, lobte die Jury. Willinger ist auch für den Iran zuständig.
Es sei sehr schwer, dort zu arbeiten, weil Journalisten und ihre Informanten
unter ständiger Beobachtung stünden, sagte sie im Interview.

Insgesamt verlieh das Grimme-Institut am Freitag 17 Preise mit Ausnahme von
Disney + ausschließlich an öffentlich-rechtliche Sender. Die Privatsender gingen
in diesem Jahr leer aus. Die gesamte Branche stehe finanziell unter Druck. Als
Folge würden etwa in der Unterhaltung erfolgreiche Formate aus dem Ausland
eingekauft und für Deutschland adaptiert, hatte die Grimme-Jury-Vorsitzende für
die Unterhaltung, Amna Franzke, vorab im Podcast "Läuft" von Grimme-Institut und
epd-Medien gesagt. "Wir wünschen uns mehr Mut, Dinge auszuprobieren."

Auch das Grimme-Institut selbst steckt in Finanzproblemen. Ein
sechsstelliges Finanzloch für das laufende Jahr konnte nur mit Gehaltsverzicht
der Mitarbeiter geschlossen werden. Der zweite große Wettbewerb des Hauses, der
Grimme Online Award für Qualitäts-Produktionen im Internet, droht wegen
Geldmangels in diesem Jahr auszufallen.

Der neue kommissarische Geschäftsführer Peter Wenzel will jetzt die
Sanierung anpacken, wie er am Freitag der dpa sagte. "Es ist gut, dass wir 60
Jahre Grimme-Preise feiern", sagte NRW-Medienminister Nathanael Liminski auf der
Show-Bühne. "Ich werde alles dafür tun, das wir auch 120 und 360
feiern."/rs/DP/he

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