28.03.2024 14:59:56 - dpa-AFX: ROUNDUP: Dieselskandal bei Mercedes - Verbraucherschützer erzielen Teilerfolg

STUTTGART (dpa-AFX) - Teilerfolg für Mercedes-Kunden: Das Oberlandesgericht
(OLG) Stuttgart hat festgestellt, dass in bestimmten Diesel-Fahrzeugen des
Autoherstellers unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut waren. Das geht aus
einem Musterfeststellungsurteil hervor, das der Vorsitzende Richter Thilo
Rebmann am Donnerstag in Stuttgart verkündete. Damit hat sich der
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Teilen mit einer Klage durchgesetzt,
die er im Zuge des Dieselskandals gegen Mercedes-Benz eingereicht
hatte.

Der Verbraucherschützer forderten Mercedes auf, Verantwortung für die
Abschalteinrichtungen zu übernehmen. "Das Gericht hat die Auffassung des vzbv
bestätigt", teilte der für Sammelklagen zuständige Teamleiter, Ronny Jahn, mit.
Nun seien wichtige Weichen für Schadenersatzansprüche gestellt.

Mercedes kündigt Revision an

Der Stuttgarter Autobauer kündigte nach dem Urteil an, beim
Bundesgerichtshof Revision einlegen zu wollen. "Wir vertreten eine andere
Rechtsauffassung als das Gericht", sagte ein Sprecher. Die Auslegung der
komplexen Vorschriften sei zum damaligen Zeitpunkt zumindest vertretbar gewesen
und nicht in der Absicht erfolgt, unrechtmäßig zu handeln. Die Ansprüche halte
man weiter für unbegründet.

Mercedes muss sich seit Jahren mit Abgas-Vorwürfen auseinandersetzen. Das
Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte 2018 und 2019 gegen mehrere Hunderttausend
Fahrzeuge des Herstellers Rückruf-Bescheide erlassen. Nach KBA-Auffassung waren
in diesen Wagen unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die Reinigung von
Abgasen einschränkten. Mercedes bestreitet die Vorwürfe und geht gegen die
Bescheide juristisch vor.

In der Musterklage haben sich die Verbraucherschützer auf verschiedene
Geländewagen-Modelle mit einem bestimmten Motortyp und den Abgasnormen Euro 5
und 6 konzentriert. Sie wurden zwischen 2012 und 2016 gebaut und waren von den
KBA-Bescheiden betroffen.

Als unzulässige Abschalteinrichtung stufte die Kammer sowohl Thermofenster
als auch die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) an. Erstere Technik, die
auch von anderen Herstellern standardmäßig eingesetzt wurde, sorgt dafür, dass
Fahrzeuge weniger giftige Stickoxide ausstoßen. Dafür wird ein Teil der Abgase
direkt im Motor verbrannt. Ist es draußen kalt, wird dieser Mechanismus aber
automatisch gedrosselt. Die Hersteller sagen, das sei nötig, um den Motor zu
schützen. Bei der KSR führt hingegen die verzögerte Erwärmung des Motoröls zu
einem geringeren Ausstoß von Schadstoffen. Der Vorwurf hier lautet, dass die
Technik fast ausschließlich auf dem Prüfstand funktioniere.

OLG: Keine Anhaltspunkte für Anordnung aus dem Vorstand

Das Gericht wies allerdings den Vorwurf der Verbraucherschützer ab, dass
Mitglieder des Vorstandes der damaligen Daimler AG den Einsatz der
Abschalteinrichtungen angeordnet oder gebilligt hätten. Es habe sich um einen
"Vortrag ins Blaue" gehandelt. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Vorwürfe
lieferte der Verband nach Ansicht der Richter nicht.

Bei den Euro-6-Fahrzeugen stellte der Senat aber fest, dass Mitarbeiter von
Mercedes "zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass es sich (...) um eine
unzulässige Abschalteinrichtung handelt". Bei den Fahrzeugen mit der Abgasnorm
Euro 5 sah die Kammer kein vorsätzliches Handeln.

Je nach Modell könnte den Verbrauchern nun entweder eine komplette
Rückabwicklung des Kaufvertrags oder eine Art "kleiner Schadenersatz" zustehen.
In letzterem Fall könnten sie für ihr Auto einen pauschalen Ausgleich in Höhe
des Wertverlustes bekommen, der ihnen durch die verbauten Abschalteinrichtungen
entstanden ist. Wie viele Autobesitzerinnen und Autobesitzer von dem Urteil
genau profitieren könnten, war zunächst offen.

Der Musterklage hatten sich nach vzbv-Angaben mehr als 2800 Menschen
angeschlossen. Sie werden jedoch Geduld brauchen: Erst wenn das Urteil in
Karlsruhe Bestand hat und rechtskräftig wird, können sie Ansprüche geltend
machen. Das müssen sie dann selbst tun.

Die Verbraucherschützer hatten die Musterfeststellungsklage vor fast
zweieinhalb Jahren eingereicht. Das Verfahren hatte im Juli 2022 begonnen, war
aber mehrfach verschoben worden. Der Europäische Gerichtshof hatte im Frühjahr
2023 an der bisherigen BGH-Rechtsprechung im Dieselskandals gerüttelt und die
Hürden für Schadenersatz-Ansprüche gesenkt. Der BGH ging danach einen Schritt
auf Verbraucher in Deutschland zu. Seitdem können sie sich begründet Hoffnungen
auf Entschädigungen machen, wenn illegale Abschalteinrichtungen verbaut sind.

Investoren-Prozess geht im Sommer weiter

Mercedes-Benz muss seit Bekanntwerden der KBA-Bescheide immer wieder vor
Gericht. 2019 war der Konzern wegen der Diesel-Verwicklungen zu einer Strafe von
870 Millionen Euro verdonnert worden. Außerdem gab es millionenschwere
Vergleiche im Ausland und mehrere Strafbefehle gegen Mercedes-Mitarbeiter.

In Stuttgart sind gegen den Autobauer nach Gerichtsangaben aktuell noch rund einzelne 13 000 Dieselverfahren von Verbrauchern anhängig. Außerdem läuft noch
ein zweites Musterverfahren, das von Investoren angestrebt wurde. Sie werfen
Mercedes vor, sie nicht rechtzeitig über den Skandal informiert zu haben - und
verlangen Hunderte Millionen Euro Schadenersatz. Das Verfahren soll im Sommer
fortgesetzt werden./jwe/DP/ngu
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
MERCEDES-BENZ GRP NA O.N. 710000 Frankfurt 74,580 26.04.24 19:09:12 +1,180 +1,61% 0,000 0,000 73,940 74,580

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH