19.06.2024 15:58:28 - dpa-AFX: ROUNDUP: Innenminister dringen auf umstrittene Abschiebungen nach Afghanistan

POTSDAM (dpa-AFX) - Die Innenminister der Länder dringen auf Abschiebungen
von Schwerkriminellen und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien
und lösen damit eine kontroverse Debatte aus. Kritik kommt von
Flüchtlings-Organisationen. Auch die Linke hält Abschiebungen nach Afghanistan
nicht mit dem Grundgesetz und Völkerrecht vereinbar, weil dort
Menschenrechtsverletzungen drohten. Die Innenministerkonferenz, die am
Mittwochnachmittag (17.00 Uhr) unter dem Vorsitz Brandenburgs in Potsdam
beginnt, befasst sich nach tödlichen Messerattacken von Afghanen vor allem mit
der Asyl- und Migrationspolitik.

Streit löste auch die Forderung mehrerer Innenminister aus, die Zahlung von
Bürgergeld an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. Stattdessen wollen
sie erreichen, dass nur niedrigere Zahlungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz fließen. Brandenburgs Innenminister und
IMK-Vorsitzender Michael Stübgen (CDU) argumentierte, das Bürgergeld sei zum
"Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme" geworden. Rückendeckung bekam er aus
Baden-Württemberg. Aus der FDP-Bundestagsfraktion wurden ähnliche Forderungen
geäußert. Die Bundesregierung weist das allerdings zurück. Auch der Deutsche
Städtetag lehnte den Vorstoß am Mittwoch ab.

Auch Hamburger SPD-Innensenator wirbt für Abschiebungen nach Afghanistan

"Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er
beispielsweise aus Afghanistan kommt", sagte der Sprecher der SPD-geführten
Länder in der IMK, Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), der Deutschen
Presse-Agentur. "Wir haben mit unserem Antrag zur IMK, Straftäter und Gefährder
auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, eine bundesweite Debatte
angestoßen und sehr breite Unterstützung erhalten", sagte Grote. Auch der
Bundeskanzler habe angekündigt, dass man in diese Richtung arbeiten werde.

Brandenburgs Innenminister Stübgen hält Verhandlungen mit den in Afghanistan herrschenden Taliban für vertretbar. Zudem habe sich die Sicherheit in Syrien,
wo Präsident Baschar al-Assad regiert, verbessert, argumentiert er. Auch
Vizekanzler Robert Habeck befürwortet die Abschiebung von Terroristen und
Gefährdern. Diese und auch Mörder könnten sich nicht auf den Schutz des Landes
berufen, dessen Ordnung sie mit Füßen träten, sagte der Grünen-Politiker am
Mittwoch in Berlin.

Dagegen kritisierte die Linksfraktion im Bundestag am Mittwoch:
"Abschiebungen ins Taliban-Regime bedeuten Steinigung und Auspeitschung. Auch
für Täter gelten die Menschenrechte, denn sie sind universell." Abschiebungen
nach Afghanistan, wo das islamistische Taliban-Regime mit mittelalterlichen
Methoden herrsche, seien nicht mit Grundgesetz und Völkerrecht vereinbar.

Faeser will Länderkollegen über bisherige Verhandlungen informieren

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will ihre Länderkollegen vertraulich über ihre Bemühungen für Abschiebungen unterrichten. Sie wird am Donnerstag bei der
IMK in Potsdam dabei sein. "Wir verhandeln vertraulich mit verschiedenen
Staaten, um Wege zu eröffnen, über die Abschiebungen nach Afghanistan wieder
möglich werden", bekräftigte Faeser im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker
Zeitung". Ziel sei es, Gewalttäter konsequent abzuschieben, wenn sie nach einer
Haftstrafe in Deutschland wieder freikämen. "Und wir wollen islamistische
Gefährder konsequent ausweisen und abschieben."

Am vergangenen Freitagabend wurde ein Afghane in Wolmirstedt nicht weit von
Magdeburg entfernt von Beamten erschossen. Er soll einen 23-jährigen Landsmann
erstochen und dann auf einer privaten EM-Gartenparty mehrere Menschen verletzt
haben. In Mannheim hatte am 31. Mai ein Afghane fünf Mitglieder der
islamkritischen Bewegung Pax Europa sowie einen Polizeibeamten mit einem Messer
verletzt. Der Polizist starb.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) fordert auch einen
umgehenden Stopp des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Menschen aus
Afghanistan. Mehrere Länder verlangen als Folge der Messerangriffe eine
Verschärfung des Waffenrechts und eine Ausweitung von Waffenverbotszonen. Auch
Faeser will das Waffenrecht erneut reformieren. Einige ihrer Vorschläge stoßen
jedoch auf Widerstand des Koalitionspartners FDP.

Seit der Machtübernahme durch die radikal-islamistischen Taliban in Kabul im August 2021 schiebt Deutschland niemanden mehr nach Afghanistan ab. Grundlage
für die Entscheidung der Ausländerbehörden, die sich mit Unterstützung der
Bundespolizei um die Abschiebungen kümmern, ist der jeweils aktuelle Lagebericht
des Auswärtigen Amts zur Situation im Herkunftsland.

Länder fordern stärkere Eindämmung irregulärer Migration

Die Länder verlangen darüber hinaus weitere Anstrengungen, um irreguläre
Migration einzudämmen. Sie sehen vor allem Faeser in der Pflicht, auch was
weitere Abkommen mit Herkunftsländern angeht, die bei der Rücknahme
ausreisepflichtiger Staatsbürger aus Deutschland bislang schlecht oder gar nicht
kooperieren.

"Bislang zögert der Bund noch immer, sich um Migrationsabkommen mit den für
Rückführung wirklich bedeutsamen Herkunftsländern wie zum Beispiel Ägypten,
Elfenbeinküste, Gambia zu kümmern", kritisierte Innenministerin Zieschang. Der
Bund müsse Gespräche mit diesen Staaten führen, damit diese bei der
Identifizierung, Passersatz-Erteilung und Rückführung ihrer Staatsangehörigen
künftig kooperierten.

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag dürfte das Thema
Migration ebenfalls eine große Rolle spielen. Es geht dabei auch um den
ebenfalls umstrittenen Vorschlag, Asylverfahren an Drittstaaten auszulagern. Das
Bundesinnenministerium prüft derzeit, inwiefern das möglich ist./abc/DP/ngu

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