20.05.2024 06:24:10 - dpa-AFX: Seekabel soll Strommärkte von Deutschland und Großbritannien verbinden

WILHELMSHAVEN (dpa-AFX) - Ein neues, Hunderte Kilometer langes,
unterseeisches Stromkabel soll künftig erstmals die Energienetze von
Großbritannien und Deutschland verbinden. Bald sollen die Bauarbeiten für diese
Stromautobahn mit dem Namen Neuconnect am deutschen Anlandepunkt in
Wilhelmshaven beginnen. Am Dienstag wird Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) deshalb dort zu einem Spatenstich erwartet. Ein Überblick über wichtige
Fragen und Antworten zu den Dimensionen des Vorhabens:

Was ist Neuconnect?

Der Name steht für ein geplantes 725 Kilometer langes Unterwasserstromkabel. Die Leitung soll das deutsche Übertragungsnetz von Wilhelmshaven aus durch die
Nordsee mit dem britischen Netz auf der Isle of Grain in der englischen
Grafschaft Kent an der Themse-Mündung verbinden. An beiden Anlandepunkten sind
Konverterstationen geplant. Solche Stromautobahnen werden auch Interkonnektoren
genannt - ein ähnliches Kabel ging beispielsweise mit dem Namen Nordlink 2021
von Deutschland nach Norwegen in Betrieb.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat Deutschland zurzeit 54 solcher
Interkonnektoren, die die Republik mit allen neun Nachbarländern verbinden sowie
mit Schweden und Norwegen - vier davon sind Seekabel. 16 weitere
Interkonnektoren, darunter Neuconnect, befinden sich in der Planung.

Neuconnect soll laut der Projektgesellschaft 2028 in Betrieb gehen und Strom in beide Richtungen transportieren - und zwar bis zu 1,4 Gigawatt. Das wäre den
Angaben zufolge genug, um rund 1,5 Millionen Haushalte zu versorgen.

Warum wird so eine Stromautobahn nach Großbritannien gebraucht?

Kurz gesagt, um die Energiewende voranzutreiben und um den Stromhandel zu
vereinfachen. "Durch diese Verbindung können wir den Windstrom, der zum Beispiel
in der deutschen Nordsee entsteht, nach Großbritannien führen. Das geht aber
auch genauso gut andersherum", sagt der stellvertretende Geschäftsführer von
Neuconnect Deutschland, Torsten Garmatz, der Deutschen Presse-Agentur. Denn
Großbritannien verfüge über viel Offshore-Windenergie.

Bislang kann Windenergie, die etwa auf See oder an den norddeutschen Küsten
produziert wird, oft nicht weiter zu den deutschen Verbrauchszentren Richtung
Süden geleitet werden, da Kapazitäten in Stromnetzen fehlen. 2023 lieferten die
Windkraftanlagen in der Nordsee wegen Engpässen laut Netzbetreiber Tennet neun
Prozent weniger Strom als 2022. Windräder werden dann abgeregelt. Neuconnect
solle dabei helfen, das zu verhindern, indem überschüssiger Windstrom nach
Großbritannien geleitet werde, sagt Garmatz.

Außerdem biete die Leitung nach Großbritannien im Unterschied zu
Nachbarländern durch die Zeitverschiebung auch eine Flexibilität beim
Stromverbrauch. "In dem Moment, wo die Deutsche oder der Deutsche um 9.00 Uhr
ins Büro fährt, steht der Engländer auf und kocht sich seinen Breakfast Tea",
sagt Garmatz.

Was haben Stromverbraucher von dem neuen Kabel?

Interkonnektoren wie Neuconnect können nach Angaben der Bundesnetzagentur
die Energiesicherheit verbessern und den Wettbewerb ankurbeln, was zu
günstigeren Strompreisen führen kann. Denn direkte Verbindungen zwischen
Strommärkten vergrößern laut der Behörde die Absatzmöglichkeiten. "Strom wird im
europäischen Verbund dort erzeugt, wo dies am günstigsten möglich ist." Die
Länder könnten so wechselseitig von den jeweils günstigsten
Erzeugungsbedingungen profitieren.

Nach Angaben der Projektgesellschaft soll Neuconnect zudem helfen, unnötige
Kosten zu vermeiden. Denn wenn Windenergie von der Nordsee wegen Engpässen im
deutschen Stromnetz nicht abtransportiert werden könne, müssten dafür andere
Kraftwerke im Hinterland zugeschaltet werden, sagt Garmatz. "Das heißt, da
laufen Kosten für Stromkunden auf, weil der Strom nicht transportiert werden
kann."

Was kostet das Vorhaben?

Eine Milliardensumme - und zwar knapp drei Milliarden Euro. Die Kosten für
das derzeit größte deutsch-britische Einzelprojekt übernimmt ein
Investorenkonsortium. Beteiligt sind etwa der französische Investor Meridiam,
die Allianz Gruppe und der japanische Energieversorger Kansai Electric Power
sowie ein Konsortium von mehr als 20 Banken. Staatliche Subventionen fließen
nach Angaben der Projektgesellschaft nicht.

Wie weit sind die Planungen?

Ende 2016 hatten die ersten Planungen für das Projekt begonnen, inzwischen
liefen die ersten Bauarbeiten in Großbritannien an. Demnächst soll dort an dem
Konverter an Land gearbeitet werden, sagt Garmatz. Später soll das Stromkabel
von der britischen Seite bis nach Deutschland verlegt werden. Auf deutscher
Seite soll am Dienstag mit einem Spatenstich auf dem Konvertergelände bei
Wilhelmshaven die Hauptbauphase beginnen.

Welche politische Bedeutung hat die Stromleitung für die beiden Länder?

Deutschland und Großbritannien wollen ihre Zusammenarbeit im Energiebereich
vertiefen. Das sieht eine Erklärung vor, die Wirtschaftsminister Habeck und die
britische Energieministerin Claire Coutinho im November unterzeichneten. Habeck
sagte damals, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und
Großbritannien sollten wieder flott gemacht werden. Dazu biete sich der
Energiebereich besonders an. Die Briten hoffen mit Hilfe der Verbindung auf
niedrigere Kosten für Verbraucher.

"Grundsätzlich erlaubt die Stromverbindung einen besseren Ausgleich zwischen den beiden Strommärkten", sagt Marc Lehnfeld von der bundeseigenen Gesellschaft
Germany Trade and Invest (GTAI) in London. "Noch ist das Vereinigte Königreich
Nettostromimporteur." 2023 wurden nach vorläufigen Daten rund 24
Terrawattstunden mehr Strom ein- als ausgeführt. "Perspektivisch könnte sich die
Absatzrichtung hingegen ändern", sagt Lehnfeld. Großbritannien will die
Offshore-Kapazität von derzeit 15 Gigawatt bis 2030 auf 50 Gigawatt deutlich
erhöhen. Mit Dogger Bank und Hornsea entstehen in der britischen Nordsee die
größten Windfarmprojekte der Welt./len/DP/zb

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