07.07.2024 15:08:02 - dpa-AFX: POLITIK: Bundeswehr wird Westafrika verlassen

BERLIN/NIAMEY (dpa-AFX) - Nach gescheiterten Verhandlungen mit der
Militärregierung im Niger wird die Bundeswehr ihre letzte Basis in Westafrika
aufgeben. Der Lufttransportstützpunkt in Nigers Hauptstadt Niamey solle bis zum
31. August geschlossen und die Soldaten nach Deutschland zurückverlegt werden,
teilte das Verteidigungsministerium den Obleuten des Bundestages mit. Die Basis
wurde zuvor von rund 100 Männern und Frauen der Bundeswehr betrieben. Im Lichte
der Lageentwicklung der letzten Wochen habe die Bundesregierung die ins Auge
gefasste Zusammenarbeit mit dem Niger "neu bewertet". Das Schreiben lag der
Deutschen Presse-Agentur vor.

Der Stützpunkt war logistisches Drehkreuz des UN-Einsatzes Minusma zur
Stabilisierung des benachbarten Mali, der Ende vergangenen Jahres auf Forderung
der dortigen Militärregierung beendet worden war. Nach einem vorübergehenden
Abkommen im Mai scheiterte die langfristige Vereinbarung an unterschiedlichen
Vorstellungen über die weitere Zusammenarbeit.

Ministerium sah keine Chance auf eine Einigung

"Der von Niger übermittelte Abkommensentwurf kann uns nicht als Grundlage
für Verhandlungen über ein Statusabkommen dienen - weder vom Charakter, noch vom
Inhalt her", schrieb das Ministerium. "Immunitäten für deutsche Soldatinnen und
Soldaten werden darin nicht gewährt. Gleichzeitig fehlt uns die Zeit zur
Aushandlung eines neuen Statusabkommens - dazu liegen die Positionen zu weit
auseinander." Einem Bericht des "Spiegel" zufolge hatte Niamey unter anderem die
Ausbildung nigrischer Soldaten durch die Bundeswehr und Waffenlieferungen
gefordert.

Nach Staatsstreichen in Mali und Burkina Faso galt der Niger als letzter
Partner Europas und der USA in der Sahelzone im Kampf gegen Terrorismus, bis im
vergangenen Juli auch dort das Militär die Macht ergriff. Der gewählte Präsident
Mohamed Bazoum steht bis heute unter Hausarrest und soll wegen Verrats angeklagt
werden. In der Region breiten sich seit rund einem Jahrzehnt islamistische
Terrormilizen aus, die Al-Kaida und dem IS nahestehen. 2023 wurden laut
Konfliktdatenorganisation Acled mindestens rund 14.000 Menschen in den drei
Ländern getötet, mindestens ein Drittel von ihnen Zivilisten.

Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, trotz aller Schwierigkeiten
mit den Regierungen in der Region im Austausch bleiben zu wollen - auch mit den
Militärjuntas, die angekündigte Wahlen immer weiter verschoben haben.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius war im Dezember als erster deutscher
Minister und ranghöchster Vertreter eines EU-Landes zum Gespräch mit den
Militärmachthabern in den Niger geflogen und hatte die Weiterführung von
Projekten angeboten. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte im
benachbarten Burkina Faso versucht, der dortigen Militärjunta die Hand zu
reichen.

"Europa spielt im Sahel kaum noch eine Rolle"

Der Bundeswehrstützpunkt in Niamey sollte auch weiterhin als Umschlagplatz
für Material und Personal weiterhin Handlungsoptionen in der strategisch
wichtigen Region eröffnen - etwa im Fall von Evakuierungseinsätzen und bei
Notlagen - und zudem militärische Präsenz Deutschlands zeigen. Der Niger wendet
sich jedoch wie seine Nachbarn Russland zu und beherbergt seit einigen Monaten
auch russisches Militärpersonal - nach offiziellen Angaben Ausbilder - auf einer
Basis in Niamey. Fast alle anderen früheren Partner sind dagegen ausgewiesen
worden.

An diesem Wochenende verlassen auch die USA ihre Basis in Niamey, bevor sie
in den kommenden Wochen auch ihre für die Beobachtung der gesamten Region
strategisch wichtige Drohnenbasis in der Wüstenstadt Agadez räumen müssen. Bis
zum 15. September sollen alle US-Truppen das Land verlassen haben. Niamey
kündigte die Zusammenarbeit auf, weil sie Washington Arroganz ihnen gegenüber
vorgeworfen hatten. Französische Anti-Terror-Truppen mussten wie aus Mali und
Burkina Faso bereits vergangenes Jahr im schweren Streit zwischen Paris und den
Militärs abziehen.

"Es ist schade, dass sich Deutschland nicht mit Niger einigen konnte", sagte Ulf Laessing, Sahelexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako, der dpa. "Der
Stützpunkt war die letzte Hoffnung, dass Deutschland noch ein bisschen Einfluss
hat in einem Land, durch das die Hauptmigrationsroute von Sub-Sahara Afrika nach
Libyen führt. Das heutige Gipfeltreffen der mit Russland verbündeten Länder
Mali, Niger und Burkina Faso zeigt, dass Europa im Sahel kaum noch eine Rolle
spielt." Die drei Junta-Chefs trafen sich am Samstag in Niamey zum ersten
offiziellen Gipfel der Allianz der Sahel-Staaten (AES), einem von ihnen im
vergangenen Herbst gegründeten Verteidigungsbündnis.

Das Verteidigungsministerium betonte, dass die militärische Kooperation mit
dem Niger zwar nicht mehr verfolgt werden sollte, die politischen und
entwicklungspolitischen Beziehungen aber unberührt blieben. Auch bilaterale
Programme in "nicht-letalen Bereichen" sollten fortgesetzt und etwa verwundete
nigrische Soldaten in Bundeswehrkrankenhäusern behandelt werden./cn/DP/he

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