09.07.2024 20:22:12 - dpa-AFX: ROUNDUP: Kiew hofft nach Attacke auf Hilfe - Druck im Sicherheitsrat

KIEW (dpa-AFX) - Die Ukraine hofft nach dem folgenschwersten russischen
Luftangriff auf Kiew in diesem Jahr auf mehr internationale Unterstützung. "Wir
arbeiten weiter am Schutz unserer Städte und Gemeinschaften vor dem russischen
Terror", schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj im sozialen Netzwerk X. Er danke
allen ausländischen Politikern, die nach dem verheerenden Angriff unter anderem
auf eine Kinderklinik in Kiew neue Schritte zum Schutz der Ukraine
vorbereiteten. Die Unterstützung Kiews ist auch Thema beim dreitägigen
Nato-Gipfel in Washington, zu dem Selenskyj am Dienstag (Ortszeit) eintraf.

In einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates in New York zu den
Angriffen bekam Moskau neben Kritik des Westens auch ein Signal aus China: Die
Kämpfe hätten sich in letzter Zeit leider nicht beruhigt, "sondern verschärft
und es kam von Zeit zu Zeit zu brutalen Angriffen, die viele Opfer forderten.
China ist darüber zutiefst beunruhigt", sagte der stellvertretende Botschafter,
Geng Shuang. Peking äußerte sich dabei aber gewohnt vorsichtig und stellte
seinen Partner Moskau nicht direkt an den Pranger.

Scharfe Kritik in New York

Die USA dagegen hielten sich mit einer scharfen Verurteilung der Angriffe
mit Dutzenden Todesopfern nicht zurück. Es sei "grausam", dass Russland eine
Kinderklinik bombardiert habe. Die britische Botschafterin Barbara Woodward
fügte hinzu, Moskaus Verhalten sei "eine Schande für den Sicherheitsrat".
Frankreichs Vertreter Nicolas de Rivière sprach von einem "weiteren Eintrag und
eine Liste von Kriegsverbrechen", für die Russland zur Verantwortung gezogen
werden müsse.

Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja wiederholte die Version des
Kremls, dass der russische Angriff einer Fabrik in der Nähe des Krankenhauses
gegolten habe. Dabei sei eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete in der Folge
in die Klinik eingeschlagen. Das UN-Menschenrechtsbüro hatte in einer
vorläufigen Einschätzung jedoch mitgeteilt, das Gebäude sei von einer russischen
Rakete des Typs Kh-101 (Ch-101) direkt getroffen worden.

UN: Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen

Die Vereinten Nationen rückten den Luftangriff derweil in die Nähe eines
Kriegsverbrechens. "Ich möchte diesen Rat daran erinnern, dass Krankenhäuser
nach dem humanitären Völkerrecht besonderen Schutz genießen. Vorsätzliche
Angriffe auf ein geschütztes Krankenhaus sind ein Kriegsverbrechen und die Täter
müssen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Joyce Msuya, die amtierende
Chefin des UN-Nothilfebüros Ocha. Weil Russland im Weltsicherheitsrat Vetorecht
besitzt, ist ein Vorgehen des mächtigsten UN-Gremiums gegen Moskaus Aggression
ausgeschlossen.

Die Zahl der Toten in der ukrainischen Hauptstadt durch den Angriff vom
Montagvormittag stieg nach letzter Zählung auf 31. Dazu habe es 117 Verletzte
gegeben. Ähnlich schwer mit mindestens 32 Toten war Kiew zuletzt kurz vor dem
Jahreswechsel getroffen worden. Landesweit hatte die Ukraine durch die jüngste
Angriffswelle mindestens 42 Tote und 190 Verletzte zu beklagen.

In Kiew war für Dienstag ein Trauertag angesetzt. An dem großen
Kinderkrankenhaus Ochmatdyt (Schutz von Mutter und Kind) mit seiner völlig
zerstörten Fassade wurden nach über 24 Stunden die Rettungsarbeiten eingestellt.
Hunderte Retter, Mediziner und Freiwillige hatten bis zur Erschöpfung in den
Trümmern nach Opfern gesucht. Am Montag saßen gerettete krebskranke Kinder an
Infusionsgeräten auf dem Schoß ihrer Mütter auf der Straße. In der Klinik wurden
zwei Erwachsene getötet, darunter eine Ärztin.

Moskau widerspricht Version eines Treffers

Die Ukraine geht von einem gezielten Angriff aus. Kremlsprecher Dmitri
Peskow beteuerte dagegen: "Wir verüben keine Schläge gegen zivile Ziele. Schläge
gibt es nur gegen Objekte der kritischen Infrastruktur oder militärische Ziele",
sagte er der Agentur Tass zufolge.

Russland hatte am Montag Kiew, Krywyj Rih, Dnipro und andere Städte mit
knapp 40 Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Alle 600 in der Klinik
stationär behandelten Kinder seien in andere Gesundheitseinrichtungen gebracht
worden. Das Krankenhaus, in dem viele Kinder mit Krebs und anderen schweren
Krankheiten behandelt wurden, sei schwer beschädigt worden und könne ohne
erhebliche Reparaturen nicht mehr genutzt werden.

In einem zerstörten Wohnhaus in der Nähe der Kiewer Klinik wurden durch den
Luftangriff sieben Menschen getötet, darunter drei Kinder. Ein Junge wurde dort
in der Nacht tot geborgen. Zwei Menschen starben in einer nicht näher
bezeichneten Industrieanlage. Inoffizielle Berichte gehen von Angriffen auf ein
Rüstungsunternehmen aus. In einem weiteren teilweise zerstörten Krankenhaus
kamen neun Menschen ums Leben, in einem Geschäftszentrum sieben Menschen.

Ukraine schickt Schwärme von Kampfdrohnen nach Russland

Die Ukraine reagierte mit verstärkten Drohnenangriffen auf den schweren
russischen Raketenbeschuss. Ganze Drohnenschwärme erreichten Gebiete in
Russland. Ein Tanklager des Ölkonzerns Lukoil im Gebiet Wolgograd wurde dadurch
in Brand gesetzt. Gebietsgouverneur Andrej Botscharow machte dafür Trümmer
abgeschossener Drohnen verantwortlich. Diese seien auf das Lager in der Stadt
Kalatsch am Don gefallen.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, in der Nacht zum Dienstag seien 38 ukrainische Kampfdrohnen über den Gebieten Belgorod, Kursk, Woronesch,
Rostow und Astrachan abgefangen worden. Auf den Verkehrsflughäfen von Wolgograd
und Astrachan konnten vorübergehend keine Flugzeuge starten oder landen.

Die Ukraine verteidigt sich seit zwei Jahren gegen eine russische Invasion.
Weil ihr schwere Distanzwaffen fehlen, versucht sie diesen Mangel durch gezielte
Drohnenangriffe wettzumachen. Die angerichteten Schäden stehen aber in keinem
Verhältnis zu den verheerenden Folgen russischer Bombardements auf die Ukraine.

Scholz sagt der Ukraine Unterstützung zu

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der Ukraine erneut langfristige
Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg zu. "Und es ist gut, dass wir
das in den letzten Tagen noch einmal verstärkt haben mit einer ganz klaren
Botschaft: Wir werden der Ukraine so lange beistehen, wie das erforderlich ist",
sagte Scholz in Berlin vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel. Er verwies auf
Waffenlieferungen und die gemeinsame Initiative der wichtigsten
Industriestaaten. Die G7-Staaten hatten sich bei ihrem Gipfel in Italien darauf
verständigt, mit Hilfe von Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen
ein Kreditpaket im Umfang von etwa 50 Milliarden US-Dollar (etwa 47 Mrd. Euro)
zu finanzieren./fko/DP/he

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