15.05.2024 16:35:23 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Kein kräftiger Aufschwung in Sicht - 'Wirtschaftsweise' für Pkw-Maut
(neu: Mehr Details und Hintergrund.)
BERLIN (dpa-AFX) - Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland
ist nicht in Sicht. Auch die "Wirtschaftsweisen" erwarten für dieses Jahr nur
ein Mini-Wachstum. 2025 soll die Konjunktur anziehen, aber auf einem niedrigen
Niveau. Um die Modernisierung der teils maroden Verkehrsinfrastruktur zu
finanzieren, sprechen sich die "Wirtschaftsweisen" für eine Pkw-Maut aus.
"Wirtschaftsweise" senken Konjunkturprognose
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, ein Beratergremium der Bundesregierung, erwartet für dieses Jahr
nur noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,2 Prozent. Im vergangenen
Herbst hatten die "Wirtschaftsweisen" noch ein Wachstum von 0,7 Prozent
prognostiziert.
"Das sind schlechte Zahlen", sagte Ratsmitglied Martin Werding am Mittwoch
in Berlin. Er sprach von einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die
privaten Haushalte konsumierten aktuell noch zurückhaltend, Industrie und
Baubranche verzeichneten nur geringfügig neue Aufträge und die deutsche
Exportwirtschaft habe sich stark abgekühlt. Der Rat erwartet aber, dass die
deutsche Wirtschaft im Verlauf des Jahres 2024 etwas an Fahrt gewinnt. Der
private Konsum beginne voraussichtlich im Jahresverlauf die Konjunktur zu
stützen, da die Realeinkommen deutlich steigen dürften. Auch die Bundesregierung
rechnet für dieses Jahr nur mit einem Mini-Wachstum von 0,3 Prozent.
EU-Kommission pessimistischer
Die EU-Kommission erwartet für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur
ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent. Als Gründe nannte die Brüsseler Behörde
etwa eine schwache Auslandsnachfrage, einen schleppenden privaten Konsum und zu
geringe Investitionen. Zuletzt hatte die Kommission Deutschland ein Wachstum von
0,3 Prozent vorausgesagt. In anderen Ländern läuft es besser: Europaweit rechnet
die Kommission mit einem Wachstum von 1,0 Prozent.
Entspannung bei Inflation
Die Teuerung in Deutschland wird sich laut Prognose des Sachverständigenrats
weiter verlangsamen. Die "Wirtschaftsweisen" rechnen in diesem Jahr mit einer
Inflationsrate von 2,4 Prozent und 2025 mit einer von 2,1 Prozent. Im
vergangenen Jahr waren die Verbraucherpreise um 5,9 Prozent gestiegen.
Im nächsten Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft laut Prognose um 0,9 Prozent
wachsen. Im Verlauf dieses Jahres dürften der Welthandel und die globale
Industrieproduktion zunehmen, davon profitierten die deutschen Exporte. Ein
erhebliches Risiko sei aber die geopolitische Unsicherheit, hieß es mit Blick
auf den Krieg in der Ukraine sowie den Nahostkonflikt.
Wachstumsbremse Fachkräftemangel
Beim Wachstum bleibe die deutsche Volkswirtschaft bis zum Ende des
Jahrzehnts hinter ihren Möglichkeiten zurück, heißt es im Frühjahrsgutachten.
Vor allem der demografische Wandel - also die zunehmende Alterung der
Gesellschaft - und das damit zurückgehende Arbeitsangebot belasteten
mittelfristig den Wachstumsausblick.
Blick auf Haushaltsverhandlungen
In der Bundesregierung laufen angesichts von Milliardenlöchern derzeit
schwierige Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025. Die "Wirtschaftsweisen"
sehen darin ein Risiko. Es sei unsicher, in welchen Bereichen konsolidiert
werde. Unsicherheit beeinträchtige das Investitionsklima - sprich: Unternehmen
warten ab, was passiert.
"Wirtschaftsweise" wollen Pkw-Maut
Die Verkehrsinfrastruktur müsse modernisiert und ausgebaut werden, heißt es
im Frühjahrsgutachten. "Dafür sind höhere Infrastrukturausgaben erforderlich,
für die eine stärkere Nutzerfinanzierung, beispielsweise eine
fahrleistungsabhängige PKW-Maut, herangezogen werden sollte." Da schwere
Fahrzeuge die Infrastruktur stärker abnutzten als leichte Fahrzeuge, wäre eine
Differenzierung nach Gewicht sinnvoll.
Der schlechte Zustand der Verkehrsinfrastruktur führe zunehmend zu Staus auf
Autobahnen und einer geringen Zuverlässigkeit im Schienenverkehr und
beeinträchtigt so den Güterverkehr und die Wirtschaftsaktivität. Das absehbar
wachsende Transportaufkommen lasse die Belastung der Infrastruktur weiter
steigen. Die bestehende Lkw-Maut trägt dem Gutachten zufolge zu einem
erheblichen Teil dazu bei, die Verkehrsausgaben des Bundes zu decken. Neben Lkw
sollten auch Pkw für die Nutzerfinanzierung der Infrastruktur herangezogen
werden.
Anlauf für Pkw-Maut war gescheitert
2019 war die geplante Pkw-Maut in Deutschland - ein Prestigeprojekt der CSU
in der damaligen Bundesregierung - vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig
gestoppt worden. Zentraler Knackpunkt war, dass nur Fahrer aus dem Inland für
die Maut voll bei der Kfz-Steuer entlastet werden sollten. Verkehrsminister war
damals der CSU-Politiker Andreas Scheuer. Kurz nach dem Urteil kündigte er die
Verträge mit den vorgesehenen Betreibern, die dann Schadenersatz forderten. Eine
Verständigung nach einem Schiedsverfahren ergab, dass der Bund ihnen 243
Millionen Euro zahlen musste.
Interner Streit im Gremium
Der Vorstoß zur Pkw-Maut taucht auf in einem Extra-Kapitel des Gutachtens
zur klimaneutralen Umgestaltung des Güterverkehrs. Darin spricht sich die
Ratsmehrheit dafür aus, den Fokus auf Elektro-Lastwagen zu setzen. Dazu sollte
der Aufbau einer Ladeinfrastruktur im Fokus staatlichen Handelns stehen. Andere
emissionsarme Antriebe hätten nicht dieselbe Marktreife, sagte die
Ratsvorsitzende Monika Schnitzer.
Eine andere Meinung vertrat dagegen Ratsmitglied Veronika Grimm - die
inhaltlichen Differenzen wurden am Mittwoch auf offener Bühne ausgetragen. Grimm
hält einen einseitigen Fokus auf die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs für
falsch. Man müsse auch die Tankstelleninfrastruktur für Wasserstoff im
Schwerlastverkehr - wie von der EU vorgegeben - ausbauen. Grimm wies erneut
mögliche Interessenkonflikte zurück, weil sie ein Aufsichtsratsmandat beim
Energiekonzern Siemens Energy angetreten hatte. Schnitzer
kündigte einen Verhaltenskodex zur künftigen Arbeit im Rat an - ließ aber offen,
bis wann dieser kommen soll./hoe/DP/men