28.06.2024 06:41:11 - dpa-AFX: VERMISCHTES/'Killerbande von Brabant': Die Mörder, die entkommen sind

BRÜSSEL (dpa-AFX) - "Nicht schießen, das ist mein Vater", soll das kleine
Mädchen gerufen haben, kurz bevor sie und ihre Eltern auf einem
Supermarktparkplatz ermordet wurden. Eine von vielen tödlichen Gewalttaten in
den frühen 1980er Jahren in Belgien: Die "Killerbande von Brabant" begeht an den
Dreien sowie fünf weiteren Menschen ihre letzten Morde.

Drei Männer terrorisieren von 1982 bis 1985 Belgien und machen vor allem
durch brutale Überfälle auf Supermärkte Schlagzeilen. Hauptsächlich sind sie in
der Provinz Wallonisch-Brabant unweit der Hauptstadt Brüssel aktiv. Anstatt viel
Geld mit nach Hause zu nehmen, richten sie oft ein Blutbad unter der Kundschaft
an. Insgesamt 28 Menschen verloren ihr Leben, 20 weitere wurden verletzt.
Gefasst sind die Männer bis heute nicht.

Fast 40 Jahre später könnte die Bundesstaatsanwaltschaft die Jagd auf die
Täter aufgeben. An diesem Freitag lädt sie Opfer und Angehörige nach Brüssel
ein. Möglicherweise werde mitgeteilt, dass der Fall ruhen gelassen werde,
vermutet Peter Callebaut, einer der Anwälte der Hinterbliebenen. "Wahrscheinlich
wird sie den Opfern sagen, dass sie ihr Bestes getan haben, aber die Täter nicht
ausfindig machen konnten." Dieser Schlussstrich dürfte den Angehörigen etwas
Ruhe bringen, sagt er in verschiedenen Medien.

Zwar hätten die Hinterbliebenen finanzielle Unterstützung bekommen, sagt der Leiter der Kommission für die finanzielle Unterstützung für die Opfer von
Gewaltverbrechen, Léon-Hubert Oldenhove de Guertechin. Schlimm sei aber der
Kampf mit der Ungewissheit gewesen. "Das ist in meinen Augen extrem frustrierend
für die Opfer."

Von Champagner und Wein zum Mord

Das dunkle Kapitel in Belgiens Geschichte beginnt mit einer scheinbar
harmlosen Diebesbande. Erster Schauplatz war 1982 Dinant, eine Stadt im
französischsprachigen Landesteil Wallonie - bekannt für die eindrucksvollen
Klippen, die sie umringen. Im Frühling brechen Männer in ein Waffengeschäft ein
und entwenden laut Polizeiangaben eine alte Pistole. Später klauen sie aus einem
Supermarkt in Frankreich Champagner, Wein und Foie Gras, gestopfte Gänseleber.
Zu Flucht nutzen sie Autos, die sie regelmäßig stehlen - gewöhnliche Gangster,
könnte man meinen.

Keiner ist sicher

Als die Bande ein weiteres Waffengeschäft überfällt und 15 Schusswaffen
mitnimmt, ändert sich alles. Hier wird ein Polizist ihr erstes Todesopfer. Über
die Jahre folgen rätselhafte Morde, die oft willkürlich erscheinen. Gerüchte
kursieren etwa von der Folterung und Verstümmelung eines 72-Jährigen. Bei
Überfällen auf Supermärkte und Restaurants erbeutet das Trio niedrige Summen -
was oft zu der Annahme führt, dass es ihnen nicht um das Geld geht. Sie wirkten
glücklich, wild und emotionslos zu töten, beschreiben Augenzeugen.

Irgendwann kursiert eine Beschreibung der mutmaßlich drei Täter. Der
Anführer wird aufgrund seiner hohen Statur von fast zwei Metern als "der Riese"
bekannt. Der zweite wird "der Fahrer" oder der "alte Mann" genannt. Der Dritte
bekommt seinen Spitznamen erst später: Man wird ihn "den Killer" nennen.

Bei ihrem letzten Raubüberfall 1985 tragen sie Berichten zufolge
Karnevalsperücken, als sie auf dem Parkplatz eines Supermarktes wild um sich
schießen. Demnach scheint "der Killer" sich dabei zu amüsieren. Neben dem
Mädchen und seinen Eltern verlieren hier fünf weitere Menschen ihr Leben,
mehrere Dutzend werden schwerst verletzt. Die Beute: nicht mal 20 000 Euro.
Danach verschwindet die "Killerbande von Brabant".

Von Gendarmerie bis Rechtsextremisten

Über die Jahre kursieren viele Verschwörungen und Spekulationen, wer die
Männer sein könnten. Nach einer viel verbreiteten Theorie könnte es sich um
Rechtsextremisten mit Verbindungen zur inzwischen abgeschafften belgischen
Gendarmerie handeln. Es sei versucht worden, die Bevölkerung zu verunsichern und
die Regierung zu stürzen. Gewissheit gibt es bis heute nicht.

Ob der Staat genug getan hat, ist schwierig zu sagen, sagt Oldenhove de
Guertechin von der Opferhilfe. Berichten zufolge sind Beweisstücke teils
absichtlich verschwunden. Zwar wurden seit Beginn der Ermittlungen vor mehr als
30 Jahren zwei vollständige DNA-Profile erstellt. 2020 hoffte die
Bundesstaatsanwaltschaft auf einen Durchbruch, denn ein Gericht genehmigte die
Sammlung von DNA-Proben von Hunderten Belgiern. Tatsächlich wurden neue
Erkenntnisse gewonnen, eine vollständige Klärung gab es aber nicht. Am Ende
bleibt es düster: Polizei und Justiz können bis heute mögliche Hintermänner,
Täter und Motive nicht einwandfrei klären. Und die Opfer und ihre
Hinterbliebenen bleiben mit der Frage allein: Wer hat meine Familie
getötet?/scr/DP/zb

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