20.06.2024 11:23:51 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/EU-Deal zu Sanktionen: Berlin verhindert schärfere Russland-Klausel

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BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die EU-Staaten haben sich nach zähen Verhandlungen um
deutsche Änderungswünsche auf ein 14. Paket mit Russland-Sanktionen verständigt.
Mit den neuen Strafmaßnahmen soll insbesondere gegen die Umgehung von bereits
bestehenden Sanktionen vorgegangen werden. Sie werden allerdings weniger scharf
ausfallen als geplant, da die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD)
zugunsten der deutschen Wirtschaft Abschwächungen durchsetzte. Kritiker
befürchten, dass Russlands Rüstungsindustrie deswegen vorerst weiter Zugriff auf
westliche Güter und Technologien haben wird, um Waffen für den Krieg gegen die
Ukraine herzustellen.

Neben Maßnahmen gegen Sanktionsumgehungen sieht das 14. EU-Paket unter
anderem vor, dass erstmals scharfe EU-Sanktionen gegen Russlands
milliardenschwere Geschäfte mit Flüssigerdgas (LNG) verhängt werden. Nach
Angaben von Diplomaten soll verboten werden, dass Häfen wie der im belgischen
Zeebrugge zur Verschiffung von russischem LNG in Drittstaaten genutzt werden.
Dies führt dann im Idealfall dazu, dass Russland wegen mangelnder
Transportkapazitäten weniger Flüssigerdgas verkaufen und weniger Geld in seinen
Angriffskrieg stecken kann.

Die Einigung auf das neue Sanktionspaket wurde am Donnerstag bei einem
Treffen der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU in Brüssel
erzielt, wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Sie muss
nun nur noch formalisiert werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Durchbruch trotz der Abschwächungen. "Dieses schlagkräftige Maßnahmenpaket wird Russland den
Zugang zu Schlüsseltechnologien noch weiter verwehren", kommentierte sie. Zudem
werde es dem Land auch weitere Einnahmen aus dem Energiesektor entziehen und das
Problem angehen, dass Kremlchef Wladimir Putin zur Umgehung von Sanktionen auf
eine sogenannte Schattenflotte und ein Schattenbankennetzwerk setzt.

Russland wird zum Beispiel bereits seit langem vorgeworfen, zur Umgehung
eines westlichen Preisdeckels für russische Ölexporte in Drittstaaten auf
Schiffe zu setzen, die nicht in Hand westlicher Reedereien sind oder nicht von
westlichen Versicherungen versichert wurden.

Bundesregierung nervte Partner

Das neue Sanktionspaket war bereits Anfang Mai von der EU-Kommission
vorgeschlagen worden. Dass es darauf nicht eher eine Einigung gab, lag
insbesondere an deutschen Bedenken und Änderungswünschen. Zuletzt habe es sich
angefühlt, als ob Deutschland das neue Ungarn sei, sagte jüngst ein EU-Beamter
in Anspielung darauf, dass die Budapester Regierung von Ministerpräsident Viktor
Orban in der Vergangenheit immer wieder Entscheidungen für Russland-Sanktionen
verzögert hatte.

Nach Angaben von Diplomaten forderte die Bundesregierung in den
Verhandlungen vor allem, dass Pläne für strengere Maßnahmen gegen eine Umgehung
der bestehenden Russland-Sanktionen abgeschwächt werden. Grund waren
offensichtlich Warnungen aus der deutschen Wirtschaft, die einen zu hohen
Verwaltungsaufwand und Umsatzverluste befürchtet.

Millionengeschäfte trotz Sanktionen

Befürworter eines entschlossenen Vorgehens gegen Sanktionsumgehungen
verwiesen hingegen auf Schätzungen der EU-Kommission, nach denen über
Tochtergesellschaften von europäischen Unternehmen noch immer Waren im Wert von
Hunderten Millionen Euro nach Russland geliefert werden, die dort wegen
EU-Sanktionen eigentlich nicht mehr landen sollten. Konkret geht es dabei
hauptsächlich um Güter, die zur Entwicklung des Verteidigungs- und
Sicherheitssektors Russlands beitragen können.

Der Kompromiss sieht nach Angaben von Diplomaten nun vor, dass die
sogenannte "No Russia Clause" vorerst nicht wie geplant auf Tochterunternehmen
angewendet werden muss. Mit ihr wird von EU-Exporteuren verlangt, dass sie die
Wiederausfuhr von bestimmten Gütern nach Russland und die Wiederausfuhr zur
Verwendung in Russland vertraglich verbieten. Betroffen davon sind unter anderem
Luftfahrtgüter, Waffen und fortgeschrittene Technologiegüter, die in russischen
Militärsystemen verwendet werden. Vom Tisch ist das Thema allerdings nicht: Die
Einigung sieht vor, dass eine detaillierte Analyse über die möglichen
Auswirkungen der "No Russia Clause" auf die Wirtschaft erstellt wird. Danach
soll erneut über eine Ausweitung gesprochen werden.

Zoff in der Bundesregierung

Die deutsche Positionierung hatte auch für Streit innerhalb der
Bundesregierung gesorgt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sah das
Auswärtige Amt Vorbehalte des Kanzleramts gegen das Sanktionspaket als
problematisch und imageschädigend an. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es,
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe in den vergangenen zwei Jahren
intensiv daran gearbeitet, bei den europäischen Partnern verlorenes Vertrauen
aufgrund der alten Russlandpolitik wiederherzustellen. Dieses Vertrauen dürfe
nun nicht wieder verspielt werden.

13. Paket kam zum Jahrestag

Das 13. große Paket mit Russland-Sanktionen war im Februar zum zweiten
Jahrestag des Kriegs gegen die Ukraine beschlossen worden. Es richtete sich
gegen 106 Personen und 88 Einrichtungen, die für Handlungen verantwortlich sind,
die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine
untergraben oder bedrohen. Darunter waren auch Personen, die an
Waffenlieferungen Nordkoreas an Russland beteiligt sind, sowie der
nordkoreanische Verteidigungsminister.

Zudem wurden Handelsbeschränkungen für weitere Güter erlassen, die zur
technologischen Stärkung des russischen Verteidigungs- und Sicherheitssektors
beitragen können. Dabei ging es um Komponenten für die Entwicklung und
Herstellung von Drohnen. Bereits seit Längerem gibt es weitreichende
Wirtschaftssanktionen wie zum Beispiel Einfuhrverbote für Rohöl, Kohle, Stahl,
Gold und Luxusgüter sowie Strafmaßnahmen gegen Banken und
Finanzinstitute./aha/DP/mis

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