24.05.2024 09:00:10 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Entfremdet: Warum Trump gerade auf dem Land so viel Erfolg hat

FREDERICK COUNTY (dpa-AFX) - Irgendwo in der Mitte des Landkreises Frederick
County im US-Bundesstaat Maryland beginnt "Trump Country". Dort, wo die Häuser
einzeln inmitten von Feldern und Wäldern verstreut liegen, hat der Republikaner
Donald Trump bei der Präsidentenwahl 2020 nahezu jeden Stimmbezirk gewonnen. Die
urbaneren Bezirke gewann der Demokrat und aktuelle Amtsinhaber Joe Biden,
weshalb er den Landkreis letztendlich für sich verbuchen konnte, ebenso wie den
Bundesstaat Maryland. Das ist beispielhaft für eine in den USA wachsende Kluft
zwischen Stadt und Land, die bei der Wahl im November sehr bedeutsam sein
dürfte. Frederick County am Rande des überwiegend demokratisch wählenden Umlands
der Hauptstadt Washington ist sozusagen politisches Grenzgebiet.

Verbitterung als Wahlantrieb

"Washington?" Für den US-Regierungssitz hat Chris nur ein verächtliches
"Jauchegrube" übrig. Der Mittfünfziger kellnert dreimal die Woche in einem Diner
an einer Schnellstraße, lebt im ländlichen Teil von Frederick County und hält
mit seiner Meinung auch sonst nicht hinter dem Berg. Während seine Spanisch
sprechenden Kolleginnen neben ihm im Restaurant die Tische abräumen, klagt er
über die seiner Meinung nach zu wenig regulierte Migration aus Südamerika und
listet dann eine Reihe kulturpolitischer Themen auf, die ihm ebenso Sorge
bereiten wie die hohen Preise im Supermarkt und an der Tankstelle. "Du kannst
Dir sicherlich denken, wen ich wählen werde", sagt er.

Dass Trump von Menschen wie Chris einfach nur deshalb unterstützt wird, weil er konservative Standpunkte etwa zu Religion, Abtreibung oder dem Waffenrecht
vertritt, greift einer Reihe von Studien zufolge zu kurz. In der Wahlforschung
gibt es einen lebhaften Diskurs rund um das sogenannte Phänomen des "rural
resentment" (zu Deutsch etwa: "ländliche Verbitterung"). Demnach treibt
besonders weiße Amerikaner, überwiegend auf dem Land, die tief sitzende Annahme
an die Wahlurne, vergessen oder nicht ernst genommen zu werden - sowohl
ökonomisch als auch kulturell.

Indem er diese Verbitterung anfeuert, vermittelt Trump seinen Anhängern auch ohne realistische Lösungsvorschläge das Gefühl, gehört zu werden. Für eine
Wählerschaft, die sich ohnehin von der Politik und den Medien nicht abgeholt
fühlt, schafft er mit einfachen Erklärungen eine gefährliche Resonanzfläche -
besonders durch die pauschale Dämonisierung von Einwanderern. So verfestigte
sich zuletzt etwa die Verschwörungstheorie, Bidens Demokraten wollten Amerikas
"traditionelle" Wählerschaft durch Menschen aus Lateinamerika ersetzen.

Unzufriedenheit trotz Wachstum

Was Urbanisierung politisch bedeutet, ist in Frederick County exemplarisch
zu beobachten: 2020 gewann Biden den Landkreis als erster demokratischer
Präsidentschaftskandidat seit 1964. Die Gegend hat sich in den vergangenen
Jahren stark verändert. Medizinische Forschungszentren ziehen gut ausgebildete
junge Menschen an. Auch wegen Migration aus Lateinamerika gehört die Bevölkerung
zu den am schnellsten wachsenden in Maryland. In Frederick, dem Verwaltungssitz
von Frederick County, leben inzwischen rund 80 000 Menschen. Doch das Wachstum
hat auch Nebenwirkungen: Wohnraum ist knapp und teuer geworden. Es wird unter
anderem darüber gestritten, ob Ackerland für neue Wohnungen und den Bau eines
wasserintensiven Rechenzentrums geopfert werden soll.

Rick Weldon saß einst als republikanischer Abgeordneter im Parlament von
Maryland, kehrte seiner Partei dann aber den Rücken. Jetzt leitet er die
Handelskammer von Frederick County. Er begrüßt den Wandel in seiner Heimat,
schwärmt von der Kunstszene und dem jährlichen Pride-Festival. Ob Veränderungen
wie diese manchen Menschen möglicherweise auch Angst einflößen? "Bestimmt",
meint Weldon. Eine starke Wirtschaft und Vielfalt hängen für ihn aber zusammen.
Er findet, die Menschen müssten wieder mehr miteinander reden. "Wir haben es
zugelassen, uns zu sehr in unsere Ecken zurückzuziehen." Dafür macht er auch die
Medien verantwortlich, die seiner Meinung nach zur Polarisierung beitragen.

Weldon glaubt, dass es bei der Wahl diesen November erneut zu einem
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Biden und Trump kommen wird - was auch aktuelle
Umfragen belegen. Trotz der boomenden Wirtschaft in seinem Landkreis nimmt
Weldon bei seinen Mitbürgern große Unzufriedenheit wahr. "Man kann Joe Biden
nicht die Schuld an 4,50 Dollar teurem Sprit geben", sagt er. "Genauso wie 2,90
Dollar nicht der Verdienst von Donald Trump waren. Aber so denken die Leute
nicht." Der Spritpreis bezieht sich auf eine Gallone, was knapp vier Litern
entspricht.

Was Weldon beschreibt, ist ein landesweites Problem für Biden. Zwar ist die
Inflationsrate gesunken und auf dem Arbeitsmarkt läuft es gut, aber Preise für
Alltagseinkäufe haben sich auf einem hohen Niveau eingependelt. Wenn Biden also
die Wirtschaftslage zu sehr anpreist, kann das für manche Menschen mitunter
weltfremd wirken.

Die richtige Botschaft

"Ich befürchte, dass wir uns in einer Zeit der Unzufriedenheit befinden",
sagt Michael Sozan vom American Progress Action Fund, einer linken
US-Interessenvertretung. Nicht nur auf dem Land fühlten sich viele von der
Politik entfremdet. Die soziale Schere gehe allgemein immer weiter auseinander.
"Die Menschen haben nicht mehr die gleiche Hoffnung, dass die Generation ihrer
Kinder und Enkel es einmal besser haben wird als die eigene", sagt Sozan.

Inmitten dieser Gemengelage habe man Trump rhetorisch gewissermaßen das Feld überlassen. Das sei brandgefährlich für die Demokratie, warnt Sozan. Das
US-System sei nicht auf Anführer wie Trump ausgelegt. Neben gezielten Reformen
brauche es deshalb auch die richtige Botschaft. Um dem Frust der Menschen etwas
entgegenzusetzen, müssten Biden und die Demokraten "bessere Geschichtenerzähler"
sein.

In dieser Hinsicht brilliert derzeit vor allem einer: Trump. Da ist es
zweitrangig, dass er während seiner Amtszeit Entscheidungen traf, die etwa für
Kleinbauern verheerende wirtschaftliche Folgen hatten. Es war auch Trump, der
erhebliche Kürzungen bei der besonders für das ländliche Amerika wichtigen
Postbehörde anstieß. Chris im Diner ist trotzdem überzeugt, dass der
Republikaner der bessere Präsident wäre, für sich und die Menschen in seinem
Dorf. Dort, so erzählt er, gibt es zwar eine Bar, eine Tankstelle und viele
bewaffnete Bürger. Aber keinen Briefträger./gei/DP/jha

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