13.05.2024 09:35:04 - dpa-AFX: ROUNDUP 3: Putin ändert Machtgefüge im Kreml

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MOSKAU (dpa-AFX) - Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs gegen
die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin seinen Verteidigungsminister und engen
Vertrauten Sergej Schoigu entlassen. Schoigus Nachfolger soll der bisherige
Vize-Regierungschef Andrej Beloussow werden, wie das Oberhaus des russischen
Parlaments am Sonntagabend mitteilte. Dort waren Putins Vorschläge für die
Zusammensetzung der neuen russischen Regierung eingegangen. Die Auswechslung
Schoigus kam nicht überraschend, ist aber zu Beginn von Putins fünfter Amtszeit
die brisanteste Personalie.

Schoigu soll nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates werden; diesen
Posten hat bislang Nikolai Patruschew bekleidet. Patruschews neue Verwendung
werde in Kürze bekannt gegeben, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Die Bildung einer neuen Regierung steht an, nachdem die alte nach der
Präsidentenwahl Mitte März verfassungsgemäß zurückgetreten war. Bei der von
Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschatteten Abstimmung hatte sich Putin
zum haushohen Sieger ausrufen lassen; vor einigen Tagen ließ er sich dann
offiziell für seine mittlerweile fünfte Amtszeit vereidigen. In der neuen
Regierung gibt es einige Personalwechsel - keiner davon ist aber auch nur
annähernd so wichtig wie die Auswechslung Schoigus. So hält Putin etwa weiter an
Ministerpräsident Michail Mischustin fest. Weiter im Amt bleibt zudem auch nach
20 Jahren der 74-jährige Außenminister Sergej Lawrow, über dessen Ablösung
zuletzt ebenfalls spekuliert worden war.

Zivilist an Spitze des Verteidigungsministeriums

Ein offizieller Grund für die Entlassung Schoigus wurde nicht genannt.
Vereinzelt war allerdings über eine mögliche Entlassung des 68-Jährigen, der
seit 2012 Verteidigungsminister war, spekuliert worden. Vor wenigen Wochen war
einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, wegen Korruptionsvorwürfen
verhaftet worden. Beobachter hatten das als Anzeichen von Machtkämpfen innerhalb
des russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet. Generalstabschef
Waleri Gerassimow bleibe an seinem Platz, betonte Peskow. Die militärische
Komponente im Verteidigungsministerium bleibe auch nach der Ernennung Beloussows
unverändert.

"Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen
und deren Umsetzung ist", erklärte Kremlsprecher Peskow Putins Entscheidung für
einen Zivilisten an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Beloussow sei
nicht nur Zivilbeamter, sondern habe auch viele Jahre erfolgreich in der Politik
gearbeitet und Putin in Wirtschaftsfragen beraten. Er sei "zweifellos der beste
Kandidat", um den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue
Technologien einzuführen, wurde der Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow von Tass
zitiert.

Die Ernennung Beloussows als Schoigus Nachfolger deutet für einige Experten
zudem darauf hin, dass Putin den Krieg vor allem mit der Produktion in den
Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. "In seiner Denkweise ist das logisch, weil
sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der
Sicherheits- und Militärapparat", sagte der Journalist Alexander Baunow, der
jahrelang als politischer Analyst am Moskauer Carnegie-Institut gearbeitet hat
und mittlerweile beim Carnegie Russia Eurasia Zentrum in Berlin leitender
Wissenschaftler ist. Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine
nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die
Kapazitäten des Rüstungskomplexes.

Litauens Präsident: Schoigu-Entlassung Zeichen für russische Öffentlichkeit

Kremlsprecher Peskow machte ebenfalls deutlich, dass die
Verteidigungsausgaben in Russland inzwischen so hoch seien, dass jemand wie
Beloussow der Mann sei, um den Bereich zu kontrollieren. Das
Verteidigungsressort nehme bei den Sicherheitsausgaben Russlands inzwischen eine
Schlüsselposition ein, sagte Peskow. "Das erfordert besonders wichtige
Entscheidungen."

Nach Einschätzung von Litauens Präsident Gitanas Nauseda ist Schoigus
Entlassung als Zeichen für die russische Öffentlichkeit gedacht. "Dies geschieht
für den heimischen Markt. Dies geschieht, um diesen Krieg fortsetzen zu können.
Machen wir uns keine Illusionen darüber, dass Putin zu friedlichen Verhandlungen
bereit ist", sagte der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes litauischen
Medienberichten in der Nacht zu Montag in Vilnius./haw/DP/zb

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