12.05.2024 15:46:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Israel weitet Einsätze im Gazastreifen wieder aus - auch im Norden

GAZA/TEL AVIV (dpa-AFX) - Die israelische Armee hat ihre Angriffe im
Gazastreifen am Wochenende auch wieder auf Orte ausgeweitet, in denen das
Militär schon im Einsatz gewesen war. Israelische Soldaten hätten einen erneuten
Einsatz in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des Küstengebiets
begonnen, teilte das Militär am Sonntag mit. Auch der militärische Arm der
Terrororganisation Hamas berichtete von schweren Zusammenstößen seiner Kämpfer
mit israelischen Truppen in Dschabalia.

Die israelische Armee setzt außerdem ihre nach eigenen Angaben "präzisen"
Vorstöße in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des
Gazastreifens sowie im Viertel Al-Saitun im Norden des Küstenstreifens fort.

Armee: Hamas baut ihre Infrastruktur wieder auf

Der Armee lagen demnach Geheimdienstinformationen vor, denen zufolge die
Hamas versucht hatte, in Dschabalia ihre zuvor zerstörte Infrastruktur wieder
aufzubauen. Israel hatte die Zivilbevölkerung in dem Flüchtlingsviertel vor dem
neuen Einsatz zur Evakuierung aufgerufen.

Die "Times of Israel" berichtete am Sonntag, die Armee sei von der Präsenz
von 100 000 bis 150 000 Palästinensern in dem Gebiet von Dschabalia ausgegangen.
Das Palästinenserhilfswerk UNRWA hatte sich "äußerst besorgt" über die
Evakuierungsaufrufe für Rafah im Süden und Dschabalia im Norden des
Küstenstreifens geäußert.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte Israel am Samstag vor einer
Ausweitung des Einsatzes. "Wir halten eine Offensive auf Rafah (...) für
unverantwortlich", sagte er in Potsdam.

Familien toter Geiseln: Sie verdienen anständiges Begräbnis

In Israel kam es am Samstagabend zu wütenden Protesten gegen die Regierung
von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Solange Netanjahu an der Macht ist,
werden die Geiseln nicht zurückkehren (...) Netanjahu führt Israel in den
völligen Untergang", zitierten israelische Medien aus einer Erklärung von
Angehörigen der Geiseln.

Am Vorabend des israelischen Gedenktags für gefallene Soldaten und
Terroropfer forderten die Angehörigen getöteter Geiseln in der Gewalt der Hamas
ein würdiges Begräbnis für ihre Toten.

Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen in Israel
1200 Menschen getötet und weitere 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen
verschleppt. Nach einem Austausch gegen palästinensische Häftlinge aus
israelischen Gefängnissen wurde zuletzt angenommen, dass noch 132 von ihnen in
dem Küstenstreifen sein dürften. Vermutet wird aber, dass viele von ihnen nicht
mehr am Leben sind.

Das beispiellose Massaker war Auslöser des Gaza-Krieges. Am Samstag rief die israelische Armee die Bevölkerung in der an Ägypten grenzenden Stadt Rafah im
Süden Gazas auf, weitere Gebiete im Osten und erstmals auch im Zentrum der Stadt
zu verlassen. Israel hatte zu Wochenbeginn den Einsatz von Bodentruppen zunächst
in den östlichen Außenbezirken von Rafah begonnen. Seither seien "Dutzende von
Terroristen ausgeschaltet", unterirdische Terrortunnel freigelegt und große
Mengen an Waffen sichergestellt worden, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Nicht
nur Hilfsorganisationen befürchten, dass eine Ausweitung der israelischen
Offensive dazu führen könnte, dass Hunderttausende Zivilisten zwischen die
Fronten geraten.

Bericht: USA bieten Israel Geheimdiensthilfe in Rafah an

Die USA haben Israel für den Verzicht auf eine Großoffensive in Rafah einem
Medienbericht zufolge Hilfe beim Aufspüren von Anführern der islamistischen
Hamas angeboten. Wie die Zeitung "Washington Post" am Samstag (Ortszeit) unter
Berufung auf vier mit dem US-Angebot vertraute Personen berichtete, würden die
USA dem israelischen Militär mit geheimdienstlicher Unterstützung helfen, den
Aufenthaltsort von Hamas-Anführern sowie unterirdische Tunnel der
Terrororganisation zu lokalisieren. Amerikanische Beamte hätten zudem angeboten,
Israel Tausende von Notunterkünften bereitzustellen, damit die Armee Zeltstädte
für die zu evakuierenden Bewohner von Rafah aufbauen könne.

Die israelische Armee begründet das schon vor Monaten angedrohte
militärische Vorgehen in Rafah damit, die letzten Bataillone der Hamas
zerschlagen und die unter der Grenze zu Ägypten vermuteten Schmuggel-Tunnel
zerstören zu wollen.

Berichte: Israels Militärchef fordert Nachkriegs-Strategie

Israels Armee müsse mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach
dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen wie jetzt in Dschabalia kämpfen,
die sie eigentlich zuvor eingenommen und aus denen sie sich bereits wieder
zurückgezogen hatte, beklagte Generalstabschef Herzi Halevi Medienberichten
zufolge bei Sicherheitsberatungen mit Netanjahu. "Solange es keinen
diplomatischen Prozess gibt, um eine Verwaltung im Gazastreifen aufzubauen, die
nicht der Hamas angehört, müssen wir immer wieder Kampagnen an anderen Orten
starten, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören", wurde der israelische
Militärchef in der "Times of Israel" zitiert. "Es wird eine Sisyphusarbeit
sein."

Netanjahu hatte kürzlich im US-Fernsehen über die Zukunft des Gazastreifens
gesprochen und gesagt, im Fall einer Niederlage der Hamas in dem abgeriegelten
Küstengebiet werde es vermutlich "irgendeine Art Zivilverwaltung" geben,
"möglicherweise mithilfe der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und
anderen Ländern". Dabei gehe es um Staaten, die sich "Stabilität und Frieden"
wünschten. Der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid stellte jedoch am
Samstag auf der Online-Plattform X klar, man werde sich an keiner möglichen
Zivilverwaltung mit anderen Staaten beteiligen. Sein Land werde sich in keine
Pläne hereinziehen lassen, um "Deckung zu geben für Israels Präsenz im
Gazastreifen". Netanjahu habe auch keine Befugnis, solch einen Schritt in die
Wege zu leiten.

Biden sieht Hamas in der Pflicht

US-Präsident Joe Biden bekräftigte unterdessen mit Blick auf die indirekten
Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln die
Verantwortung der Hamas. "Wissen Sie, es gäbe morgen einen Waffenstillstand,
wenn (...) die Hamas die Geiseln freilassen würde - Frauen, ältere Menschen und
Verwundete", sagte Biden am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Medina
im US-Bundesstaat Washington nach Angaben mitreisender Pressevertreter. Der
Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, hatte am
Freitag gesagt, die Verhandlungen steckten in der Sackgasse. Ägypten will nun
gemeinsam mit den USA die Konfliktparteien zu mehr Kompromissbereitschaft
bewegen.

Rakete aus Gaza trifft Wohnhaus in Aschkelon

Eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete schlug unterdessen nach
Medienberichten in der Nacht zum Sonntag in einem Wohnhaus in der israelischen
Küstenstadt Aschkelon ein. Drei Menschen seien dabei verletzt worden. Die Hamas
hatte zuletzt wieder verstärkt israelische Ortschaften vom Gazastreifen aus
angegriffen, darunter auch immer wieder den Grenzübergang Kerem Schalom, über
den humanitäre Hilfsgüter kommen.

Israel: Südafrika agiert als juristischer Arm der Hamas

Die israelische Regierung forderte unterdessen den Internationalen
Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf, den erneuten Eilantrag Südafrikas zum
Verhindern eines Völkermords an Palästinensern abzulehnen. Südafrika agiere als
juristischer Arm der Hamas, schrieb der Sprecher des israelischen
Außenministeriums, Oren Marmorstein, am Samstag auf X. Südafrika hatte sich am
Freitag erneut an den IGH gewandt und gefordert, das Gericht müsse Israel zu
weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an Palästinensern zu verhindern.
Unter anderem solle Israel sich sofort aus Rafah zurückziehen./ln/DP/he

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