14.05.2024 18:25:16 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Israel dringt tiefer in Rafah ein - 450 000 Menschen schon geflohen

(aktualisiert mit Ärzte ohne Grenzen und Polizeiminister Ben-Gvir)

TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Israelische Truppen sind nach Augenzeugenberichten tiefer in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorgedrungen. Panzer
bewegten sich demnach am Dienstag von Osten aus in weiter westlich gelegene
Viertel. Die Armee äußerte sich zunächst nicht zu den Berichten.

Verbündete wie die USA hatten Israel insbesondere wegen der befürchteten
Konsequenzen für die Zivilbevölkerung immer wieder vor einer großen
Bodenoffensive in der Stadt gewarnt. Dort hatten bis vergangene Woche rund eine
Million Menschen Schutz vor Kämpfen im übrigen Gazastreifen gesucht. Fast 450
000 Menschen haben laut UN-Schätzungen binnen einer Woche Rafah wieder
verlassen. "Leere Straßen in Rafah, während Familien weiter fliehen auf der
Suche nach Sicherheit", schrieb das Palästinenserhilfswerk UNRWA auf der
Plattform X.

Die israelische Armee war vor gut einer Woche von Osten auf die Stadt
vorgerückt und kontrolliert seitdem auch den palästinensischen Teil des
Rafah-Grenzübergangs nach Ägypten. Israel übt militärischen Druck auf die
islamistische Hamas in Rafah aus, um die Freilassung von im Oktober
verschleppten Geiseln zu erreichen. Israel will auch die verbliebenen Bataillone
der Extremisten zerschlagen.

"Die Menschen sind ständig mit Erschöpfung, Hunger und Angst konfrontiert",
hieß es in dem X-Post von UNRWA. "Es ist nirgendwo sicher. Eine sofortige
Waffenruhe ist die einzige Hoffnung."

Heftige Kämpfe vom Norden bis Süden des Gazastreifens

Israelische Angriffe und Kämpfe im Gazastreifen dauerten auch am Dienstag
an. Palästinensische Augenzeugen berichteten von fortwährendem israelischem
Beschuss im Norden, Süden und mittleren Abschnitt des Küstenstreifens. Der
militärische Arm der Terrororganisation Hamas teilte mit, seine Kämpfer hätten
in Rafah mehrfach israelische Truppen am Grenzübergang nach Ägypten angegriffen.
Außerdem hätten sie einen israelischen Truppentransporter in Rafah beschossen.

Die israelische Armee teilte mit, die Streitkräfte hätten am
Rafah-Grenzübergang "mehrere bewaffnete Terrorzellen im Kampf aus nächster Nähe
ausgeschaltet". Auch der Einsatz im Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des
Gazastreifens sei ausgeweitet worden. Mit Panzerfeuer seien "Dutzende
Terroristen ausgeschaltet worden", die auf israelische Truppen geschossen
hätten. Insgesamt habe die Luftwaffe binnen 24 Stunden "mehr als 100 Terrorziele
im Gazastreifen angegriffen".

Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte mit, seit
Kriegsbeginn vor mehr als sieben Monaten seien 35 173 Palästinenser im
Gazastreifen getötet und mehr als 79 000 weitere verletzt worden. Die unabhängig
kaum zu verifizierende Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und
Kämpfern.

Hamas greift erneut israelische Städte an

Die Hamas feuerte am Dienstag erneut eine Rakete aus dem Gazastreifen auf
die israelische Küstenstadt Aschkelon ab. Der militärische Hamas-Arm reklamierte
den Angriff für sich. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete, das
Geschoss sei von der Raketenabwehr abgefangen worden. Auch in Sderot gab es am
Dienstag Raketenalarm. Die neuen Angriffe aus Gaza kamen, während in der
Grenzstadt hunderte von rechtsorientierten Israelis für eine Wiederbesiedlung
des 2005 von Israel geräumten Gazastreifens demonstrierten.

Die Hamas hat zuletzt wieder verstärkt israelische Ortschaften vom
Gazastreifen aus angegriffen. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als sieben
Monaten sind nach israelischen Angaben mehr als 16 600 Geschosse aus dem
Küstenstreifen abgefeuert worden.

Ärzte ohne Grenzen: Weiteres Krankenhaus in Rafah muss schließen

Angesichts der fortschreitenden israelischen Militäroffensive in Rafah im
südlichen Gazastreifen hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die
Versorgung im Indonesischen Krankenhaus in Rafah eingestellt.

Die 22 dort noch verbliebenen Patientinnen und Patienten seien an andere
Einrichtungen überwiesen worden, da ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet
werden konnte, teilte eine Sprecherin am Dienstag mit.

Seit Kriegsbeginn habe man zwölf Gesundheitseinrichtungen verlassen und 26
Angriffe erleben müssen, "darunter Luftangriffe, die Krankenhäuser beschädigten,
Panzer, die auf gekennzeichnete Unterkünfte feuerten, Bodenangriffe auf
medizinische Einrichtungen und Konvois, die beschossen wurden", sagte
Michel-Olivier Lacharité, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen, laut der
Mitteilung.

Katar: Nahezu "Stillstand" bei Gesprächen zur Waffenruhe im Gaza-Krieg

Die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sind dem Vermittlerstaat
Katar zufolge nahezu zum "Stillstand" gekommen. Es gebe grundlegende
Unstimmigkeiten zwischen der Hamas und Israel, sagte der katarische
Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in der Hauptstadt Doha.

Eine Seite wolle den Krieg beenden und dann über die Geiseln sprechen, die
andere Seite wolle die Geiseln befreien und den Krieg fortsetzen. "Solange es
keine Einigkeit bei diesen beiden Dingen gibt, werden wir zu keinem Ergebnis
kommen."

Netanjahu: Israel im Kampf um seine Existenz

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu betonte zum Unabhängigkeitstag
seines Landes Entschlossenheit. Er nannte den Krieg bei der zentralen Zeremonie
zum Soldatengedenktag einen Kampf um die Existenz seines Landes. Der Ausgang des
Kriegs wird nach Einschätzung seines Verteidigungsministers Joav Galant das
Leben der Israelis in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. "Dies ist ein Krieg
ohne Alternative", sagte Galant.

Israels Polizeiminister für Siedlungen im Gazastreifen

Mehrere Minister der rechtsnationalen und rechtsextremen Parteien in der
Koalitionsregierung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu
forderten unterdessen Medienberichten zufolge am Dienstag bei einer
Demonstration die Errichtung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen.

Sie nahmen demnach an einer Kundgebung im südisraelischen Sderot nahe dem
Gazastreifen teil, zu der sich mehrere tausend Vertreter der extremen Rechten
versammelt hatten.

"Wir müssen jetzt nach Gaza zurückkehren", sagte der Polizeiminister Itamar
Ben-Gvir den Berichten zufolge. Dies sei die einzige wahre Lösung. "Wir kehren
heim ins heilige Land. Und zweitens müssen wir zu freiwilliger Auswanderung der
Einwohner von Gaza ermutigen."

Internationaler UN-Mitarbeiter getötet

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde erstmals ein internationaler
UN-Mitarbeiter im Gazastreifen getötet. Er sei bei einem Angriff auf sein
Fahrzeug auf dem Weg zu einem Krankenhaus im abgeriegelten Küstenstreifen ums
Leben gekommen, sagte ein Sprecher am Montag. Ein weiterer Mitarbeiter sei
verletzt worden. Hintergründe des Vorfalls wie auch die Nationalität der Opfer
blieben zunächst unklar.

Familien der Geiseln: Hoffnung noch nicht verloren

Währenddessen erinnerten am Vorabend des Unabhängigkeitstages bei einer
Kundgebung in Tel Aviv nach Angaben der Veranstalter rund 100 000 Menschen an
das Schicksal der 132 Geiseln im Gazastreifen. Die Kundgebung stand unter dem
Motto "Unsere Hoffnung ist noch nicht verloren". Dabei gab es auch Proteste
gegen Netanjahu und seine Regierung. Ein Redner warf der Regierung Versagen vor,
weil sie den islamistischen Terrorangriff am 7. Oktober und die Geiselnahmen
nicht verhindert habe.

US-Regierung: Israel begeht keinen Völkermord

"Wir glauben nicht, dass das, was in Gaza geschieht, ein Genozid ist", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am
Montag in Washington. "Wir haben diese Behauptung stets entschieden
zurückgewiesen." Sullivan sagte, die USA hätten ihren Standpunkt zu dieser Frage
auch vor dem Internationalen Gerichtshof schriftlich und detailliert dargelegt.
Er betonte zugleich: "Wir glauben, dass Israel mehr tun kann und muss, um den
Schutz und das Wohlergehen unschuldiger Zivilisten zu gewährleisten./ln/DP/he

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