27.06.2024 11:04:36 - dpa-AFX: WDH/POLITIK/Putschversuch in Bolivien vorerst vereitelt

(Wiederholung: Formulierungen angepasst, Hintergrund)

LA PAZ (dpa-AFX) - Soldaten stürmen den zentralen Platz von La Paz,
gepanzerte Fahrzeuge rammen die Tore des Regierungspalastes: Das
südamerikanische Land Bolivien steht einige Stunden am Rande einer Staatskrise,
doch dann wird der Anführer der Putschisten festgenommen
- die Truppen ziehen sich zurück.

Nach dem versuchten Staatsstreich in dem Andenland sei Heereschef General
Juan José Zúñiga Macías am Mittwoch in La Paz festgesetzt worden, berichteten
örtliche Medien übereinstimmend. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete
Ermittlungen gegen den Offizier und seine Mitverschwörer ein. Zúñiga werde
Terrorismus und bewaffneter Aufstand gegen die Sicherheit und Souveränität des
Staates vorgeworfen.

Der Putschversuch fällt in eine wirtschaftlich angespannte Zeit in dem Land, das nach Einschätzung des Bundesentwicklungsministeriums zu den
strukturschwächsten in Lateinamerika gehört. Bolivien hat rund 12 Millionen
Einwohner und ist etwa dreimal so groß wie Deutschland.

Gesamte Führung der Streitkräfte ausgetauscht

Staatschef Luis Arce und der abtrünnige General standen sich am Mittwoch auf den Fluren Regierungspalastes Quemado direkt gegenüber. "Ziehen Sie alle
Soldaten zurück. Das ist ein Befehl", rief der Präsident. "Werden Sie mir nicht
gehorchen?"

Kurz nach dem Schlagabtausch enthob er den Heereschef seines Amtes und
tauschte die gesamte Führungsriege der Streitkräfte aus. Die neuen Chefs der
Teilstreitkräfte ordneten daraufhin den Rückzug der Truppen aus der Innenstadt
des Regierungssitzes La Paz an. "Ich danke dem bolivianischen Volk", rief Arce
danach - umringt von seinen Ministern - vom Balkon des Regierungspalastes.

Zuvor hatten Soldaten unter Zúñigas Kommando den zentralen Platz von La Paz
besetzt und mit einem Panzer die Türen des Regierungspalastes gerammt, wie im
bolivianischen Fernsehen zu sehen war. "Wir verurteilen die irregulären
Mobilisierungen einiger Einheiten der bolivianischen Armee. Die Demokratie muss
respektiert werden", schrieb Boliviens Präsident Luis Arce auf der
Nachrichtenplattform X. "Wir können keine Putschversuche zulassen."

Offenbar richtete sich der versuchte Staatsstreich gegen eine erneute
Präsidentschaftskandidatur des früheren Staatschefs Evo Morales (2006-2019). Der
Sozialist war 2019 unter dem Druck des Militärs zurückgetreten, nachdem ihm von
der Opposition und internationalen Wahlbeobachtern Betrug bei der
Präsidentenwahl vorgeworfen worden war.

Ex-Präsident Morales und Staatschef Arce kämpfen um die Macht

Morales war Boliviens erster indigener Präsident. Nach einer Reihe von
Gerichtsentscheidungen darf er eigentlich nicht für eine weitere Amtszeit
kandidieren. Der frühere Koka-Bauer will bei der Präsidentenwahl im kommenden
Jahr trotzdem antreten. Die einstigen Verbündeten Morales und Arce haben sich
inzwischen überworfen und kämpfen um die Führungsrolle in ihrer Partei, der
sozialistischen MAS.

"Wir sind überzeugt, dass die Demokratie der einzige Weg ist, um Differenzen zu lösen, und dass die Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit respektiert
werden müssen", schrieb Morales auf X. "Wir bekräftigen unsere Forderung, dass
alle an diesem Verbrechen Beteiligten verhaftet und vor Gericht gestellt werden
müssen."

In einer Stellungnahme vor den Medien legte Zúñiga nahe, dass der Putsch mit Präsident Arce abgestimmt gewesen sei. "Der Präsident hat mir gesagt, dass die
Situation sehr schlecht ist. Es sei notwendig, etwas vorzubereiten, um seine
Popularität zu steigern", sagte General Zúñiga vor seiner Festnahme im
Fernsehen. "Ich habe ihn gefragt: "Holen wir die Panzer raus" und er hat
geantwortet: "Holt sie raus"."

Vergangenheit mit vielen Militärputschen

Länder in Lateinamerika haben in der Vergangenheit viele Putschversuche oder militärische Umstürze erlebt. Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren wurden
viele Staaten der Region von Militärjuntas regiert. In Argentinien, Chile und
Brasilien fielen ihrer Gewaltherrschaft Zehntausende Menschen zum Opfer.

Die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt über die Ereignisse in Bolivien. "Wir rufen die bolivianische Gesellschaft, einschließlich der Streitkräfte, dazu
auf, sich verantwortungsvoll zu verhalten und die demokratischen Werte
hochzuhalten", hieß es in einer Mitteilung der UN.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte den
Putschversuch in Bolivien scharf. "Ich verurteile entschieden die Versuche, die
demokratisch gewählte Regierung Boliviens zu stürzen", schrieb von der Leyen am
späten Mittwochabend auf der Plattform X. Die Europäische Union stehe an der
Seite der Demokratien.

Mehrere lateinamerikanische Präsidenten wiesen den Vorstoß des Militärs
ebenfalls zurück. "Wir verurteilen jede Form des Staatsstreichs in Bolivien und
bekräftigen unser Engagement für das Volk und die Demokratie in unserem
Bruderland", sagte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Chiles
Präsident Gabriel Boric schrieb auf der Nachrichtenplattform X: "Wir können
keinen Verstoß gegen die rechtmäßige verfassungsmäßige Ordnung in Bolivien oder
anderswo tolerieren."/ppz/DP/stk

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