23.06.2024 15:01:08 - dpa-AFX: EM 2024/Mal wieder Buhmann auf Schienen: Bahn nach EM-Start in Kritik

BERLIN/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Philipp Lahm grinste für den Schnappschuss in die
Kamera, im Hintergrund rauschte am Fenster die Landschaft vorbei. Der
EM-Orga-Chef war am zweiten Turnier-Wochenende wieder einmal im Zug unterwegs.
Dabei war er nur zwei Tage zuvor wegen Bahn-Problemen deutlich verspätet für die
Partie Ukraine - Slowakei in Düsseldorf eingetroffen. Einen kleinen Seitenhieb
mit Zwinkersmiley konnte sich der Ex-Profi auf der Plattform X deshalb nun nicht
verkneifen: "PS: @db_bahn wie ihr seht, ich bleibe treuer Bahn-Kunde."

Eine derartige Lahm'sche Nachsicht wurde in der ersten EM-Woche in
Deutschland von etlichen Bahn-Reisenden verlangt. Denn während das
Kontinentalturnier insgesamt sehr reibungslos, friedfertig, sportlich
interessant und von einer ansteckenden Fan-Euphorie geprägt ist, sorgte die Bahn
für Ärger. Die Deutschen sind diesbezüglich Kummer gewohnt, manch ausländischer
Gast aber zeigte sich verblüfft bis fassungslos von den Zug-Pannen der
jahrzehntelang als Organisations- und Gründlichkeits-Weltmeister gefeierten
Deutschen.

"Entsetzliche Szenen" am Bahnsteig

Zur angeblichen deutschen Effizienz schrieb ein Reporter der renommierten
"New York Times" schon nach den ersten EM-Tagen als Hinweis an die Leser:
"Vergessen Sie alles, was Sie meinten zu wissen". In dem Artikel wurde dann vor
allem von verstopften U-Bahnen in München vor dem Eröffnungsspiel und
stundenlangem Warten auf Gelsenkirchener Bahnsteigen referiert. Negativ
aufgefallen seien zudem die Organisation der Fußwege an den Stadien und die
deshalb langen Schlangen beim Einlass.

Die "New York Times" war nicht das einzige ausländische Medium, das sich auf derartige Pannen stürzte. Die englische "Daily Mail" etwa berichtete von
"entsetzlichen Szenen", als tausende Fans nach der Partie England gegen Serbien
am frühen Morgen stundenlang auf Trambahnen warten mussten, die sie vom Schalker
Stadion in Richtung Hotels brachten.

Empörung bei Schotten, Österreichern und Thomas Hitzslperger

Auch Fangruppen klagten, darunter etwa eine Vereinigung von schottischen
Anhängern (Atac). Deutschland habe sie als Gastgeber zwar herzlich willkommen
geheißen, schrieb Atac in einem Facebook-Eintrag. Mit dem öffentlichen Verkehr
aber habe man "schlechte Erfahrungen" gemacht. Die Züge in München und Köln
seien "unzuverlässig und glühend heiß" gewesen und darüber hinaus über jede Art
von Limit mit Fahrgästen vollstopft worden.

Der ehemalige deutsche Nationalspieler, Funktionär und TV-Experte Thomas
Hitzlsperger brachte - als auch er in einem Zug festsaß - seinen
englischsprachigen Followern bei X ein neues Wort bei. "Armutszeugnis", schrieb
er jüngst in Versalien.

Besonders heftig erwischte es österreichische Fans, die in der vorigen Woche zum EM-Auftakt ihrer Auswahl gegen Vizeweltmeister Frankreich (0:1) mit dem Zug
anreisten. Die "Kronen"-Zeitung erzählte die Geschichte von einem Vater, der mit
dem Sohn frühmorgens in Wien losfuhr, dann in Passau und Würzburg strandete,
zwischendurch auf Taxi und Bus ausweichen musste und schließlich erst mit
mehrstündiger Verspätung im Stadion von Düsseldorf ankam. Als die beiden ihre
Plätze erreichten, waren schon 70 Minuten gespielt. "Es war alles wie verhext",
sagte der Wiener.

Bahn entschuldigt sich - und schenkt mehr Bier aus

Der Deutschen Bahn bleibt da kaum etwas anderes übrig, als um Verzeihung zu
bitten. "Es tut uns leid, dass es Philipp Lahm nicht rechtzeitig zum Spiel
geschafft hat. Immerhin die zweite Halbzeit konnte er im Stadion schauen.
Entschuldigung, lieber Philipp Lahm!", sagte ein Bahn-Sprecher auf Anfrage.

Es habe immer wieder Störungen auf Hauptachsen des Schienenverkehrs gegeben, hieß es von dem Unternehmen am Wochenende. "Die DB dankt dabei allen Fans für
ihre Geduld und Umsicht." Zugleich wurde darauf verwiesen, dass in der Woche
drei Millionen Reisende mit IC- und ICE-Zügen quer durch die Republik unterwegs
waren. "So viel Bahn wie bei der EM in Deutschland gab es noch nie bei einem
internationalen Fußballturnier", hieß es.

Bahn-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson hatte vor dem Turnier
angekündigt, dass das Unternehmen pro Tag 10 000 zusätzliche Sitzplätze im
Fernverkehr anbiete. Anstehende Bauarbeiten seien zudem vorgezogen worden, um
Verspätungen und Beeinträchtigungen auf wichtigen Strecken während des Turniers
zu verhindern. Die Bahn bietet zudem spezielle Euro-24-Tickets an, mit denen die
Fahrt zum Spielort nur 29,90 Euro kostet.

Bier und Bratwurst im Bordbistro

Und tatsächlich haben längst nicht alle Bahnreisenden Grund zur Klage in
diesem EM-Sommer 2024: Während sich die einen über Unpünktlichkeit und zu
vollgestopfte Waggons wundern, sind andere positiv überrascht davon, was
DB-Bordbistros zu bieten haben. Die Bahn bestätigte einen Bericht der "Bild am
Sonntag" und zählte auf: Zwischen dem 14. und 19. Juni wurden 44 588 Liter Bier
und damit doppelt so viel wie sonst verkauft. Darüber hinaus wurde etwa 7105
Bratwurstbrötchen wurden bestellt, das sind 63 Prozent mehr als ohne EM. Auch
Buttercroissants, Chili con/sin Carne und die Focaccia verkauften sich deutlich
häufiger als sonst.

Ob sich Philipp Lahm am Sonntag auf dem Weg nach Frankfurt zusammen mit
anderen Fans einen Snack und ein Getränkt holte, das verriet der EM-Vielfahrer
übrigens nicht./msw/DP/he

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